ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Kiran Klaus Patel, ,,Soldaten der Arbeit". Arbeitsdienste in Deutschland und den USA 1933-1945 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 157), Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2003, 459 S., kart., 49,90 €.

Die vorliegende Schrift über die ,,Soldaten der Arbeit" - mit diesem Titel übernimmt Patel einen von Konstantin Hierl 1934 geprägten Begriff (S. 337) - ist aus einer Dissertation an der Humboldt-Universität in Berlin hervorgegangen. Der Verfasser erfüllt damit die aufgrund äußerst dürftiger Quellenlage schwer zu lösende Aufgabe, die bis anhin ausstehende Geschichte des deutschen Arbeitsdienstes für Männer nachzuzeichnen. Er will aber nicht allein berichten, was war. Er stellt den Reichsarbeitsdienst (RAD) des NS-Regimes dem Freiwilligen Arbeitsdienst (FAD) der Weimarer Endzeit gegenüber und kontrastiert darüber hinaus die deutsche Entwicklung mit dem US-amerikanischen Civilian Conservation Corps (CCC). Der Vergleich der Dienste, die Analyse ihrer Wahrnehmung im jeweils anderen Staat (S. 25) und von Transfers, verstanden als modifizierte Übernahmen (S. 26), sollen die Frage beantworten, ,,wie die beiden Länder auf die kumulierenden Modernisierungskrisen reagierten, die sich hinter dem Begriff ‚Weltwirtschaftskrise' verbergen" (S. 14). Dabei wird, abgesehen davon, dass es sich beim CCC um einen quantitativ bedeutenden Dienst handelte und dass der Autor als Forschungsstipendiat in Washington D.C. weilte, nicht recht klar, weshalb gerade der US-amerikanische Fall aus der Vielzahl von Arbeitsdiensten verschiedener Staaten (S. 13) ausgewählt wurde. Die behauptete ,,besondere Nähe" des RAD zum CCC (S. 14) dürfte anderen Diensten gegenüber in durchaus gleichem Maße bestanden haben.

Einem Überblick (Kapitel I, S. 31 ff.) über die Entstehung des Arbeitsdienstgedankens und des FAD unter der Regierung Brüning, in dem auch die Lage der männlichen Jugend dies und jenseits des Atlantiks während der Großen Depression thematisiert und vergleichend analysiert wird, schließen sich in drei zentralen Kapiteln Untersuchungen der Organisationsstrukturen (S. 73 ff.), der Erziehungsziele, -methoden und -leistungen (S. 199 ff.) sowie der Arbeit der Arbeitsdienste (S. 303 ff.) an. Jedes dieser drei Kapitel klingt mit einer vergleichenden Zwischenbilanz aus. Am Ende des Buches steht nicht nur ein abschließender Vergleich von FAD, RAD und CCC; erfreulicherweise skizziert Patel die Rezeption des Arbeitsdienstes in Deutschland nach 1945 und führt in die immer wieder aufbrechende Diskussion über Sinn und Unsinn von Freiwilligendiensten in der Bundesrepublik ein.

Arbeitsdienste organisierten, wie Patel knapp zusammenfasst, junge Erwachsene auf der Grundlage staatlicher Finanzierung in Gemeinschaftsunterkünften zum Einsatz bei gemeinnütziger, zusätzlicher, unwirtschaftlicher und nicht tariflich entlohnter Handarbeit vor allem in den Bereichen Wegebau, Landeskultur und Forstarbeiten (S. 12). Ihre Entstehung verdankten sie in Deutschland wie in den USA der Massenerwerbslosigkeit während der Weltwirtschaftskrise. Hatte der RAD eine längere, völkisch-nationalistisch geprägte Vorgeschichte als Instrument der antidemokratischen Rechten zur Umgehung von Auflagen des Versailler Vertrages, so entstand das CCC als Ergebnis einer politischen Entscheidung F. D. Roosevelts noch innerhalb der ersten hundert Tage seiner Präsidentschaft (S. 159). Beide Dienste orientierten sich strukturell am militärischen Vorbild, was sich für Deutschland aus der paramilitärischen Entstehungsgeschichte des Arbeitsdienstes und der habituellen Prägung seiner Funktionäre, für die USA aus der Mobilisierung des Dienstes und der Leitung der Lager sowie der Versorgung der ,,soil soldiers" durch die Armee (S. 162, 189) erklärt. Die militärische Ordnung ermöglichte überdies den kontrollierenden Zugriff auf die Dienstleistenden und sollte destabilisierende (oppositionelle, vor allem kommunistische) Bewegungen abwehren. Nicht erstaunlich also, dass die Disziplinierung von ,,Arbeitsmännern" und ,,CCC-boys" in beiden Diensten eine herausragende Rolle spielte (S. 297).

