ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Lorenzo Riberi, Arthur Rosenberg. Democrazia e socialismo tra storia e politica, Angeli, Mailand 2001, 503 S., Pb., 29,95 €.

Dieses wichtige Buch wendet sich einer interessanten Persönlichkeit aus Wissenschaft und Politik zu: dem Historiker Arthur Rosenberg, der sich während eines eher kurzen Lebens auf bemerkenswert unterschiedlichen Gebieten hervorgetan hatte. 1889 in Berlin geboren und dort aufgewachsen, erlangte er frühzeitig einen guten Ruf als produktiver Althistoriker. Am Ende des Ersten Weltkrieges brach er mit seinem Herkunftsmilieu, dem scheinbar assimilierten jüdischen Bürgertum und der deutschnationalen Gelehrtenwelt. Im November 1918 wurde er Mitglied der USPD und trat mit ihrem linken Flügel zwei Jahre später der KPD bei, in der er bis in höchste Parteiämter aufstieg. Er wurde Mitglied der Parteizentrale und vertrat seine Partei als Abgeordneter im Reichstag. Als Exponent der radikalen Linken innerhalb der KPD verlieh Rosenberg ihren Hoffnungen, Illusionen und Irrtümern auch in seiner umfangreichen Publizistik beredten Ausdruck.

1927 verließ er das kommunistische Lager. 1930 wurde er nach langer Privatdozentenzeit außerplanmäßiger Professor für Alte Geschichte an der Berliner Universität. Danach avancierte er durch zahlreiche Arbeiten, die seinen politischen Lernprozess anhand der eigenen Erfahrung widerspiegelten, zum kenntnisreichen Zeithistoriker. 1933 musste er aus Deutschland flüchten. Im Exil blieb er in Zürich, Liverpool und New York unermüdlich wissenschaftlich wie publizistisch tätig. Er starb 1943 in New York. Bis zuletzt hielt er an der Idee einer sozialistischen Demokratie fest.

Rosenberg ist heute vor allem durch seine zeitgeschichtlichen Bücher bekannt. Er schrieb 1928 die "Entstehung der deutschen Republik", deren Folgeband unter dem Titel "Geschichte der deutschen Republik" 1935 in Deutschland nicht mehr erscheinen konnte. Mit seiner "Geschichte des Bolschewismus" (1932), der Kampfschrift "Der Faschismus als Massenbewegung" (1934) und seinem letzten Buch "Demokratie und Sozialismus" (1938) untersuchte Rosenberg die Ursachen für den Erfolg Hitlers wie für das Scheitern der europäischen Arbeiterbewegung.

Als Althistoriker befasste sich Rosenberg vor allem mit römischer Geschichte. Deshalb erregte er in Italien sehr früh die Aufmerksamkeit einer wissenschaftlichen Öffentlichkeit. Bereits 1946 erschien der erste in italienischer Sprache geschriebene biographische Abriss aus der Feder von Giuseppe Motta. Später befassten sich unter anderem Wolf Giusti, Ernesto Ragionieri und Luciano Canfora mit verschiedenen Aspekten seines umfangreichen und vielseitigen Werkes. In Deutschland legte Helmut Schachenmeyer 1964 eine Pionierarbeit über Rosenbergs Geschichtsauffassung vor. Auch Rudolf Wolfgang Müller, Karl Christ, Peter von Oertzen, Gert Schäfer, Peter Thomas Walther, Andreas Wirsching und William David Jones arbeiteten über ihn.

Lorenzo Riberi, der heute an der Fondazione Einaudi in Turin arbeitet, hat sich seit beinahe zwei Jahrzehnten der deutschen Kulturgeschichte und besonders der Historiographiegeschichte zugewandt. Er teilt Rosenbergs Leben und Werk in eine positivistisch-wissenschaftliche Phase (bis 1918), eine politisch-aktivistische Phase (1918-1927) und in eine wissenschaftlich-politische Phase (ab 1927) ein. In dieser letzten Phase suchte Rosenberg über den gravierenden äusseren Einschnitt des Exils hinweg politische Grundfragen in sachlichen Abhandlungen zu beantworten. Seine geschliffene, engagierte Darstellungsweise blieb der marxistischen Gesellschaftstheorie verpflichtet, doch von jeder engstirnigen Parteinahme frei.

Riberi interpretiert Rosenbergs Schriften vor dem Hintergrund der deutschen intellektuellen Strömungen seiner Zeit. Das hat den Vorteil, dass der italienische Leser bzw. die Leserin viel über deutsche Geistes- wie allgemeine Gesellschaftsgeschichte erfährt, doch den Nachteil, dass der Gang der Erzählung bisweilen vom Hauptcharakter des Buches zu weit wegführt. Dies ist aber nur teilweise Riberi geschuldet, denn über Rosenbergs äußere Lebensumstände sind wir bisher nicht sehr gut informiert. Die erzwungene Flucht 1933, die Beschlagnahme der Papiere durch die SA, die unsteten Lebensverhältnisse des Exils und schließlich die nicht gerade sprudelnden Informationen der Nachkommenschaft, die Riberi noch nicht ausfindig machen konnte, stellen jeden Biographen Rosenbergs vor Schwierigkeiten.

