ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Michael Parak, Hochschule und Wissenschaft in zwei deutschen Diktaturen. Elitenaustausch an sächsischen Hochschulen 1933-1952, Böhlau Verlag, Köln etc. 2004, 563 S., geb., € 59,90.

Die vorliegende Dissertation ist eine Studie zur sächsischen Hochschulgeschichte während der NS-Diktatur und in der Gründungsphase der DDR, vor allem aber ein Beitrag zur vergleichenden Diktaturforschung. Schon um den Umfang des Buches in akzeptablen Grenzen zu halten, kann eine solche Arbeit keine umfassende Darstellung der vier sächsischen Hochschulen (Universität Leipzig, Technische Hochschule Dresden, Handelhochschule Leipzig, Bergakademie Freiberg) zwischen 1933 und 1952 präsentieren. Stattdessen konzentriert sich Parak hauptsächlich auf zwei Bereiche: die Hochschulverwaltung und die Personalpolitik. Das Thema ist also nicht so sehr die Geschichte einzelner Hochschulen in der Diktatur, sondern die Geschichte diktatorischer Hochschulpolitik. Dabei werden sowohl für das Dritte Reich als auch für die DDR weitgehend identische Fragen gestellt. Andere mögliche Aspekte des Themas, etwa die Geschichte der Studierenden, alltagsgeschichtliche Fragestellungen oder die Entwicklung der verschiedenen Institute oder Disziplinen, bleiben dagegen unberücksichtigt.

Wichtigste Grundlage der Analyse ist eine von Parak angelegte kollektivbiographische Datenbank, die sämtliche Hochschullehrer und Habilitanden der vier Hochschulen aus den Jahren 1933-1952 auflistet (insgesamt 1.280 Wissenschaftler). Mit Hilfe dieser Datenbank kann der Autor präzise Aussagen über das sich wandelnde Profil der sächsischen Hochschullehrer machen. Außerdem liefert das Buch zum ersten Mal eine wohl vollständige Liste der nach 1933 entlassenen sächsischen Hochschullehrer. Leider werden zu den Entlassenen in der Regel nur wenige biographische Details mitgeteilt. Insbesondere bleibt der weitere Lebensweg nach der Entlassung im Dunkeln. So erfahren wir im Falle des 1933 entlassenen Dermatologen Ludwig Friedheim zwar das Todesdatum, nicht aber den Todesort, der in diesem Fall (es handelt sich um das KZ Theresienstadt) keineswegs nebensächlich ist. Gerade in einer quantifizierend angelegten Arbeit ist es wichtig, dass hinter den vorgelegten Zahlen nicht die Einzelschicksale verschwinden.

Parak ist sich der Tatsache bewusst, dass ein systematischer Vergleich zwischen der Hochschulpolitik des NS-Staates und der DDR durch die unterschiedlichen Rahmenbedingungen erschwert wird. Als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, befanden sich die Universitäten in einer Überfüllungskrise. Die neuen Machthaber konnten zudem davon ausgehen, dass beträchtliche Teile des wissenschaftlichen Nachwuchses bereit waren, sich dem Nationalsozialismus zuzuwenden. Demgegenüber mussten die sowjetischen Besatzer und ihre ostdeutschen Verbündeten versuchen, eine akademische Trümmerlandschaft wieder funktionsfähig zu machen und sie gleichzeitig nach ihren eigenen politischen Vorstellungen umzugestalten. Unter den sächsischen Hochschullehrern befanden sich 1945/46 nur wenige Sympathisanten der KPD/SED.

Trotz dieser unterschiedlichen Ausgangssituation zeugt Paraks Arbeit von der Fruchtbarkeit eines komparativen Ansatzes. Sein Buch verweist auf Gemeinsamkeiten, aber auch auf Unterschiede in der Hochschulpolitik beider Regime. Zu den Gemeinsamkeiten gehörten die mehr oder minder erfolgreichen Bemühungen der Ausrichtung von Forschung und Lehre im Sinne der herrschenden Ideologie, der Säuberung des Lehrkörpers und der Studentenschaft von realen oder vermeintlichen Gegnern, einer Personalpolitik, bei der politische Kriterien eine gewichtige Rolle spielten und schließlich die Einschränkung universitärer Selbstverwaltung.

Letztlich überwogen aber, so Parak, eher die Unterschiede als die Gemeinsamkeiten: Vor allem war der ,,Elitenaustausch" 1945 sehr viel umfassender als 1933. Während in der Zeit der NS-Diktatur 12,7 % der sächsischen Hochschullehrer aus rassistischen oder politischen Gründen entlassen wurden, verloren die sächsischen Hochschulen 1945/46 mehr als 80% des Lehrkörpers. Dafür verantwortlich waren, wie Parak nachweisen kann, nicht nur die Entnazifizierung und politische Säuberungen, sondern auch kriegsbedingte Verluste (Kriegsgefangenschaft) und die Abwanderung vieler Akademiker in die Westzonen. Weiter verweist Parak auf die Zentralisierung der Hochschulpolitik in der DDR, die sehr viel konsequenter und erfolgreicher verlief als im ,,Dritten Reich". Zudem erhielten in der DDR außeruniversitäre Forschungseinrichtungen (insbesondere Wissenschaftliche Akademien) eine weit größere Bedeutung als in der NS-Zeit. Diese Schwerpunktverlagerung entsprach dem sowjetischen Wissenschaftsmodell, das mutatis mutandis im gesamten Ostblock übernommen wurde.

Unter den sächsischen Hochschullehrern fand die NS-Diktatur Parak zufolge mehr Akzeptanz als die DDR. Zudem war die SED laut Parak nach 1945 an den sächsischen Hochschulen stärker verankert als die NSDAP vor 1945. Dies mag durchaus richtig sein. Gelegentlich entsteht allerdings der Eindruck, dass Parak den Einfluss der Nationalsozialisten auf die sächsischen Hochschulen unterschätzt, und einige seiner diesbezüglichen Aussagen - etwa die Behauptung, der Zugriff der NSDAP auf Berufungen sei ,,relativ gering" geblieben (S. 259) - werden m. E. nicht wirklich belegt.

Paraks Buch ist ein interessanter Beitrag zur vergleichenden Diktaturforschung, der Neuland betritt, weil zum ersten Mal die Geschichte einer regionalen Hochschullandschaft in zwei verschiedenen Diktaturen vergleichend analysiert wird.

Michael Grüttner, Berlin


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