ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Astrid M. Eckert, Kampf um die Akten. Die Westalliierten und die Rückgabe von deutschem Archivgut nach dem Zweiten Weltkrieg, Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2004, 534 S., geb., 68,00 €.

Die Autorin, Mitarbeiterin am Deutschen Historischen Institut in Washington, erhielt 2004 den Friedrich Meinecke Preis der Freien Universität Berlin für ihre als Dissertation eingereichte Arbeit. Sie hat im ,,Kampf um die Akten" einen Aspekt der deutschen Nachkriegsgeschichte aufgegriffen und ist der Meinung, ihr Untersuchungsgegenstand sei bisher ,,vornehmlich von Archivspezialisten als Archivgeschichte" dargestellt worden. Dem möchte sie eine ,,Weitwinkelperspektive" entgegensetzen, ,,die quellengestützt alle Akteure einbezieht" und ,,Motivationen einzelner Ressorts und Archive ausleuchtet". Besonders die Rolle der Briten werde erstmals dargestellt.

Der Hauptteil der Arbeit behandelt in chronologischer Abfolge den Zeitraum von 1944 bis 1958. Er beginnt mit der Schilderung der alliierten Vorbereitungen für die Beschlagnahmung der deutschen Akten im Zug der erwarteten Besetzung Deutschlands. Wir erfahren, dass sich von 1944 bis 1947 zahlreiche westalliierte Stellen mit den Beuteakten befasst haben. Briten und Amerikaner hatten unterschiedliche Interessen, die Zusammenarbeit sei nicht immer reibungslos verlaufen. Ein Abkommen zwischen ihnen besagte, dass Akten, soweit sie in der Zeit des gemeinsamen Oberkommandos erbeutet worden waren, gemeinsamer Besitz bleiben sollten. Das habe später zur Folge gehabt, dass die Briten in der Lage waren, deutsche Rückgabeforderungen abzuwehren.

Die Autorin legt dar, dass die Amerikaner vor allem Partei- und Militärakten beschlagnahmten, sie hätten sich davon, außer nachrichtendienstlichen Erkenntnissen, eine ideologische Abrüstung der deutschen Bevölkerung versprochen. Für die Briten, insbesondere die Forschungsabteilung des Foreign Office, lasse sich ein besonderes Interesse an den deutschen diplomatischen Akten nachweisen. Man hoffte durch sie die deutsche Verantwortung für den Krieg belegen zu können.

Die erbeuteten Akten seien in mehreren Document Centern gesammelt worden. Die Akten des früheren Auswärtigen Amts wurden zu einem Politikum. Zwischen Briten und Amerikanern erwuchsen Divergenzen und Spannungen, die verschiedene Umzüge des Materials zur Folge hatten. Die Verfügungsgewalt über die Dokumente sei eine Machtfrage gewesen. Die Odyssee der diplomatischen Akten endete zunächst 1948. Sie wurden als Frachtgut auf den Rückflügen der leeren ,,Rosinenbomber", die Berlin während der Blockade versorgten, ausgeflogen und nach England gebracht. Im Landhaus Whaddon-Hall in der Nähe von Oxford setzten britische und amerikanische Historiker die Arbeiten an der Aktenpublikation ,,Documents on German Foreign Policy" fort, die sie 1946 in Berlin begonnen hatten. Die deutsche Politik von 1918 bis 1939 sollte auf Grund eines Abkommens zwischen dem britischen und amerikanischen Außenministerium dokumentiert werden.

Genauer als es bisherige Veröffentlichungen erreichen konnten, schildert die Autorin auf Grund eines intensiven Aktenstudiums die interne Entscheidungsabfolge der amerikanischen und der britischen Regierungen, die französische Seite wird vernachlässigt.

Größten Respekt verdienen die umfangreichen Archivrecherchen, besonders in der Frage der Aktenrückführung, die im Zentrum der Untersuchung steht. Die Autorin glaubt, zu neuen Bewertungen gekommen zu sein, indem sie die Verhandlungsführung des Bundeskanzleramts und des Auswärtigen Amts als ,,wenig diplomatisch" beschreibt. Die deutsche Seite habe zu oft ,,kategorische Maximalforderungen" erhoben, sich ,,unflexibel" verhalten und damit die sukzessive Rückgabe der Akten, die von den Alliierten seit Juli 1951 angeboten worden sei, um Jahre verzögert. Adenauer und das Auswärtige Amt hätten sich an einer Verhandlungsführung orientiert, die die Verfügungsgewalt über die Akten als eine ,,Frage des Prestiges" (S. 456) und als ,,Gradmesser für das Ausmaß der Souveränität" einordnete (S. 300). Das Auswärtige Amt habe bei der Aufgabe versagt, deutschen Historikern wieder Zugang zu den diplomatischen Akten zu verschaffen und mehr gegen als mit den Historikern gearbeitet.

