Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Yeshayahu Jelinek, Deutschland und Israel 1945 - 1965. Ein neurotisches Verhältnis (Studien zur Zeitgeschichte, Bd. 66), Oldenbourg, München 2004, 498 S., geb., 69,80 €.
Erst vor drei Jahren hat der ehemalige deutsche Botschafter in Israel, Niels Hansen, ein umfangreiches Werk über die deutsch-israelischen Beziehungen in den Jahren 1945 bis 1965 vorgelegt. Es ist in der deutschen Historikerzunft und der interessierten Öffentlichkeit auf enorme, positive Resonanz gestoßen und gilt zu Recht als Standardwerk. [Vgl. die Besprechung dieses Bandes durch den Autor dieser Zeilen im AfS 2002] Vor diesem Hintergrund mag es erstaunen, dass der R. Oldenbourg Verlag nun ein Buch des israelischen Historikers Yeshayahu Jelinek vorlegt, das das gleiche Thema und den gleichen Zeitraum behandelt. Die Erklärung dafür findet sich in der Geschichte des Buches. Jelinek hatte bereits 1992 ein Manuskript abgeschlossen, das den Zeitraum von 1945 bis 1953 umfasste. Durch die Empfehlung der Leitung des Instituts für Zeitgeschichte in München, den Handlungszeitraum bis zum Jahr 1965 zu erweitern sowie durch umfangreiche und zeitraubende Kürzungen und Übersetzung des Manuskripts verzögerte sich die Veröffentlichung dann jedoch bis ins Jahr 2004. So wird das vorliegende Werk also stets mit dem ´Makel` leben müssen, nicht das erste umfassende Werk zum Thema zu sein.
Was nun den wissenschaftlichen Wert der Studie Jelineks betrifft, so braucht sie den Vergleich mit Hansens Buch nicht scheuen. Jelinek hat sich bereits in der Vergangenheit in zahlreichen Artikeln und mit einem Dokumentenband [Vgl. Jelinek, Zwischen Moral und Realpolitik. Deutsch-israelische Beziehungen 1945-1963. Eine Dokumentensammlung, Gerlingen 1997] mit den deutsch-israelischen Beziehungen nach 1945 beschäftigt, ist also ein ausgewiesener Experte der Materie. Er hat u. a. zahlreiche israelische, deutsche, amerikanische und britische Quellen ausgewertet. Im Vergleich zu Hansen hat Jelinek mehr israelische Archive benutzt, so dass der Leser im vorliegenden Buch die israelische Perspektive deutlicher als in Hansens Buch nachvollziehen kann. Jelineks Darstellung zeichnet sich durch knappe, prägnante Beschreibungen und Urteile aus, während Hansens Neigung zu teils seitenlangen Exkursen den Lesefluss mitunter arg gestört hat. Nicht zuletzt unterscheiden sich die beiden Bücher hinsichtlich der Bewertung und Gewichtung einzelner Situationen bzw. Personen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Der Umstand, dass Konrad Adenauer am Ende seiner Regierungszeit trotz gegenteiliger Äußerungen den Schritt zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen nicht wagte, wird bei Hansen auf vermeintliche amerikanische Einwände zurückgeführt. Dagegen äußert Jelinek, weder Adenauer noch die anderen führenden westdeutschen Politiker seien 1963 daran interessiert gewesen, Israel offiziell anzuerkennen.
In seinem Buch beschreibt Jelinek den steinigen Weg bis zur Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Ländern im Jahre 1965 in allen Einzelheiten. Wesentliche Schritte in der ersten Phase waren die deutsche Regierungserklärung vom September 1951, in der sich die Bundesrepublik zur Wiedergutmachung verpflichtete, der Abschluss des deutsch-israelischen Wiedergutmachungsvertrages ein Jahr später in Luxemburg und schließlich die Ratifikation des Vertrages im März 1953. Jelinek macht deutlich, welch enorm große Bedeutung dieser Vertrag für beide Länder hatte. Für Israel bedeuteten die gewährten Zahlungen praktisch das Überleben als Staat, und die Bundesrepublik Deutschland war international wieder hoffähig geworden.