Im Unterschied zum RAD, bei dem jedenfalls bis 1937 ein selbstgesetzter Erziehungsauftrag im Vordergrund stand (S. 225), blieb das CCC eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, der erst im Nachhinein ein Erziehungsprogramm gegeben wurde (S. 272). Hier zu Lande wie jenseits des Atlantiks wurden die Dienstleistenden auf ein archaisches Männlichkeitsideal (Körperformung, Muskelkraft und Unempfindlichkeit, Mut, Härte und Kameradschaftlichkeit) hin gedrillt; hüben wie drüben mussten sie in geschlossenen Lagern nahezu gleicher Anordnung und Bauart ein abgesondertes, reglementiertes Leben führen. Nicht nur die Arbeit, auch die Freizeitaktivitäten standen in engem Zusammenhang mit der Natur. Im Unterschied zum CCC, das sich darauf beschränkte, linksliberale und kommunistische Literatur zu untersagen, betrieb der RAD die totale politische Indoktrination (S. 201), bereitete gezielt auf den Kriegsdienst vor (S. 237) und verzichtete auf die Entwicklung von Eigenverantwortlichkeit. Ziel war die ,,Verschmelzung von Soldatentum, Bauerntum und Arbeitertum" (S. 203). Dem standen eher individualistische Sichtweisen und die schulische und berufliche Qualifizierung im CCC gegenüber (S. 298).

Der spezifisch erzieherische Beitrag beider Arbeitsdienste zur Überwindung der Krise lag darin, ,,junge arbeitslose Männer zu geordneten, disziplinierten Mitgliedern der Gesellschaft zu machen:" Unauffälligkeit statt Kriminalität und Devianz (S. 301 f.). Nicht nur dem CCC, sondern auch dem RAD bescheinigt Patel, zur Reduktion von abweichendem Verhalten und Kriminalität beigetragen zu haben (S. 158), obgleich er wissen müsste, dass die von der Staatsmacht tolerierten, initiierten und selbst vorgenommenen kriminellen Handlungen gegenüber Juden und ,,Gemeinschaftsfremden" nicht in die von ihm herangezogenen Kriminalitätsstatistiken eingingen.

Große Unterschiede bestanden in Bezug auf die Effizienz der beiden Dienste. Während die schlanke, dezentrale CCC-Verwaltung weitgehend reibungslos arbeitete, knirschte es im Gebälk des personalintensiven, zentralistischen RAD so vernehmlich, dass dies zumindest den höheren Chargen der NS-Hierarchie nicht verborgen blieb. Die fortwährenden Versuche des ,,Beauftragten für den Vierjahresplan" zur Eindämmung des RAD nehmen breiten Raum in Patels Studie ein. Vor allem die ungenügende Arbeitsleistung des RAD war Göring ebenso wie dem ,,Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen", Todt, ein Dorn im Auge (S. 317). Obgleich sich RAD und CCC insoweit glichen, als beide mit geringem Aufwand möglichst viele junge Männer von der Straße holen wollten (S. 310) und mit einfachen, nur im Ausnahmefall maschinengestützten Arbeiten beschäftigten, brachte es das CCC auf immerhin 70 % der Leistung in der Privatwirtschaft. Der RAD erreichte nicht einmal 50 % (S. 402). Zur Überwindung der Wirtschafts- und Arbeitsmarktkrise leisteten beide Dienste keine substanziellen Beiträge (S. 196, 399), obgleich von 1933 bis 1940 rund drei Millionen Männer den RAD (S. 155) und von 1933 bis 1942 nahezu ebenso viele den CCC durchliefen (S. 185).

