ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Thomas Großbölting/Hans-Ulrich Thamer (Hrsg.), Die Errichtung der Diktatur. Transformationsprozesse in der Sowjetischen Besatzungszone und in der frühen DDR, Aschendorff Verlag, Münster 2003, 268 S., brosch., 35,00 €.

An Arbeiten, die sich mit der Etablierung der KPD/SED-Herrschaft in der sowjetischen Besatzungszone und der frühen DDR beschäftigen, herrscht derzeit kein Mangel. Das Schwerpunktprogramm ,,Diktaturen im Europa des 20. Jahrhunderts" der VW-Stiftung förderte in den letzten Jahren eine Vielzahl von Projekten. Mit dem vorliegenden Sammelband erscheinen nun weitere Forschungsergebnisse eines an der Universität Münster angesiedelten Projekts zu Transformationsgesellschaft und Stalinisierung in der SBZ/DDR.(1)

Mit der ,,Diktaturetablierung" (S. 1) wird bisherigen Versuchen, die Jahre nach 1945 zu fassen, eine weitere Begrifflichkeit hinzugefügt. ,,Diktaturentfaltung" (S. 2) ,,Diktaturdurchsetzung"(2) und ähnliche Wortschöpfungen weisen allesamt auf den prozesshaften Charakter bei der Errichtung der KPD/SED-Herrschaft hin. Hier gilt es, Kontinuitäten, Diskontinuitäten und Transformationsprozesse zu beobachten - ein Anliegen, dem sich die Autoren des Sammelbands in drei gesellschaftlichen Feldern zuwenden.

Im Mittelpunkt der Beiträge stehen Untersuchungen auf der Mikro- und Mesoebene, die die Veränderung einer ,,überkommenen Gesellschaft im Sinne einer strukturellen Entdifferenzierung und eines Verlustes der sozialen Selbstbestimmung" (S. 3) beleuchten sollen. Gerade die Betrachtung bisher noch nicht ausreichend berücksichtigter Gesellschaftszweige, die von der Diktatur in besonderem Maße erfasst wurden, erscheint vielversprechend. Denn die ländliche Gesellschaft, die private Wirtschaft und der gewerblich-industrielle Mittelstand sowie die Sozial- und Statusgruppe der Flüchtlinge und Vertriebenen sind noch nicht in ausreichendem Maße zum Gegenstand neuerer Forschungen geworden.

Ohne eine vollständige Beschreibung der Veränderungen in der ländlichen Gesellschaft liefern zu können, beschreibt Sabine Marquardt am Beispiel Mecklenburg-Vorpommern den wichtigen Beitrag der Bodenreform für die Entdifferenzierung und soziale Umstrukturierung auf dem Lande. Die Agrarpolitik von SMAD und KPD/SED stellte nur vordergründig eine Antwort auf die wirtschaftlichen Probleme der Nachkriegszeit dar. Vielmehr stand der herrschaftssichernde Aspekt im Vordergrund. Jens Murken untermauert diese Sicht, wenn er die Vereinigung gegenseitiger Bauernhilfe (VdgB) als ,,System aus Hilfe, Beratung und Kontrolle, das der Partei die Nivellierung und ´Durchherrschung´ der bäuerlichen Gesellschaft ermöglich sollte" (S. 86), beschreibt. Jochen-Christoph Kaiser geht dagegen der Frage nach der Politisierung der Kirchen durch die Bodenreform nach.