Um diese Thesen der Autorin zu überprüfen, soll im Folgenden die Hauptlinie dieser Verhandlungen anhand der Dokumente des Politischen Archivs nachvollzogen werden. Erste deutsche Rückgabeforderungen erfolgten am 23. Februar 1950. Das Bundeskanzleramt übergab der Alliierten Hohen Kommission (AHK) ein Aide-Mémoire mit der Frage, ob die Akten des früheren Auswärtigen Amts ,,der Bundesregierung wieder zur Verfügung gestellt werden können" (S. 168). Die Alliierten antworteten am 3. Mai, die Akten würden für Editionsarbeiten benötigt, man wolle sie aber ,,period by period" zurückgeben, sobald die Historiker ihre Aufgabe erfüllt hätten. Hierfür nicht benötigtes Material, 40 Tonnen (Personal-, Kassen- und Haushaltsakten) wurde 1950/51 aus Großbritannien nach Bonn transferiert.

Am 17. Juni 1950 teilte Adenauer der AHK mit, er ,,wäre dankbar", wenn dem Wunsch des Bundestags vom 11. Mai 1950 auf Rückgabe der ,,Archive der früheren Reichsbehörden sowie der verschiedenen Wehrmachtstäbe und der obersten Parteistellen" entsprochen werden könnte. Diesen Schritt interpretiert die Verfasserin ,,als kategorische Maximalforderung nach Rückgabe aller Akten". Dies sei ,,der am wenigsten erfolgversprechende Weg gewesen, den das Auswärtige Amt hatte wählen können" (S. 181). Dabei stellt sie nicht genügend heraus, dass Adenauer dem Beschluss des Deutschen Bundestags nachkommen wollte. Sie übersieht auch, dass das Auswärtige Amt erst am 15. März 1951 wieder eingerichtet wurde.

Die Alliierten antworteten am 22. Juli 1950, dass zurzeit eine Überprüfung deutscher Archive vorgenommen werde, und verwiesen auf ihre Bereitschaft, die Archive des Auswärtigen Amts in gewissen Zeitabschnitten zurückzugeben. Adenauer ging auf die Beschränkung des Rückgabeangebots ein und nahm davon Abstand, alle beschlagnahmten Akten zurückzufordern. Er bat am 17. Mai 1951 die AHK um beschleunigte Rückgabe der Akten des Auswärtigen Amts. Auf dieses Schreiben, das die Autorin nur im Anhang nennt, antwortete die AHK mit einer Note vom 6. Juli 1951. Sie bot eine Zwischenlösung an, einige Akten könnten sofort, andere bis 1952 zurückgegeben werden. Ein deutscher Verbindungsbeamter könne uneingeschränkten Zugang zu allen Akten bekommen. Weiter seien die drei alliierten Chefredakteure der Aktenedition bereit, einen für sie annehmbaren deutschen Historiker an der Editionsarbeit in Whaddon-Hall zu beteiligen. Eine endgültige Rückgabe der gesamten Archive des Auswärtigen Amts sei wegen der Dokumentationsarbeiten nicht möglich.

Adenauer schlug am 24. Mai 1952 vor, die Angelegenheit ,,zum Gegenstand von Besprechungen zwischen Vertretern der Bundesrepublik, der Vereinigten Staaten, Frankreichs und des Vereinigten Königreichs" zu machen. Die deutsche Seite drängte auf Beginn der Verhandlungen. Sie wurde vom französischen Angehörigen der AHK im September unterrichtet, dass den hiesigen Vertretern keine Instruktionen vorlägen. Am 31. Oktober 1952 fand die erste Besprechung betreffend Rückgabe der Akten des Auswärtigen Amts statt. Der britische Vertreter war der Meinung, dass die Fertigstellung der Aktenpublikation ,,noch 5 bis 8 Jahre" in Anspruch nehmen werde. Diese, die deutschen Vertreter deprimierende Aussage, wird von der Autorin nicht erwähnt.

