ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

André Steiner, Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR, Deutsche Verlagsanstalt, München 2004, 280 S., geb., 19,90 €.

Die Flut von laufenden oder abgeschlossenen Forschungsprojekten und der stetig neu erscheinenden Literatur belegt den seit 15 Jahren anhaltende Boom der DDR-Forschung. Nicht zu unrecht gelten viele ihre Teilthemen als abgearbeitet und überforscht. Um so erstaunlicher ist es, dass es bis vor kurzem schwierig war, Interessierten eine Einführung in das DDR-Wirtschaftssystem zu empfehlen. Das erstaunt nicht zuletzt, weil Aufstieg, Eigendynamik und Niedergang der DDR kaum ohne Berücksichtigung ihrer ökonomischen Bedingungen und Entwicklungen beschrieben werden können. Zwar gibt es mittlerweile nicht wenige Studien zu einzelnen Aspekten oder Phasen, daneben lässt sich den Darstellungen zu DDR-Gesellschaft und -Politik eine ganze Menge zum Thema Wirtschaft entnehmen, aber die auffällige Lücke wurde erst jetzt durch einen Band des Potsdamer Historikers André Steiner geschlossen. Von ihm lagen bisher eine wegweisende Studie zum Neuen Ökonomischen System der 60er Jahre und eine ganze Reihe kürzerer, fundierter Aufsätze zu weiteren Einzelaspekten vor. Mit der nun vorliegenden Monografie ,,Von Plan zu Plan" schafft es Steiner, die bisherigen Forschungsergebnisse in einer synthetischen Gesamtdarstellung zu bündeln.

Der Autor spannt einen großen Bogen vom zu Ende gehenden Zweiten Weltkrieg bis zu den letzten hilflosen Rettungsplänen der Regierung Krenz im Spätherbst 1989. Dabei will er das Augenmerk auf drei wesentliche Punkte richten: erstens das Entstehen und die institutionelle Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung, zweitens die grundlegenden wirtschaftspolitischen Entscheidungen der SED-Spitze und drittens die konkrete Gestalt der Planwirtschaft einschließlich der beobachtbaren Abweichungen vom eigenen Anspruch. (S. 16) Der Band gliedert sich im wesentlichen chronologisch. In der Einleitung skizziert Steiner wichtige Grundelemente der DDR-Wirtschaft. In sechs folgenden Kapiteln werden die einzelnen Phasen abgehandelt, die sich an der bisher üblichen Unterteilung durch die großen politischen Zäsuren orientieren, also der Verstaatlichung 1948, dem 17. Juni 1953, dem Mauerbau 1961, Ulbrichts Sturz 1971 und dem Höhepunkt der Staatsverschuldung 1982. In den Kapiteln finden sich jeweils Abschnitte zur Industrie-, Landwirtschafts- und Konsumgeschichte. Abgeschlossen wird die Einführung von einer kommentierten Bibliographie, die bei der Vertiefung einzelner Aspekte hilft.

Steiner beginnt mit einer Darstellung der Ausgangsbedingungen und des Anspruchs der Kommunisten, in der SBZ und dann in der DDR ein krisenfestes Plan- und Kontrollsystem nach sowjetischem Vorbild zu errichten. Er schildert detailreich die Prozesse der Enteignungen in Industrie und Landwirtschaft, die Ineffizienzen von Reparationen und Demontagen und betont die Last, die damit dem entstehenden deutschen Teilstaat aufgebürdet wurde. Deutlich wird, wie krisenhaft die Phase der ökonomischen und sozialen Transformationen war und wie sie sich bis tief in die 50er Jahre hineinzog. Gleichzeitig erlitt die SED mit ihrer Wirtschaftspolitik und den damit verbundenen Versprechungen schon am 17. Juni 1953 eine frühe und nachhaltige Niederlage. In den folgenden Kapiteln macht Steiner immer wieder deutlich, wie dieses Ereignis ein defensives Denken in der Staats- und Parteiführung förderte und so relativ viele Ressourcen in die Lohntüten sowie in die Sozial- und Konsumpolitik - und damit auch zu Lasten allgemeiner Investitionen - flossen. Gleichzeitig kann man in dem durchgehend dichten Text nachlesen, wie die SED immer wieder neue Anläufe initiierte, die Ineffizienzen des Planapparates zu überwinden. Die Reformen nach 1961, also die Zeit des Neuen Ökonomischen Systems erscheinen hier nur als der weitreichendste Versuch, dessen ursprüngliche Ziele und Ansprüche aber nie umfassend in die politische und ökonomische Praxis umgesetzt wurden. Das weltanschauliche Korsett des Marxismus-Leninismus und nicht zuletzt die Vorgaben aus dem Moskauer Kreml setzten dieser Wirtschaftspolitik immer wieder enge Grenzen.

