ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Klaus Schütz

Und Berlin bleibt frei

Es ist schon erstaunlich, was dieser dritte Band der Berliner Ausgabe der Schriften und Reden von Willy Brandt zu bieten hat. Das muss der Rezensent, der selbst einer der Nachfolger Willy Brandts im Amt des Regierenden Bürgermeisters war, unumwunden konstatieren. Im Auftrag der Willy-Brandt-Stiftung wird hier - wohl dokumentiert - über Willy Brandt, den Politiker und Regierenden Bürgermeister von Berlin berichtet: über die vielen Kämpfe, die er in der eigenen Partei zu bestehen hatte, über die enormen Hindernisse, die er überwinden musste, um sich dann letztendlich doch als die herausragende Führungskraft der deutschen Sozialdemokraten und als ihr wichtigster politischer Hoffnungsträger durchzusetzen, der weit über Berlin und weit über Deutschland hinaus wirkte.

1.

Genau das wird hier unter dem Motto Berlin bleibt frei geschildert. Überzeugend in der Auswahl aus einem schier unergründlichem Vorrat an Quellen und packend in der Vorbildlichkeit seiner Interpretation. Das Fazit: Obwohl die Masse an Materialien, an Biographien und an Deutungsversuchen der vielfältigsten Art, die heute zur Verfügung steht, fast erdrückend zu sein scheint, ist es dem Herausgeber Siegfried Heimann gelungen, eine Präsentation von großer Überzeugungskraft zustande zu bringen. Mit seiner Einführung zu diesem Band hat er eine Leistung vorgelegt, die erstaunlich ist in ihrer Präzision und überzeugend in ihrer Eindringlichkeit.

Dieser Quellenband ersetzt nicht - das sei mit allem Nachdruck gesagt - die vielen Einzeluntersuchungen, die in den vergangenen Jahren dem Wirken von Willy Brandt gewidmet worden sind. Vor allem nicht jene umfassenden Biographien, die mit großer Dauerwirkung so interessant und so bewegend sein Leben dargestellt haben. Im Gegenteil: Jede dieser Biographien behält ihre eigene Überzeugungskraft. In der von Heimann bearbeiteten Dokumentation aber wird zusätzlich in sorgfältiger Auswahl und am konkreten Beispiel aufgezeigt, was einer der bedeutenden Staatsmänner des 20. Jahrhunderts in oft schwieriger Lage gedacht und wie er gehandelt hat. Das alles konzentriert auf die knapp zwanzig Jahre, die Willy Brandt in Berlin gelebt und gearbeitet und in denen er seinen unverwechselbaren Beitrag geleistet hat, damit Berlin frei bleiben konnte.

2.

Allerdings: Das Bild von Willy Brandt, das in diesem Band deutlich wird, bietet keine Überraschung im landläufigen Sinn. Also: keine "Skandale", nicht einmal den Versuch von "Enthüllungen". Den Mann kennen wir. Nicht nur diejenigen, die ihn noch persönlich erfahren haben. Auch die, die sich mit ihm und seiner Leistung erst in unseren Tagen beschäftigen. Keiner bekommt etwas fundamental Neues. Aber alle können mit dem, was dieses Buch bietet, besser durchstoßen zur Realität von damals, durchstoßen durch Legenden hindurch und durch so manche Verzerrung hin zu dem Menschen Willy Brandt, wie er tatsächlich in jenen Jahren agiert hat. Und hin zu den Entwicklungen, wie er sie beeinflusst und wie er sie gestaltet hat.

Nach der Lektüre dieses Bandes wird es - wie ich meine - noch besser möglich sein, diesen Mann, seine Arbeit und seine Leistungen zu verstehen. Ich will an zwei Punkten versuchen, deutlich zu machen, worum es mir dabei geht. Es geht erstens um die offenbar weitverbreitete Vorgabe, dass die Berliner Jahre Willy Brandts so etwas wie seine Lehrjahre gewesen seien. Und dass er erst später, als Bundespolitiker im engeren Sinn des Wortes, seine eigentliche Richtung gefunden hat. Und zweitens geht es um die Vorstellung, dass die deutsche Ostpolitik nur als eine Angelegenheit der Sechziger- und Siebzigerjahre zu verstehen sei, als könne sie nur als eine Abwicklung von außenpolitischen Planspielen verstanden werden, als habe sie nur eine lose Bindung an die Auseinandersetzungen der vorangegangenen Jahren gehabt, als es nämlich darum ging, dass Berlin frei bleibt.

3.

So richtig es ist, dass durch diesen Band nichts wesentlich Neues zur Politik um Berlin und zu seiner Person gesagt wird, so bietet er doch - wie ich meine - einige neue Erkenntnisse und er lädt ein zu veränderten Einschätzungen als denen, die bisher vorherrschend waren. Das betrifft unter anderem die chronologischen Einordnungen der jeweiligen speziellen Lage in Berlin, die man nach Zeitpunkten der sowjetische Bedrohungen wie etwa der Berliner Blockade und dem Chrustschow-Ultimatum ordnen könnte. Man könnte auch eine Chronologie anlegen nach den politischen Mehrheitsverhältnissen in West-Berlin oder in Bonn, also nach den unterschiedlichen Koalitionen hier wie dort, oder nach der Amtszeit der jeweiligen Machtträger in Ost-Berlin von Wilhelm Pieck über Walter Ulbricht bis zu Erich Honecker.

