ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Herrerín López, Ángel, La CNT durante el Franquismo. Clandestinidad y Exilio (1939-1975), Siglo XXI de España, Madrid 2004, 468 S., Pb., 20,- €.

So bedeutsam Spaniens Anarchosyndikalisten für die Geschichte der Arbeiterbewegung des Landes bis 1939 waren, so sehr sind sie seither in die Bedeutungslosigkeit gestürzt. Mit Ángel Herrerín hat sich nun endlich ein Historiker gefunden, der den Weg der Gewerkschaft CNT während der Franco-Diktatur nachzeichnet und dabei stets die zentrale Frage im Auge behält: Warum kam es - anders als im Fall der Kommunisten und der Sozialisten - nach 1975 nicht zur Wiederauferstehung einer bedeutenden anarchosyndikalistischen Bewegung?

Herrerín zeichnet auf der Grundlage umfangreichen Archivmaterials und zahlreicher Interviews mit Zeitzeugen aus den Reihen der CNT detailliert deren Organisationsgeschichte nach. Gleichgewichtig werden Exil und Untergrund behandelt. Die illegalen Aktivitäten in Spanien führten schon wenige Monate nach der Niederlage im Bürgerkrieg zur Errichtung eines ersten Nationalkomitees im Untergrund. Bereits nach 7 Monaten wurden seine Mitglieder verhaftet, ein Schicksal, das sie mit 12 der 15 Komitees teilten, die zwischen 1939 und 1952 existierten. Herrerín sieht die Ursachen für diese hohe Opferrate vornehmlich nicht in todesmutigem (in der Tat drohte im schlimmsten Fall die Todesstrafe) Widerstand, sondern in gravierenden Verstößen gegen Grundprinzipien illegaler Arbeit. Ungebrochen setzte die CNT auf eine möglichst große Zahl von Mitgliedern und lehnte eine konspirative Abschottung der Organisationseinheiten ab.

Ihren Höhepunkt erreichte die Tätigkeit der illegalen CNT gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und in den ersten Nachkriegsjahren, als in Spanien die Erwartung eines baldigen, von den Alliierten unterstützten Sturzes der Diktatur groß war. Herrerín schätzt die Mitgliederzahl innerhalb Spaniens für 1946 auf etwa 50.000-60.000. Mit dem Beginn des Kalten Krieges schwanden die Hoffnungen auf Befreiung rapide, die Repression nahm erheblich zu. 1952 gelang es schon nicht mehr, an die Stelle des verhafteten Nationalkomitees ein Nachfolgegremium zu setzen. Immer mehr Aktivisten resignierten oder scheuten zumindest das Risiko erneuter Verhaftung; nicht wenige hatten damals schon mehrere Jahre Gefängnis hinter sich.

Zu diesem Zeitpunkt war die CNT bereits gespalten. Seit 1945 existierten Orthodoxe und "Posibilistas" - in Spanien eine verbreitete Bezeichnung für politische Strömungen, die sich am "Möglichen" orientieren - nebeneinander. Auslöser der Trennung war der Eintritt von zwei CNT-Führern in die Exil-Regierung. Die Mehrheit der Exil-Führung - sie vertrat damals etwa 40.000 CNT-Mitglieder außerhalb Spaniens, davon alleine 30.000 in Frankreich - lehnte dies als Bruch mit den programmatischen Grundsätzen ab. Schon die Regierungsbeteiligung während des Bürgerkrieges war für sie in der Rückschau ein Fehler gewesen.