Obwohl das CCC nach anfänglich deutlicher Distanz zum deutschen Pendant in späteren Jahren größeres Interesse am RAD entwickelte und dann sogar von der Diktatur zu lernen bereit war (S. 290), grenzte es sich in Sachen Arbeitsdienstpflicht während der gesamten Zeit seines Bestehens vom RAD ab. Vor allem Robert Fechner, ein ehemaliger Gewerkschaftsführer, stand als Chef des CCC für die Freiwilligkeit des Eintritts in den Dienst. Damit blieben Befürchtungen einer ,,Faschisierung" des CCC (S. 160) gegenstandslos. In Deutschland hingegen trat die allgemeine Arbeitsdienstpflicht für junge Männer 1935 in Kraft, nachdem sie noch 1933 am Veto der Siegermächte des Ersten Weltkriegs gescheitert war. Neu ist, dass Patel nicht die Einführung der Reichsarbeitsdienstpflicht als Zäsur definiert, sondern erstens die Gleichschaltung des FAD 1933/34 mit ihrem Umbau einer staatlich geförderten zu einer staatlichen Einrichtung, zweitens das Jahr 1938, als der RAD Baubataillone für die Wehrmacht stellen musste (S. 117 f.) und drittens das Kriegsjahr 1942, von dem an der RAD jedenfalls organisationspolitisch nur mehr ein ,,Schattendasein" fristete (S. 190).

Mit der kriegskonjunkturell bedingten Räumung des Arbeitsmarktes hatten sich die Dienste als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen überlebt. Ab 1938 trat die Erziehung im RAD in den Hintergrund. Nun dominierten der Bau von Luftschutzunterständen und Flugplätzen, am ,,Westwall" ebenso wie im Osten (S. 363). Auch das CCC übernahm zum Ende hin militärdienliche Aufträge (S. 394). 1942 wurde das CCC aufgelöst, während der RAD von da an, seiner ursprünglichen Konzeption entkleidet, als halbmilitärische Kampftruppe eingesetzt wurde (S. 373 ff.) und sich aktiv an Kriegsverbrechen und an der Judenverfolgung im Osten beteiligte (S. 372 f.). Patel arbeitet dies nicht nur gebührend heraus, sondern zeigt, dass der RAD nie die unpolitische Einrichtung jenseits von Terror und Rassismus war, die seine Apologeten nach 1945 aus ihm machen wollten (S. 141): Bereits 1933 hatte sich der Arbeitsdienst am Aufbau des Konzentrationslagers Dachau beteiligt (S. 318).

Das System der Exklusion und Inklusion im RAD (S. 141 f.), also einerseits die Nichtzulassung von ,,Untauglichen", Straffälligen und Juden, später auch von Sinti und Roma, andererseits die Überhöhung der Einbezogenen als ,,Auslese", hat es im CCC nicht gegeben. Dennoch kannte auch das Corps Ausgeschlossene, nämlich Frauen (mit einigen wenigen Ausnahmen im Rahmen des Indian CCC (S. 178), und Rassendiskriminierung: Afroamerikanische CCC-boys wurden regelmäßig in besonderen Lagern zusammengefasst; dort, wo sie mit Weißen ein Camp teilten, herrschte strenge Segregation. Befremdlich mutet in diesem Zusammenhang an, dass Patel die Schulung schwarzer CCC-boys vorwiegend für ,,negro jobs" mit dem Hinweis entschuldigt, die Betroffenen hätten im rassistischen Amerika nicht in andere Arbeitsstellen vermittelt werden können (S. 288). Zu fragen wäre doch eher, weshalb sich das CCC nicht aufgerufen fühlte, die Gleichberechtigung aller StaatsbürgerInnen beispielgebend durchzusetzen!

Nach der Lektüre bleibt als Gesamteindruck: Patels Studie ist das kenntnisreiche Ergebnis aufwändiger, durch und durch solider Forschungsarbeit. Was den männlichen Arbeitsdienst in Deutschland angeht, darf es fortan als Standardwerk Geltung beanspruchen. Indes: Zu konventionell richtet sich der Fokus auf die Geschichte der Institution, auf das Kompetenzgerangel der NS Führung und der ihr unterstellten Bürokratie. Die Stimme Hierls ist vernehmbar, auch die Stimme Roosevelts und weiterer für das CCC wichtiger Entscheidungsträger nicht aber die Stimme derjenigen, die Arbeitsdienst leisteten, die in der Umgebung von Arbeitsdienstlagern lebten, die positiv oder negativ mit dem Arbeitsdienst in Berührung kamen. So steht denn auch Patels These, dem RAD sei das Ziel des Abbaus sozialer Vorurteile gelungen (S. 270 f.), auf dünnem Eis.

Stefan Bajohr, Düsseldorf


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