Das Schreiben Adenauers an die AHK vom 28. November 1952 nimmt Bezug auf die Besprechung am 31. Oktober und die Antwort der Alliierten vom 6. Juli 1951. Er dankte für das partielle Entgegenkommen, nun sei aber die Zeit gekommen, um ,,diese als Provisorium gedachte Lösung durch eine endgültige Regelung zu ersetzen". Er wiederholte die Bitte um sofortige Rückgabe der gesamten Akten des Auswärtigen Amts und ,,wäre für die tunlichst beschleunigte Fortsetzung der Verhandlungen dankbar". Die Aktenpublikation könne ohne Verzögerung in Deutschland fortgesetzt werden. Der Kommentar der Autorin lautet: ,,Das Schreiben [Adenauers] wischte statt dessen das alliierte Angebot vom Tisch". Er ,,erwartete von der Hohen Kommission - nicht unbescheiden - die tunlichst beschleunigte Anberaumung eines neuen Verhandlungstermins. [...] Die Karriere der alliierten Note vom 6. Juli im Auswärtigen Amt lässt sich nur als intentionales Missverständnis beschreiben: Nachdem sich die Bonner Diplomaten auf ihre kategorische Maximalforderung festgelegt hatte [sic], wollte man auch gar nicht mehr verstehen, was die West-Alliierten angeboten hatten" (S. 202, 289). Adenauer werden Worte zugeschrieben, die von der Autorin stammen.

Ein anderes Beispiel ungenauer Interpretation findet sich in der Schilderung der Sitzung am 11. August 1955 mit alliierten Vertretern im Auswärtigen Amt. Die Autorin schreibt: ,,Der deutsche Verhandlungsführer, Hardo Brückner, erhob die kategorische Maximalforderung nach Rückgabe aller deutscher Akten, worauf die Alliierten wie einstudiert antworteten, dass sie nur über die diplomatischen Akten konferieren könnten." Das deutsche Dokument sagt etwas anderes aus: ,,Vor Eintritt in die Verhandlungen über Einzelpunkte, sagte Herr Dr. Brückner, wolle er dem Wunsch Ausdruck geben, die Verhandlungen nicht nur auf die Rückgabe der Akten des Auswärtigen Amts zu beschränken, sondern auch auf die Rückgabe der gesamten Akten des ehemaligen deutschen Reiches auszudehnen." Die Alliierten entgegneten, ihre Regierungen würden das deutsche Ersuchen überprüfen. Sie seien dann ,,gerne bereit, auch in Verhandlungen über diese Akten einzutreten". Die Autorin verschärft offensichtlich die Sprache der Dokumente, ein Vorgang der wiederholt zu beobachten ist.

Nach der Aussage von Eckert hat Walter Hallstein in einem Schreiben an den Staatsekretär im Bundesinnenministerium vom 19. April 1955 die Unwahrheit gesagt: ,,Wider besseres Wissen behauptete Hallstein abschließend noch, das alliierte Angebot [vom 6.7.1951] hätte nur einen deutschen Wissenschaftler vorgesehen." (S. 199). Tatsächlich steht das genau so in dieser Note der Alliierten. Hallstein hat in aber hinzugefügt, dass sich in den weiteren Verhandlungen herausgestellt habe, dass ein ,,Stab von Mitarbeitern" gemeint gewesen sei. Das wird dem Leser vorenthalten. Handwerkliche Fehler bei der Interpretation von Dokumenten sind vor allem dann erkennbar, wenn die Autorin die vorgefasste Richtung ihrer Darstellung beweisen will.

