Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Sybille Buske, Fräulein Mutter und ihr Bastard. Eine Geschichte der Unehelichkeit in Deutschland 1900-1970, Wallstein Verlag, Göttingen 2004, 400 S., geb., 40,- €.
Sybille Buske hat ,,eine Geschichte der Unehelichkeit in Deutschland" geschrieben. Ihre detailreiche Analyse von 70 Jahren deutscher Sittlichkeitsgeschichte ist spannend, facettenreich und hervorragend wissenschaftlich recherchiert. Unehelichkeit stellt sie anschaulich auf vielen verschiedenen Ebenen dar: Neben dem roten Faden der rechtlichen Entwicklung, der politischen und gesellschaftlichen Diskussionen, dem Alltag der ledigen Mütter und der unterschiedlichen zeitgenössischen wissenschaftlichen Deutungen untersucht die Autorin auch Groschenromane, Zeitungen, Zeitschriften und Filme. Die Diskriminierung von Illegitimität findet sich in allen gesellschaftlichen Bereichen wieder. Buskes Untersuchung gibt Einblicke in die Lebenssituation lediger Mütter, die über Jahrzehnte von Armut und Diskriminierung gezeichnet ist: ,,Das jahrelange und trotzdem vergebliche Bemühen von Müttern und Vormündern um die väterliche Alimente ist ein Grundproblem, das sich durch das ganze Jahrhundert zieht. An den Kampf um den Unterhalt knüpfte sich eine oft desolate finanzielle Situation, die auch durch die Erwerbstätigkeit der Mütter nicht behoben werden konnte. In der Regel waren Mütter und Kinder von Armut bedroht." (S. 32). Sie schildert die Prozeduren der Kopf- und Gliedmaßenvermessung, die uneheliche Kinder über sich ergehen lassen mussten, um Aufschluss über ihre Abstammung zu erhalten. Sie zitiert die zahllosen Aussagen über die mangelnde ,,Sittlichkeit" und ,,Ordnung" der ,,unvollständigen" Familie. Nach dem 2. Weltkrieg hatte in Westdeutschland vor allem die katholische Kirche die Definitionsmacht über den Familienbegriff: 1962 formulierte der Zentralrat der Katholiken zur Unehelichkeit: ,,Es steht zu hoffen, dass bei aller grundsätzlichen Bereitschaft, das soziale Los der unehelichen Kinder zu bessern, der Grundsatz aufrecht erhalten bleibt, dass ein Konkubinat niemals mit der Ehe gleichgesetzt werden kann, weil der entscheidende Mangel der illegitimen Geburt, das Fehlen seines rechtlich anerkannten Vaters nicht beseitigt werden kann. Illegitimität gilt schon im Bereich natürlicher Sittlichkeit als ein Verstoß gegen die Strukturform der familienhaft begründeten Gesellschaft." (S. 221). Mit akribischer Geduld präsentiert Buske die immer wieder zum Scheitern verurteilten Reformversuche liberaler Kräfte wie der ersten Frauenbewegung, den Sozialdemokraten in der Weimarer Republik und dem Bundesverfassungsgericht in den Sechzigerjahren. Mit präziser Ausführlichkeit dokumentiert sie die Einwände der Reformgegner - der Kirchen und konservativen Parteien. ,,Institutionell wurde die normative Aufladung der Familie durch die Gründung des Familienministeriums 1953 Rechnung getragen. Mit Franz-Josef Würmeling setzte Konrad Adenauer einen strenggläubigen Katholiken an die Spitze des Ministeriums." (S. 202). Fast mit Erleichterung macht sie schließlich den umfassenden gesellschaftlichen Wandel, die Presse, die Frauen, die sich organisierenden Mütter für die Reform der Unehelichkeit verantwortlich. ,,Seit Mitte der Sechzigerjahre wurde Unehelichkeit zu einem in der medialen Öffentlichkeit vieldiskutierten Thema. 1. Reformdebatten aus den Fachkreisen wurden in die breite Öffentlichkeit getragen. 2. Die Medialisierung führte zur Selbstorganisation der Betroffenen in Verbänden, die sich parallel zum Reformprozess vollzog." (S.321). In diesem Abschnitt beschreibt die Autorin auch die Gründung des Verbands alleinerziehener Mütter und Väter (VAMV), damals ,,Verband lediger Mütter", durch Luise Schöffel und wie unermüdlich der VAMV bereits in seinen frühen Jahren für die Rechte der Alleinerziehenden und ihrer Kinder gekämpft hat. Wer noch nichts über die Anfänge der 38-jährigen Verbandsgeschichte weiß, kann hier einen Eindruck von den lebhaften ersten Jahren erhalten.
Sybille Buske gelingt es, das historische Interesse bei ihren Leser/innen zu wecken, ihr bisheriges Bild von der Geschichte Revue passieren und sie auch noch Einiges dazu lernen zu lassen. Das Buch endet 1970 - eine tatsächliche rechtliche Gleichstellung wurde erst mit der Kindschaftsrechtsreform 1998 erreicht.
Die Geschichte der Unehelichkeit zeigt auf plastische Weise, wie viele Kräfte eine Reform fast ein Jahrhundert lang verzögern können. Auch wenn sich an der gesellschaftlichen Anerkennung der ledigen Mütter und ihrer Kinder viel geändert hat, ihre soziale Stellung ist noch immer von Armut und Benachteiligung gezeichnet. Dies zu ändern dauert hoffentlich nicht noch einmal hundert Jahre.
Peggi Liebisch, Berlin