So nimmt es nicht wunder, dass Riberi wenig über die Kindheit und Jugend seines Protagonisten zu sagen weiß. Rosenbergs prägende Jahre am Askanischen Gymnasium, in dem sich sein großes Talent als junger Historiker bereits entfaltete, werden nur gestreift, die Universitätsjahre können hingegen genauer behandelt werden. Mit Recht verweist Riberi auf den prägenden Einfluss, den Eduard Meyer und Otto Hirschfeld (und dazu Franz Skutsch, wie angemerkt sei) auf den angehenden Forscher ausübten, und zwar sowohl wissenschaftlich wie (besonders Meyer) auch politisch (S. 28 ff.). Die Briefe Rosenbergs an Eduard Meyer, die auch von seinen politischen Ansichten im Ersten Weltkrieg Kenntnis geben, hat Riberi leider nicht ausgewertet. Sie sind in Meyers Nachlass zugänglich.

Nach dem Dienst im Kriegspresseamt 1916-1918 (hier sind alle Unterlagen 1945 vernichtet worden) und einer beinahe geglückten Berufung auf eine Professur in Prag wandte sich Rosenberg 1918 der Politik zu. Da er Partei für die äußerste Linke ergriff, schwanden seine Chancen auf eine akademische Karriere. Doch in seiner revolutionären Zukunftserwartung räumte Rosenberg, wie Riberi anhand der Artikel für die Presse der USPD und der KPD genau kommentiert, dem bürgerlichen Universitätsbetrieb und der kapitalistischen Gesellschaft insgesamt keine Zukunft ein.

Die Transformation der KPD von einer linksradikalen zu einer stalinistischen Apparate-Organisation kollidierte zunehmend mit Rosenbergs Verständnis von Politik. So sehr er (besonders in der Staatskrise von 1923) die proletarische Revolution herbeischreiben wollte, so wenig akzeptierte er die zunehmende Anpassung der KPD-Politik an die kurzfristigen Bedürfnisse der sowjetischen Führung und der von ihr kontrollierten Komintern-Zentrale. Wie Rosenberg mit seiner Haltung allmählich in innerparteiliche Isolierung geriet und schließlich zum "rechten" Kritiker des Thälmann-ZK wurde, zeichnet Riberi im vielleicht überzeugendsten Abschnitt des Buches nach. Hier stützt er sich auch auf zahlreiche, bislang nicht ausgewertete Quellen aus dem KPD-Archiv in Berlin-Lichterfelde.

Rosenbergs zunehmender Widerstand gegen die sowjetische Politik, die er als mit den nationalen Interessen der deutschen Arbeiterklasse unvereinbar sah, bewog ihn im April 1927, die KPD zu verlassen. Sogar innerhalb der kommunistischen Kritiker Stalins blieb er jedoch isoliert; seine künftigen Bestrebungen, den Graben zwischen KPD und SPD überbrücken zu helfen, brachten ihm bei der Linksopposition nur Hohn und Spott ein: Rosenbergs angeblich "richtige Erkenntnis", schrieb Hugo Urbahns, lasse ihn vor der Sozialdemokratie kapitulieren (S. 183).

Nach seinem Austritt aus der KPD verstand sich Rosenberg, wie Riberi schreibt, als "Sozialist ohne Partei" (S. 187). Nach dem Erlöschen seines Reichstagsmandats 1928 ging er in den Schuldienst und arbeitete am Köllnischen Gymnasium, einer Aufbauschule in Berlin, die sich vom restaurativen Geist des preußischen Gymnasiums frei hielt. Er wurde zum politischen Schriftsteller, der nicht nur für eine begrenzte Fachöffentlichkeit, sondern für das gebildete Massenpublikum schrieb. So wurde seine "Entstehung der deutschen Republik" ein viel gelesenes Buch. Rosenbergs Ansicht, dass der Klassenkompromiß zwischen Junkertum und Bourgeoisie bei faktischer Ausgrenzung der Arbeiterbewegung aus dem politischen System des deutschen Kaiserreiches dessen Scheitern von Anfang an beinhaltet habe, war und blieb in der Forschung umstritten. Die "Geschichte des Bolschewismus" war eine der ersten seriösen Abhandlungen zum Thema. Ihre Hauptthese, wonach sich die "staatskapitalistische" Sowjetunion im Aufwind befinde, die Komintern hingegen zum Scheitern verurteilt sei, brachte Rosenberg Kritik von rechts wie links ein.