Die Intention Eckerts, der Haltung des Bundeskanzleramts und des Auswärtigen Amts in den Verhandlungen über die Aktenrückgabe ,,Ergebnislosigkeit" zu unterstellen und die Unfähigkeit der Diplomaten zu betonen, gipfelt in einer nicht nachvollziehbaren Zuordnung eines Dokuments, das in den Akten des Politischen Archivs als Entwurf abgelegt ist. Das Schriftstück ist undatiert, ohne Journalnummer und ohne Unterschrift. Es trägt die Überschrift: ,,Aufzeichnung über die Etappen der Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und den Drei Mächten über Rückführung der Akten des Auswärtigen Amts". Der unbekannte Autor stellt fest: ,,die deutsche Seite hätte bei sofortigem Zupacken bereits 1952 soweit sein können wie 1956". Diese Aussage hat in der Aufzeichnung des Referatleiters Ullrich vom 17. September 1956, in der der Verlauf der bisherigen Verhandlungen aufgelistet wurde, keinen Eingang gefunden. Die Autorin ignoriert die Problematik des Dokuments und hebt die zitierte Passage durch Kursivsetzung hervor. Sie nennt als Verfasser ausdrücklich Ullrich, um ihrer Argumentation mehr Gewicht zu geben (S. 297). Es stellt sich die Frage, ob ihr der eindeutige Charakter des Schriftstücks als Entwurf nicht aufgefallen ist oder ob sie sich bewusst über die Grundregeln einer sachgemäßen Dokumentenauslegung hinweggesetzt hat. Beide Verhaltensweisen wären mit einer seriösen Darstellung unvereinbar. Die kursorische Schilderung der Darstellung Eckerts bezüglich der Aktenrückgabeverhandlungen hat erkennen lassen, dass Dokumente einseitig interpretiert werden.

Die Autorin hat Argumente übernommen, die das Bundesinnenministerium und Gerhard Ritter, die über den amtlichen Verhandlungsablauf nicht vollständig orientiert waren, 1953 dem Auswärtigen Amt entgegengehalten haben. Sie sind schon damals zu Recht in scharfer Form zurückgewiesen worden. Das Innenministerium, instruiert von Ritter, war der Ansicht, es sei den deutschen wissenschaftlichen und politischen Belangen ein sehr schwerer Nachteil zugefügt worden und sprach von einer ,,Schädigung deutscher Interessen". Ritter hatte die Annahme der alliierten Bedingungen gefordert, darunter die deutsche Beteiligung an der alliierten Edition ,,unabhängig von der Frage der Rückgabe der Akten".

In der Frage der Aktenrückführung gab es für das Auswärtige Amt keine zufriedenstellende Alternative zu der Haltung, die in den Dokumenten als deutsche Position überliefert ist. Im Amt nahm man 1952 an, dass die Alliierten ihre letzte Serie der Aktenpublikation erst in ,,28-30 Jahren" abschließen würden, solange wollte man nicht warten. Man erkannte, dass für die Dauer der alliierten Editionsarbeiten ein wichtiger Teilbestand der Akten nicht zurückgegeben werden würde. Daran konnte auch eine deutsche Beteiligung in England nichts ändern, sie würde aber wegen der langen Dauer der dann von der Bundesrepublik unterstützten Forschungsarbeit die Gesamtrückgabe auf die lange Bank schieben. Hinzu kam, dass von den Alliierten unverbindlich stets neue Jahreszahlen genannt wurden, wann die Publikation beendet sein sollte. Das ,,Jonglieren mit Zahlen" erweckte im Amt kein Vertrauen in die Angebote der Gewahrsamsmächte. Heute wissen wir, dass bis zur Beendigung der Arbeiten in Whaddon-Hall und Bonn ab 1952 noch 43 Jahre benötigt worden sind. Die Ablehnung des alliierten Vorschlags von 1951 bezüglich einer Teilnahme deutscher Historiker an den Editionsarbeiten ist somit durchaus gerechtfertigt, sie war die Voraussetzung für die Rückgabe aller diplomatischen Akten in absehbarer Zeit.

Die Kritik der Autorin an der deutschen Verhandlungsführung des Auswärtigen Amts wird weitgehend in die Dokumente des Politischen Archivs hineininterpretiert. Sie unterstellt den deutschen Verhandlungsführern, wiederholt auf kategorischen Maximalforderungen bestanden zu haben, und will nicht anerkennen, dass Adenauer und das Auswärtige Amt in Anbetracht der Machtverhältnisse sich kompromissbereit gezeigt haben, indem sie davon Abstand nahmen, alle beschlagnahmten Akten zurückzufordern. Wie sich ein Eingehen auf den alliierten Vorschlag von 1951 ausgewirkt haben könnte, und wie der Widerstand der alliierten Historiker gegen eine Teilrückgabe der diplomatischen Akten hätte überwunden werden sollen, bleibt im Dunkeln. Selbst das Foreign Office konnte sich gegen die Front der grundsätzlich deutschfeindlichen britischen Historiker nicht durchsetzen. Amerikanische Vertreter sahen bei den Verhandlungen zur Aktenrückgabe nicht, wie die Autorin, in der Haltung der Bundesregierung den Hauptgrund für die Verschleppung einer Lösung. Sie kritisierten bei Gesprächen mit der deutschen Seite die ,,starre Haltung" der Engländer.

