Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Christian Saehrendt, Der Stellungskrieg der Denkmäler. Kriegerdenkmäler im Berlin der Zwischenkriegszeit (1919-1939), Dietz, Bonn 2004 (Politik- und Gesellschaftsgeschichte, Bd. 64), 205 S., geb., 29,80 €.
In den letzten Jahren widmete sich die Historiographie verstärkt Fragen nach der kulturellen Verarbeitung des Ersten Weltkriegs und seiner Auswirkungen. Insbesondere Formen und Inhalte des Gefallenengedenkens erfuhren große Aufmerksamkeit. Etwa zwei Millionen deutsche Soldaten waren im Ersten Weltkrieg ums Leben gekommen, ganze Jahrgänge fehlten. Nach 1918 fanden Deutungen und Sinnstiftungen des Massensterbens insbesondere in Kriegerdenkmälern ihren Ausdruck. Nahezu in jeder Gemeinde, aber auch von Universitäten, Vereinen oder Berufsverbänden wurden Denkmäler für ‚ihre' Gefallenen errichtet.
Die Entstehungsgeschichte dieser Denkmäler und die durch sie vermittelten Inhalte untersucht Christian Saehrendt am Beispiel Berlins. Die Lokalstudie strebt bewusst ,,keine vollständige Denkmaltopographie" (S. 9) der deutschen Hauptstadt an, sondern fragt zunächst anhand von zahlreichen Einzelfällen nach der ,,Funktionalisierung des Gefallenenkultes". Der Blick auf Berlin ermöglicht es dabei, die Konkurrenz der Deutungen zwischen verschiedenen politischen Milieus und ihre praktischen Auswirkungen zu untersuchen. Die Studie kann deswegen als Analyse einer politischen Konfliktgeschichte im Bereich der Erinnerungskultur aufgefasst werden. Im zweiten Teil liegt der Schwerpunkt auf Fragen der Gestaltung der Denkmäler und ihren Künstlern, die mit dem ersten Teil verzahnt werden.
Die Initiative zur Errichtung eines Kriegerdenkmals ging in der Weimarer Republik, anders als in Frankreich, mehrheitlich nicht von den Gemeinden, sondern von Vereinen oder Veteranenverbänden aus. Gerade in einer Großstadt wie Berlin kam es zur Konkurrenz unterschiedlicher Sinnstiftungen und ihrer öffentlichen Präsentation, bot die Hauptstadt doch für landesweit agierende Verbände die Möglichkeit, prestigeträchtig ,,symbolpolitische Präsenz" zu zeigen (S. 97). Saehrendt skizziert zunächst das politisch-soziale Spektrum der Veteranenvereine, das von den ,,vaterländischen" Kriegervereinen über das republiknahe ,,Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" bis hin zum kommunistischen ,,Rot-Front-Kämpferbund" reichte. Während die Kriegervereine eine ,,nationalistische Gegenwelt zur Weimarer Republik" schufen, zielte das Reichsbanner laut Gründungsaufruf unter anderem darauf ab, die ,,Gegner der Republik (...), mit denselben Mitteln, mit denen sie die Republik angreifen", zu bekämpfen (S. 17). Das vom Autor skizzierte Veteranen-Milieu verfügte in Form von Zeitungen und Zeitschriften über umfangreiche Publikationsmöglichkeiten und konnte durch Großveranstaltungen Mitglieder und Sympathisanten mobilisieren.
Die Verbände initiierten die Errichtung von Gefallenendenkmälern. Geschildert wird der Prozess von der Ortswahl über die Baugenehmigung bis zur Einweihung. Die an mehreren Beispielen skizzierte Entwicklung sagt viel über politisch-ideologische Implementierungen vor Ort aus. Denkmalstandorte wurden in der Folge Orte politischer Auseinandersetzungen, wenn es bei Regimentsfeiern oder am ,,Sedantag" zu Gegendemonstrationen kam oder vereinzelt Denkmäler demokratisch ausgerichteter Verbände beschmiert oder beschädigt wurden. Viele Kriegervereine gingen schließlich dazu über, für ihre Veranstaltungen Polizeischutz zu beantragen. Die im Buch ausführlich geschilderten politischen Auseinandersetzungen der Zwischenkriegszeit wurden nun auch auf dem Gebiet des Gefallenengedenkens ausgetragen. An dieser Stelle wäre es wünschenswert gewesen, mehr über die Folgen dieser Instrumentalisierung zu erfahren. Führte die politische Auseinandersetzung zu einem weiteren Auseinanderdriften der Weltkriegsdeutungen oder gab es Rückwirkungen dieser Deutungen auf die politischen Inhalte?