Die zweite Phase des zu Recht so genannten neurotischen Verhältnisses der beiden Länder zu einander umfasste den Zeitraum von 1953 bis 1965. Diese zwölf Jahre waren erfüllt von unterschiedlichen, ja widersprüchlichen Bedürfnissen, von Missverständnissen und Fehldeutungen auf beiden Seiten. Während die Bundesrepublik unmittelbar nach Abschluss des Luxemburger Vertrages zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen bereit war, gab es in Israel zu diesem Zeitpunkt noch keine Bereitschaft, mit dem Land der Täter quasi ,,normale" Beziehungen aufzunehmen. Ab Mitte der 1950er-Jahre, als die Bundesrepublik ihre begrenzte Souveränität zurück erhalten hatte und in zunehmendem Maße in die westliche Staatengemeinschaft integriert wurde, übernahm sie die Rolle der volle diplomatische Beziehungen ablehnenden Partei. Nunmehr waren die Hallsteindoktrin sowie die Rücksichtnahme auf deutsche und internationale Interessen im arabischen Raum die entscheidenden Argumente auf deutscher Seite. Jelinek beschreibt Adenauers Politik in dieser Phase als Doppelstrategie. Dieser habe nahezu regelmäßig die Aufnahme diplomatischer Beziehungen in Aussicht gestellt, jedoch stets eine Erklärung folgen lassen, wonach der Zeitpunkt momentan ungünstig sei.
Abseits dieser sich über Jahre hinziehenden diplomatischen Winkelzüge entwickelten sich intensive Verbindungen zwischen den beiden Ländern. Dies betraf die kulturelle Ebene, deutsche Wirtschafts- und Finanzhilfe an Israel, jedoch insbesondere auch die geheime militärische Zusammenarbeit. Jelinek betont an mehreren Stellen die Dreiecksbeziehung zwischen Wirtschafts- und Finanzhilfe, diplomatischer Beziehungen und militärischer Zusammenarbeit. Er verdeutlicht, dass das von seinen arabischen Feinden umgebene Israel in einzelnen Situationen bewusst die diplomatischen Beziehungen zugunsten der beiden anderen Faktoren vernachlässigt hat. Die Bundesregierung und das mehrheitlich proarabische Auswärtige Amt dagegen setzten häufiger die Mittel der wirtschaftlichen, finanziellen und militärischen Zusammenarbeit ein, um Israel diplomatische Beziehungen vorzuenthalten.
Dieses labile Verhältnis konnte nicht mehr standhalten, als 1964 die militärische Zusammenarbeit der beiden Länder öffentlich wurde und die Bundesrepublik sich mit dem Sturm der arabischen Proteste konfrontiert sah. Die Bundesrepublik hatte, so Jelinek, keine langfristige Strategie mehr und konnte der Aufnahme diplomatischer Beziehungen nicht länger ausweichen. Der eigentliche Entschluss war dennoch die alleinige Entscheidung des Bundeskanzlers Ludwig Erhard, nicht zuletzt aufgrund des Besuchs von Walter Ulbricht in Ägypten im Frühjahr 1965, der als unfreundlicher Akt gegenüber der Bundesrepublik empfunden wurde. Zwölf Jahre nach Abschluss des Luxemburger Vertrages und zwanzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges nahmen die Bundesrepublik Deutschland und der Staat Israel diplomatische Beziehungen auf und beendeten damit die zweite Phase der deutsch-israelischen Beziehungen.
Die hier nur skizzenhaft beschriebene Entwicklung beschreibt Jelinek in aller Ausführlichkeit und in allen seinen Dimensionen. Er geht auf die Akteure ein, er beschreibt die jeweiligen Leitlinien, die die Politik auf beiden Seiten prägten, und er bezieht stets die internationale Entwicklung in seine Betrachtung mit ein. Seine Darstellung besticht außerdem durch klare und präzise, mitunter jedoch auch recht drastische Urteile. Insgesamt hat Yeshayahu Jelinek eine faktenreiche und durch Sachkenntnis beeindruckende Studie vorgelegt, die man zudem aufgrund seiner Formulierungsgabe gerne liest. Das Buch zeugt von umfassender Sachkenntnis und kann getrost als Jelineks Meisterstück bezeichnet werden. Es ist ein Glücksfall, dass seine Studie noch rechtzeitig zum 40. Jubiläum der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen in diesem Jahr erscheint. So steht der Öffentlichkeit neben der Arbeit von Niels Hansen ein weiteres Standardwerk zur vertiefenden Auseinandersetzung mit der Geschichte der deutsch-israelischen Beziehungen nach 1945 zur Verfügung.
Christoph Moß, Moers