Riberis Materialbasis für die Untersuchung der Exiljahre ist hingegen begrenzt. Leider entgingen ihm wichtige britische Archivalia, so dass er die Lebensumstände der Familie - Rosenberg floh mit seiner Frau, den beiden Kindern, seiner Mutter und seiner Schwester über Konstanz nach Zürich, schließlich nach London und Liverpool - kaum gründlich schildern kann. Sehr gut dokumentiert ist hingegen der Vorgang von Rosenbergs Ausbürgerung durch das Naziregime, wobei die Nazis zunächst vergaßen, die Aberkennung der Staatsbürgerschaft auf dem am 29. Oktober 1936 geborenen jüngsten Sohn Rosenbergs zu erstrecken. In Zürich begann der kräftezehrende Kampf um Stipendien, verbunden mit den Mühen, die der Wechsel von einem Land und von einer Sprache zur anderen ohnehin bedeutete - vor allem für die Kinder, die Mutter und Rosenbergs Frau, die ganz vom Einkommen ihres Mannes abhingen. In England halfen jüdische Organisationen, da die Universität Liverpool Rosenberg zwar als Lektor anstellte, ihn aber kaum finanziell unterstützte. Unter schwierigsten Bedingungen schuf Rosenberg mit seiner "Geschichte der deutschen Republik" sowie dem auch aus den Liverpooler Vorlesungen hervorgegangenen Buch "Demokratie und Sozialismus" noch heute gültige Arbeiten.

Die von Peter Thomas Walther aufgefundenen und von Riberi genutzten amerikanischen Archivquellen gestatten eine recht genaue Schilderung der amerikanischen Jahre Rosenbergs. Nachdem sein Stipendium in Liverpool ausgelaufen war, fand er am Brooklyn College in New York eine neue Arbeitsstelle. Schließlich bot ihm das College 1941 die erste akademische Festanstellung seines Lebens. Rosenberg blieb jedoch von Zuschüssen durch verschiedene Hilfsorganisationen abhängig, um seinen Kindern den Besuch der höheren Schule und schließlich das Studium zu ermöglichen. Er engagierte sich politisch in verschiedenen Projekten des deutschen Exils und kam nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion auch dem aufgeschlossenen Teil des KPD-Exils näher. Zu seinen Freunden gehörten Karl Korsch, Franz Neumann, der aus Moskau nach Nazideutschland ausgewiesene und dann doch nach New York gelangte Anarchist Hermann Borchardt, Werner Scholem, dem Rosenberg aus dem KZ Buchenwald vergeblich herauszuhelfen suchte, Arkadi Maslow, Hans Rosenberg (nicht mit Arthur Rosenberg verwandt), aber auch Felix Boenheim, der als Kommunist später in die DDR ging. William Gideonse, Präsident des Brooklyn College, sowie seine Kollegen Jesse Clarkson und Madeleine Robinton, die Rosenberg nach Amerika geholt hatten, unterstützten ihn auch, als er an Krebs erkrankte. Im Alter von nur 53 Jahren verstarb Arthur Rosenberg im Februar 1943. Er erlebte noch den Sieg der Roten Armee bei Stalingrad, der Hitlers Ende einläutete.

Im Exil wurde Rosenberg aktiver Zionist, worauf Riberi auch hinweist. (S. 200) Erst nach Drucklegung des Buches sind eine Vielzahl von Quellen, darunter zahlreiche unveröffentlichte Manuskripte Rosenbergs, erschlossen worden, aus denen hervorgeht, wie entscheidend Rosenbergs Hinwendung zum Judentum und zum Zionismus für seine gesamte Persönlichkeit wurden (vgl. hierzu die Arbeit des Rezensenten: Arthur Rosenberg. Ein Historiker im Zeitalter der Katastrophen (1889-1943), Köln etc. 2003). Rosenberg schloss sich der linkszionistischen Organisation Avukah (Fackel) an und hielt eine Serie von Vorlesungen in ihrem Sommerlager in Liberty, N.Y. Dabei nahm er ausführlich zu weltpolitischen Problemen Stellung und entwickelte eine eigenständige marxistische Konzeption der Totalitarismus-Theorie, die er aber nach der deutschen Invasion in die Sowjetunion wieder fallen ließ. Diese wie andere Fragen zeigen, dass die Diskussion um Rosenberg noch längst nicht abgeschlossen ist. Die Lektüre seiner Schriften lohnt noch immer. Rosenberg verstand es, die marxistische Geschichtsauffassung von der stalinistischen Ideologie zu trennen und das Konzept einer sozialistischen Demokratie zu entwickeln, wenngleich er wohl das rätedemokratische oder basisdemokratische Potential von Massenbewegungen nach einer Revolution überschätzte. Um Lorenzo Riberis wertvolle Arbeit kommt keiner herum, der sich mit Arthur Rosenberg, aber auch mit der Geschichte der KPD, der Weimarer Republik und des deutschen Exils beschäftigt.

Mario Kessler , Potsdam


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