Gerade in den Darstellungen zu den 60er und 70er Jahren versäumt es der Autor auch nicht auf die relativen Erfolge der DDR-Wirtschaft hinzuweisen. In mancher Phase, wie gegen Ende der 60er Jahre, konnten beachtliche Wachstumsziffern erreicht werden, Industrie und Landwirtschaft durchliefen Modernisierungsprozesse und der Lebensstandard der Bevölkerung konnte spürbar erhöht werden. Die Fixierung auf eine materielle Beschwichtigung der Menschen sollte sich in der Ära Honecker aber zunehmend gegen das System selbst richten. Denn die verkündete ,,Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik" erwies sich unter den veränderten Bedingungen der Weltwirtschaft ab Mitte der 70er Jahre zunehmend als nicht mehr finanzierbar. Auf der einen Seite stiegen die Sozial- und Konsumausgaben des Staates sowie die Weltrohstoffpreise stetig an, auf der anderen Seite verloren die DDR-Exportindustrien wegen des informationstechnischen Vorsprungs des Westens immer mehr ihrer Weltmarktanteile. Diese auseinander klaffende Schere führte die DDR in die Schuldenkrise. 1982 war hier mit über 25 Mrd. Valutamark Westverschuldung ein Tiefpunkt erreicht, der kurzfristig nur über die zwei Milliardenkredite der westdeutschen Bundesregierung überwunden werden konnte. Steiner beschreibt die 80er Jahre in jederlei Hinsicht als eine sich aufschaukelnde Krisenzeit. Der Wille zur innergesellschaftlichen Mobilisierung war der SED längst verloren gegangen, eine voranschreitende Zentralisierung und Kontrolle ersetzte weitergehende Reformdiskussionen. Ab 1988 wurden die ökonomischen Probleme evident und in der engeren SED-Führung wurden weitergehende Einschnitte im Sozial- und Konsumbereich diskutiert. Letztlich erübrigten sich diese Überlegungen durch die politischen Proteste des Jahres 1989 und die voranschreitende Implosion des kommunistischen Systems. Steiner schließt seine Darstellung mit dem Hinweis auf die ,,Unfähigkeit des sozialistischen Wirtschaftssystem, strukturellen sowie technisch-innovatorischen Wandel systemimmanent hervorzubringen" als ,,entscheidende Ursache für die wirtschaftliche Schwäche der DDR in ihrem letzten Jahrzehnt" (S. 226).

Trotz der wiederholten Betonung der systemimmanenten Innovationsschwäche legt sich Steiner damit aber nicht eindeutig fest, ob das Ende der DDR-Wirtschaft schon mit der Einführung der Planwirtschaft 1948 dem Untergang geweiht war - wie es beispielsweise der einflussreiche Wirtschaftshistoriker Christoph Buchheim getan hat -, oder ob die DDR nicht doch bis zu einem gewissen Grade Erfolge verzeichnen konnte und es erst die Verkettung von verschärften Weltmarktbedingungen und zunehmender innerer politischer Erstarrung war, die das Ende besiegelten. Eine solche Festlegung hat das Buch aber auch nicht nötig, denn sein großer Vorteil besteht gerade darin, 40 Jahre sozialistische Planwirtschaft detail- und faktenreich aufbereitet zu haben ohne die vielen Graubereiche und Uneindeutigkeiten der Entwicklungen auszublenden. Seine große Stärke besteht in der gelungenen Kombination aus Politik-, Produktions- und Konsumptionsgeschichte. Die traditionelle Wirtschaftgeschichte hat ja gerade letzteren Bereich gerne vernachlässigt. Steiner macht hingegen anschaulich, wie in der DDR wirtschaftspolitische Entscheidungen oder Fragen der Systemstabilität maßgeblich von Konsum und Lebensstandard beeinflusst wurden. Deutlich wird auch, dass sich die bisherige DDR-Wirtschaftsgeschichte weitgehend auf die makroökonomische Ebene konzentriert hat und sich relativ wenig um die Produktionsbedingungen in den Staatsbetrieben selbst gekümmert hat (S. 16). Insofern zeigt Steiner auch Lücken und Perspektiven der DDR-Forschung auf. Insgesamt eignet sich der Band für eine breite Leserschaft als grundlegende Einführung in DDR-Wirtschaft. Zeitgeschichtlich Interessierte, Studierende oder wirtschaftshistorische Fachkollegen werden es gleichermaßen mit Gewinn lesen.

Armin Müller, Konstanz


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