1956 beendete das Abkommen über die Rückgabe aller diplomatischen Akten bis 1958 die Verhandlungen, die deutschen Unterhändler erwiesen sich wieder als konzessionsbereit. Dazu konnte es nur kommen, weil es dem Foreign Office gelungen war, den Widerstand der einflussreichen britischen Historiker zu umgehen. Ministerialdirektor Grewe bewertete am 7. Januar 1957 die Verhandlungsposition des Auswärtigen Amts als ,,zweckmäßigste Taktik" und als ,,vorsichtige Behandlung der Rückführungsangelegenheit", indem man auf eine generelle Rückführung aller beschlagnahmten Akten verzichtet habe. Zahlreiche Dokumente weisen aber aus, dass die interne Meinungsbildung im Amt nicht immer gradlinig verlief, sie beruhte auf der Bündelung verschiedener Überlegungen kompetenter Mitarbeiter, die die Ratschläge der alliierten Vertreter in der AHK in ihre Haltung miteinbezogen. Darauf geht Eckert nicht genügend ein.

Die Autorin konstatiert schließlich, nicht die Behinderung der Verwaltung sei für die amtliche deutsche Seite vorrangig für das Drängen auf Aktenrückkehr gewesen, sondern das Verlangen, die Deutungsmacht über die deutsche Geschichte wiederherzustellen. Für die Richtigkeit dieser These wird auf Kapitel V, ,,Ad Fontes. Die deutschen Akten und die Geschichtswissenschaften" verwiesen. Hier sucht man vergebens nach amtlichen Ausführungen der ,,Bonner Politik" zu diesem Thema. Ihre Behauptung beweist einmal mehr, dass sie die Dokumente nicht sorgfältig gelesen hat. So beklagte Ministerialdirigent Löns im Mai 1953, dass durch das Fehlen der Akten ,,die Verwaltungsarbeit außerordentlich erschwert" werde. Das Argument der Deutungsmacht mag für Historiker und Journalisten zutreffen, verkennt aber die außerordentliche Wichtigkeit der Akten für den Geschäftsbetrieb. Die Autorin missdeutet die Einstellung der führenden Vertreter des Auswärtigen Amts, die vornehmlich in juristischen Kategorien dachten.

Auf S. 179 bemerkt die Autorin richtig, in der frühen Bundesrepublik hätten die Bemühungen um ,,die Begnadigung der Kriegsverbrecher oder die Rehabilitierung und Entschädigung der ,Entnazifizierungsopfer'" im Vordergrund gestanden. In ihrer Schlussbemerkung gibt Eckert aber zu bedenken, dass die Bundesregierung ein ,,wahrscheinlich schlagkräftiges Argument zur Beschleunigung der Rückgabe", nämlich die Strafverfolgung von NS-Gewaltverbrechern nicht vorgebracht habe (S. 458). Das ist unhistorisch gedacht und mit ihren Ausführungen über die politische Situation in den 50ger Jahren nicht in Übereinstimmung zu bringen. Damals ging es der Bundesregierung vornehmlich um Strafvereitelung.

Bei einigen Sonderthemen, wie z.B. dem Loesch-Film, der Windsor-Akte, der Entstehung der alliierten Edition und der Überprüfung der deutschen Aktenveröffentlichung ,,Die Große Politik der europäischen Kabinette", kommt die Autorin nicht über das bereits Bekannte hinaus. Hier sind die Arbeiten von George O. Kent, Paul R. Sweet und Sacha Zala aussagekräftiger. Deren Veröffentlichungen hat die Autorin mit abgestuften Zensuren versehen. Auch der Rezensent, Absolvent des Friedrich-Meinecke-Instituts, hat als ehemaliger Mitarbeiter des Politischen Archivs in einem Aufsatz die Rückgabeverhandlungen behandelt (VfZ 1999, H. 2), ebenso wie Josef Henke vom Bundesarchiv (VfZ 1982, H. 4).