Im anschließenden Kapitel wendet sich Saehrendt dem Denkmalsbau sowie einzelnen Denkmalstypen zu. Der meist ,,konventionelle Geschmack" der Auftraggeber prägte die Vielfalt der Darstellungen. Moderne Bildhauer der Weimarer Republik schufen nur selten Gefallenendenkmäler - Käthe Kollwitz und Ernst Barlach können hier als Ausnahmen gelten. Neben einer Typisierung findet sich eine Beschreibung häufig verwendeter Materialien und damit verbundene Interpretationen. Der teure und daher nur selten verwendete Granit erfuhr in diesem Zusammenhang regelrecht eine ,,Politisierung", da er in Form des Findlings zu einem Symbol ,,neuer deutscher Identität" wurde.
Nach 1933 ließen die Nationalsozialisten zahlreiche Denkmäler ihrer politischen Gegner (insbesondere der Arbeiterbewegung) zerstören. Speziell in der Anfangsphase des Nationalsozialismus erlebten ,,wilhelminisch geprägte Kriegerdenkmalspezialisten" nochmals eine Renaissance. Trotz umfangreicher Planungen - etwa für einen Triumphbogen im zur Hauptstadt ,,Germania" umgestalteten Berlin - führte der ,,intensive Totenkult" (S. 140) nicht zu größeren Denkmalbauten. Eine Ausnahme stellt in dieser Hinsicht die Langemarck-Halle dar, die anläßlich der Olympiade 1936 zur Erinnerung an den Ort an der Westfront errichtet wurde.
In diesem Abschnitt wirkt die Darstellung manchmal etwas sprunghaft. Bezogen auf die Untersuchung der Weltkriegsdeutungen irritiert in diesem Zusammenhang die Einbeziehung von Denkmälern für die Toten aus der von den Nationalsozialisten als ,,Kampfzeit" bezeichneten Phase. Dieses Manko wird durch eine gelungene Detailstudie zum ,,Horst-Wessel-Platz" relativiert. Sie zeigt an einem konkreten Beispiel Möglichkeiten und Grenzen von symbolträchtigen Umdeutungen. Der Bülowplatz, an dem sich bis 1933 die KPD-Zentrale befunden hatte, wurde nach dem SA-Führer Horst Wessel, der 1930 bei einer Auseinandersetzung ums Leben gekommen war, benannt. Ein Denkmal wurde in Auftrag gegeben, Ehrenhaine angelegt. Die ,,Dominanz nationalsozialistischer Zeichen" konnte jedoch nicht verhindern, dass sich die Bewohner ,,ihren öffentlichen Raum" zurückeroberten (S. 144 f.). Die NSDAP-Ortsgruppe klagte über die Verschmutzung des Platzes, während die Ehrenhaine zunehmend als Fußballplätze genutzt wurden.
Insgesamt bietet die Publikation eine gelungene Lokalstudie zu politischen Implikationen des Gefallenengedenkens nach 1918. Anhand konkreter Beispiele wird das Dilemma demokratischen Kriegergedenkens deutlich, da die militärische Niederlage für den politischen Systemwechsel stand. Auch wenn Intention und Darstellung zahlreicher Denkmäler auf die Manifestation nationaler Einheit zielten, überwog doch die Konkurrenz der Deutungen. Politische Interessen standen im Vordergrund und machten das Gefallenengedenken zum Konfliktfeld. Manchmal wäre eine stärkere Einbeziehung von Prozessen des konfliktiven Deutungswandels auf die Denkmalkultur wünschenswert gewesen. Überzeugend ist die Zusammenführung von politisch-sozialen Aspekten mit Fragen der künstlerischen Gestaltung. Für die Zukunft würde sich eine Untersuchung eines kleinstädtisch-dörflichen Milieus als Vergleichsfall anbieten.
Martin Zückert, München/Freiburg