Die Exil-Organisation blieb von nun an bis zum Ende der Diktatur in den Händen der Orthodoxen; im spanischen Untergrund aber stand durchgängig die große Mehrheit zu den "Posibilistas". Die Spaltung - die nur kurzzeitig Anfang der sechziger Jahre pro forma überwunden wurde - galt also sowohl inhaltlich als auch geographisch: Gemäßigte versus Radikale, Untergrund versus Exil. Alleine diese Konstellation würde jede Organisation vor enorme Probleme stellen. Hinzu kam etwas, was man in einer libertären Organisation zuletzt erwarten würde: eine jeder stalinistischen Partei ‚Ehre' machende Verfolgung von Abweichlern durch die orthodoxe Mehrheit im Exil und Manipulationen CNT-interner Wahlen (z.B. durch rückwirkende Statutenänderungen oder Gründung fiktiver Basiseinheiten zur Erreichung zusätzlicher Delegiertenstimmen), wie man sie sonst als KP-Taktik in Volksfrontbündnissen kennt. Das orthodoxe Exil schottete sich immer stärker von den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Spanien (und auch denen im wichtigsten Zufluchtsland, Frankreich) ab und versank in sektiererischer Linientreue, die sich an vor Jahrzehnten gefassten Kongressbeschlüssen orientierte, ohne deren Zeitbedingtheit zu bedenken. Unrühmlich taten sich dabei die Kader der Federación Anarquista Iberica (FAI) hervor, die bereits vor dem Bürgerkrieg als Geheimorganisation im Hintergrund die CNT zu steuern suchte, darunter die legendäre Federica Montseny, 1936/37 Gesundheitsministerin. Der FAI war die Kontrolle der CNT wichtiger als deren politischer Erfolg.

Aber auch die "Posibilistas" agierten nicht glücklich. Die den Bedingungen der Illegalität nicht angemessene Taktik wurde bereits erwähnt. Auf der Suche nach Bündnispartnern setzten sich CNT-Vertreter der gemäßigten Richtung gerne mit der sozialistischen Gewerkschaft UGT zusammen, die auch für den orthodoxen Flügel ein akzeptabler Partner war, und verhandelten sogar mit Monarchisten. Undenkbar für beide CNT-Flügel waren aber Kontakte zu den Kommunisten und auch zur neu entstehenden christlichen Arbeiterbewegung. Das traditionelle Dogma des Antiklerikalismus und der nach den Erfahrungen 1937-1939 nachvollziehbare, aber auf Dauer unhaltbare rigorose Antikommunismus engten die Kontakte der CNT innerhalb Spaniens übermäßig ein. Ihre Kader verloren dadurch die Verbindung zum Mainstream der spanischen Arbeiterbewegung, die sich seit Ende der fünfziger Jahre gerade durch Aktivisten aus der katholischen Arbeiterbewegung und aus der KP neu formierte. Außerdem unterließ es die CNT - und zwar beide Fraktionen -, die Arbeit ihrer Mitglieder, die trotz lange vorherrschender Vorbehalte in den Staats-"Gewerkschaften" auf unterer Ebene aktiv wurden, zu koordinieren.

Zur Initiierung von Streiks oder zu politischen Aktionen war die CNT ab den fünfziger Jahren aufgrund ihrer organisatorischen Schwäche und ihrer Selbstisolierung praktisch nicht mehr in der Lage - dies gilt für beide Strömungen. Die Mitgliederzahl sank drastisch; Mitte der sechziger Jahre waren es im Exil nur noch 4.000. Im Inland zog eine Mehrheit der "Posibilistas" 1965/66 aus der Krise eine spektakuläre Konsequenz: mit Vertretern der Staats-"Gewerkschaften" handelte sie ein Fünf-Punkte-Abkommen aus Einheitsgewerkschaft, gewerkschaftliche Autonomie, Förderung gegenseitiger Hilfe der Arbeiter ("Mutualismo"), Streikrecht und Förderung von Kooperativen. Politische Forderungen stellte die CNT in den Verhandlungen nicht. Seitens der "Posibilistas" war das Abkommen im Wesentlichen dadurch motiviert, dass sie keine Perspektive für den illegalen Kampf mehr sah. Die Staats-"Gewerkschaften" ihrerseits suchten nach internationaler Anerkennung, auch um innerhalb des frankistischen Staatsapparates gestärkt gegen die dominierenden Wirtschafts-Technokraten auftreten zu können.