Ein wichtiges Forschungsfeld betreten Rüdiger Schmidt, Thomas Großbölting und Armin Owzar mit ihren Ausführungen zur Transformation der Wirtschafts- und Sozialverhältnisse nach 1945. Hier stehen nicht die Enteignung der Großindustrie, sondern die Veränderungen beim gewerblich-industriellen Mittelstand im Zentrum des Erkenntnisinteresses. Sequestrierung und Enteignung, Demontagen und Reparationen, die Abhängigkeit von staatlicher Materialzuweisung und der Planwirtschaft engten die Möglichkeiten privat- und marktwirtschaftlichen Handelns zunehmend ein. Da eine Organisation zur Interessensartikulation in der entstehenden Diktatur kaum möglich war, bildete die Verlagerung der Aktivitäten in die Schattenökonomie und vor allem die ,,Flucht in den Betrieb" (S. 166) eine Reaktion der Gewerbetreibenden. Ein ökonomisch starker Betrieb, der in bestimmten Wirtschaftsfeldern unentbehrlich war, konnte staatliche Eingriffe relativieren. Dies galt aber mehr für das produzierende Gewerbe als für den Groß- und Einzelhandel, der auf die staatliche Warenzuteilung angewiesen war. Den ,,heißen" und ,,kalten" Enteignungen in der Nachkriegszeit folgte in den fünfziger Jahren eine Phase der ,,stillen Umgestaltung" (S. 167). Hier wurde vor allem indirekt die Umwandlung und Einbeziehung der noch vorhandenen Privateigentümer an Produktionsmitteln betrieben.

Während die vorgenannten Aufsätze gesellschaftliche Schichten und Bereiche thematisieren, wendet sich ein dritter Abschnitt des Sammelbandes der Sozial- und Statusgruppe der Flüchtlinge und Vertriebenen zu, die von der SED euphemistisch als ,,Umsiedler" bezeichnet wurden. Von den über elf Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen lebten 1950 etwa 4,3 Millionen - ein Viertel der Gesamtbevölkerung - in der DDR. Michael Schwartz, der sich jüngst mit einer Studie zur ,,Umsiedlerpolitik" habilitiert hat(3), geht dabei lastenausgleichenden Entschädigungsleistungen für vertreibungsbedingt verlorenes Vermögen in der SBZ/DDR nach. Heike von Hoorn beschreibt den doppelten ,,Kulturschock" für Einheimische und ,,Antifa-Umsiedler" aus Nordböhmen, die im Dorf Zinna bei Jüterborg Aufnahme fanden.

Michael Grottendieck untersucht dagegen bisher nur am Rande betrachtete Versuche aus SED-Kreisen, auf die nicht zufriedenstellende Situation von Flüchtlingen und Vertriebenen in der SBZ/DDR mit der Gründung eigenständiger Verbände zu reagieren. So existierte bis 1947 ein ,,Schlesierausschuss" in der VVN Thüringen, in Malchin konstituierte sich der ,,Deutsche Umsiedlerverband". Das Malchiner Beispiel zeigt aber, dass lokale Gegebenheiten für die Initiativen einzelner SED-Mitglieder ausschlaggebend waren, denn der Anteil der Umsiedler im Kreis betrug über 50 Prozent, zudem waren mangels eines ,,Umsiedlerausschusses" keinerlei Mitwirkungsmöglichkeiten auf Kreisebene gegeben. Auf Seiten der SED überwog jedoch die Angst vor dem Unruhepotential der Vertriebenen, so dass sich nicht einmal eine mögliche Politik der ,,kontrollierten Partizipation" ergab. Spätestens mit der Auflösung der Deutschen Zentralverwaltung für Umsiedler im Frühjahr 1948 gewannen repressive Züge die Oberhand, konzeptionell erschien die Assimilation der Umsiedler fortan als der einzig mögliche Weg.

Insgesamt enthält der Sammelband gelungene Lokal- und Regionalstudien, die die Etablierung der KPD-/SED-Diktatur im landwirtschaftlichen und gewerblich-industriellen Sektor beschreiben und zudem die Sozial- und Statusgruppe der Flüchtlinge und Vertriebene einbeziehen. Die Stärke der Beiträge ist aber zugleich auch die Schwäche von Sammelbänden. Eine Gesamtschau kann die Summe von Detailstudien nicht leisten.

Michael Parak, Leipzig




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