In einem interessanten Kapitel beschäftigt sich die Autorin mit der personellen Besetzung des Bundesarchivs, nachdem die Archivare das ,,Fegefeuer der Entbräunung" überstanden hatten. Neue Erkenntnisse bringen die Abschnitte über die Rückgabeverhandlungen bezüglich der deutschen militärischen Akten und über die Benutzung der Akten des Politischen Archivs des Auswärtigen Amts in Bonn. Weitgehend werden die interessengeleiteten Ausführungen des Referatsleiters Ullrich übernommen. Die Autorin attestiert ihm einen ,,unerschütterlichen Glauben an die Durchsetzungskraft ,der' historischen Wahrheit im Zuge wissenschaftlicher Kontroversen". Zutreffender als diese Feststellung scheint die Erkenntnis zu sein, dass Ullrich sich gegen Weisungen seiner Vorgesetzten wehrte, um so weit wie möglich die Souveränität über die Entscheidungen zu behalten, die sein Referat betrafen. Auseinandersetzungen gab es besonders in der Frage der Zulassung osteuropäischen Wissenschaftler zum Archiv. Überraschenderweise bestand das State Department nicht auf strikter Einhaltung der Zugangsgarantie. Ullrich musste sich in bestimmten Fällen gegen seine Überzeugung restriktiv verhalten und mit Hilfe von Ausflüchten den Aktenzugang erschweren.

Aufgefallen sind einige unzulässige Wortneuschöpfungen wie ,,Dokumententeam" und ,,sensationalistisch". Unbehagen bereiten zufällig entdeckte Fehler: eine falsch entschlüsselte Paraphe (Löns statt Pfeiffer, S. 289, Anm.124), unrichtige Datumsangaben und gelegentliche unzutreffende Namens- und Seitenangaben.

Aussagen der Autorin, wie ,,in Bonn setzte angesichts der Antwort das große Schulterklopfen ein" und das Auswärtige Amt habe konstruiert, deutsche Historiker hätten in England unter der Bedingung ,,wissenschaftlicher Frondienste unter alliierter Knute" (S. 296) zu arbeiten, sind Beispiele dafür, wie bei den Lesern Assoziationen hervorgerufen werden sollen, die mit den damaligen Befindlichkeiten wenig zu tun haben. Und was kann man sich bei dem Satz vorstellen: ,,Die Zeitgenossen hatten an dieser Stelle einen blinden Fleck" (S. 277)?

Auf dem Kieler Historikertag ist erstmals der Hedwig-Hintze-Preis für die beste Dissertation vergeben worden. Die Arbeit von Astrid Eckert setzte sich in einem zweistufigen Auswahlverfahren gegen zwölf eingereichte Manuskripte durch. Wie mir der Vorsitzende des Historikerverbands, Professor Dr. Manfred Hildermeier, mitgeteilt hat, habe er in Kiel ausgeführt, die Gutachter seien beeindruckt gewesen von den ,,ausgedehnten und eindringlichen Archivrecherchen" und vom Vermögen der Autorin, einen begrenzten Gegenstand ,,auf eindrucksvolle Weise als Teil größerer Zusammenhänge darzustellen". Diese hätten das große kompositorische Geschick und die ausgesprochene Fähigkeit, ,,elegant und bildkräftig, dabei präzis und geschmeidig zu formulieren" gelobt. (Vgl. auch Pressemitteilung des Deutschen Historikerverbandes in: http://idw-online.de/pages/de/news85805, [13.1.2005]).

Der Rezensent stimmt dieser Beurteilung zu, gibt aber zu bedenken, ob bei einer Studie, die sich vornehmlich auf Archivbestände stützt, nicht der beeindruckende Arbeitsaufwand und die eloquente Formulierungskunst, sondern zu allererst die verlässliche Interpretation der Dokumente und ihre vorurteilslose Bewertung im Vordergrund stehen sollten. Bildkräftige Ausführungen ohne ausreichende Quellengrundlage und ohne Einbettung in den historischen Kontext dürfen nicht der Maßstab sein für die Bewertung eines Manuskripts mit wissenschaftlichem Anspruch.

Roland Thimme, Meckenheim


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