Auch wenn Franco nach Bekanntwerden des Abkommens 1966 weitere Kontakte untersagte, beteiligte sich die Mehrheit der "Posibilistas" in diesem Jahr und auch später an den Wahlen in den Staats-"Gewerkschaften", und zwar nicht wie Kommunisten und die katholische Arbeiterbewegung aufseiten der oppositionellen "Comisiones Obreras", sondern - geblendet durch ihren radikalen Antikommunismus und naives Vertrauen in das Abkommen -gemeinsam mit den Frankisten. Trotz punktueller Erfolge unterlag die CNT in diesen Wahlen, deren Beteiligung hoch lag, deutlich den "Comisiones Obreras". Dennoch billigte 1968 der Kongress der Inlands-CNT diese Strategie. Und sie ging noch weiter: Sie beschloss die organisatorische Trennung derer, die legal in den Staats-"Gewerkschaften" agierten, von der illegalen CNT. Für die Neuwahl des Nationalkomitees der CNT fanden sich daraufhin aus Angst vor Repression keine Kandidaten, so dass die anarcho-syndikalistische Bewegung die letzten Jahre der Diktatur ohne Inlandsleitung blieb. Diese Trennung war, so argumentiert Herrerín überzeugend, ein gravierender strategischer Fehler: statt legale und illegale Arbeit zu verbinden, wie dies die Kommunisten mit den "Comisiones Obreras" praktizierten, gab es für die CNT nur Entweder-Oder.

Auch die Bewegungen des Jahres 1968 brachten der CNT keinen Aufschwung, weder im Exil noch in Spanien, obwohl die schwarz-roten Fahnen und klassische Schriften der Anarcho-Syndikalisten überall präsent waren. Die reale CNT mit ihren sektiererischen internen Kämpfen, mit der Kollaboration im Inland und ihrer völligen Überalterung war den jugendlichen Radikalen nicht attraktiv. Zumal die libertären Ideale im Zeitalter von sexueller Revolution und Protest gegen alle gesellschaftlichen Normen nicht mehr die Sprengkraft besaßen wie in den dreißiger Jahren.

Herrerín benennt abschließend fünf Gründe für den definitiven Niedergang der CNT:

  1. der bereits erwähnte ideologische Immobilismus der Orthodoxen;
  2. der Verlust ihrer Rolle als gesellschaftliche Avantgarde;
  3. die Repression und die unzureichende taktische Antwort der CNT hierauf;
  4. die internen Kämpfe, die stärker und länger waren als in allen anderen Oppositionsgruppen, wie Herrerín betont;
  5. mangelnde internationale Unterstützung, im Wesentlichen aufgrund der Selbstisolierung der Orthodoxen und der Kollaboration der "Posibilistas".

Was von der CNT 1975 blieb oder neu entstand, war ein Schatten der einst mächtigen Organisation, dominiert von gesellschaftlichen Minderheitsbewegungen wie Umweltschützer, Schwule oder Feministinnen.

Trotz gewisser Sympathien für die "Posibilistas" bleibt Herrerín in seinen Urteilen balanciert, spart nicht mit Kritik an der Politik der Gemäßigten. Insbesondere sei es ihnen nicht gelungen, an die Stelle des orthodoxen Dogmatismus mehr als nur pragmatisches Handeln zu setzen. Eine neue gesellschaftliche Vision zu entwerfen, sei ihnen nicht gelungen.

Die Studie von Herrerín ist bei aller Detailtreue überwiegend spannend zu lesen (ein Interesse am Anarcho-Syndikalismus vorausgesetzt), enthüllt sie doch so viele überraschende Verhaltensweisen dieser libertären Strömung, dass man immer wieder in Erstaunen oder gar Entsetzen ausbricht. Welche organisationsinternen Gründe für das endgültige Verschwinden der anarcho-syndikalistischen Strömung von Spaniens politischer Szenerie verantwortlich zu machen sind, wird hinlänglich klar. Es sind Gründe, die höchstwahrscheinlich zur Erklärung ausreichen. Dennoch bleibt die offene Frage, ob die Anarcho-Syndikalisten im Falle einer klügeren Politik - wie auch immer sie im Einzelnen auszusehen gehabt hätte - nicht doch eine Chance auf Wiederauferstehung gehabt hätten. Hierzu wäre es nötig gewesen, die sozio-ökonomischen Veränderungen in Spanien in Augenschein zu nehmen und zu erörtern, ob dadurch der libertären Bewegung die gesellschaftliche Basis entschwand. Es ist jedenfalls auffällig, dass in ganz Europa der Anarchismus und der Anarcho-Syndikalismus teils bereits nach dem Ersten Weltkrieg, spätestens aber nach 1945 aus der Arbeiterbewegung verschwanden.

Bernd Rother, Berlin


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