Alle diese Einordnungen hatten wohl ihre Berechtigung, jede zu ihrer Zeit. Mehr als zehn Jahre nach der Wende, nach dem totalen Zusammenbruch des kommunistischen Weltsystems also, können wir es aber - soweit es West-Berlin betrifft - im Rückblick wagen, die Zeit von 1945 bis 1989 in zwei Perioden einordnen. Und das wird wohl heute auch allgemein so gesehen. Am Schnittpunkt liegt der 13. August 1961, der Bau der Berliner Mauer. Durch diesen Vorgang war eine grundsätzlich neue Situation entstanden. Sie musste erkannt und ihr entsprechend musste gehandelt werden.

Diese Einschätzung bleibt auch gültig, allerdings mit einer nicht unwesentlichen Einschränkung: Der 13. August hatte gezeigt, was in Deutschland und was in Berlin nicht mehr ging und was auch in Zukunft nicht mehr gehen würde. Und insofern war der Mauerbau eine wichtige Lektion in Sachen Realität. Nur: Die Lehre daraus musste noch gezogen werden. Und dies mit einer veränderten, wenn nicht gar mit einer neuen Praxis. Dafür hat dann im Sommer des Jahres 1963 Willy Brandt in Tutzing den Gesamtrahmen aufgezeigt. Umfassend und für jedermann verständlich.

4.

Das Jahr 1963 wurde im Fühlen und im Denken der Menschen in der geteilten Stadt zu einem Jahr von entscheidender Bedeutung. Im Juni 1963 kam John F. Kennedy nach Berlin, und er legte in einer bewegenden Rede ein Bekenntnis zu Freiheit und Sicherheit von West-Berlin ab. Und: Im Dezember 1963 wurde von Vertretern der Regierung der DDR und des Berliner Senats das erste Berliner Passierscheinabkommen vereinbart. Für die folgenden Jahre haben beide Ereignisse ihren prägenden Wert. Einmal: Weil ein bisher immer schwebender Zweifel darin, wie verlässlich die westlichen Berlinpolitik tatsächlich war, auf souveräne Weise vom Tisch gewischt wurde. Und zum anderen: Weil vom Dezember 1963 an klar war, dass es in Zukunft in Berlin und um Berlin herum vertraglich geregelte Verhältnisse geben würde.

So konnte der Regierende Bürgermeister am 29. Dezember 1964 seinen traditionellen Jahresüberblick damit beginnen, dass das Jahr 1964 für Berlin kein schlechtes Jahr war: "In diesem Jahr hat jene Berlin-Krise ihr Ende gefunden, die 1958 durch das sowjetische November-Ultimatum eingeleitet wurde. West-Berlin ist frei geblieben". Und er erklärte, dass als notwendige Konsequenz gerade jetzt die "Politik der kleinen Schritte" fortgesetzt werden muss: "Dabei sind wir niemals auf den Gedanken gekommen, hierin einen Ersatz für die eigentlichen, größeren Lösungen zu sehen. Große Schritte sind in den meisten Fällen besser als kleine. Aber kleine Schritte sind in der Regel besser als keine".

5.

Zum Gesellenstück in Berlin. An dieser Formel ist ohne Zweifel richtig, dass die Stadt schon bald nach der Befreiung vom Nationalsozialismus an ihrer Spitze eine außerordentliche Persönlichkeit hatte. Ernst Reuter war nicht nur ein erfahrener Mann der Kommunalpolitik, er kannte sich - auch gestützt auf eigene Erfahrung - sehr gut in kommunistischer Denkweise und in stalinistischer Strategie aus. Er hatte eine in sich ruhende Autorität und er verfügte über große Ausstrahlungskraft. Hinzu kommt: Ernst Reuter brachte in das Berliner Amt ein außergewöhnlich hohes Maß an politischer Weisheit ein.

So ist es sicherlich richtig, dass Willy Brandt sein eigenes Profil an einer Persönlichkeit von diesem Kaliber besser schärfen konnte als bei irgendjemandem sonst. Nur: Als einen "Auszubildenden" sollte man sich ihn wirklich nicht vorstellen, vor allem nicht nach sorgfältiger Prüfung aller im vorliegenden Band versammelten Materialien. Seine Beiträge hatten von Anfang an ihren eigenen Charakter. Und dies in voller Übereinstimmung mit Ernst Reuter. Um im Bild zu bleiben: Beide haben sich hier in Berlin als Meister getroffen. Beide kongenial, jeder auf seine Weise. Und beide standen Seite an Seite, als es darum ging, die Freiheit in Berlin zu bewahren. Dies belegt der Band an vielen Beispielen.

6.

In einem zentralen Punkt allerdings war Willy Brandt sehr wohl noch nicht so "fertig", wie ihn viele seiner Zuhörerinnen und Zuhörer - und auch wir, seine engeren Mitarbeiter - heute in Erinnerung haben. Denn gerade in Berlin und in den ersten Jahren nach der Befreiung hat sich seine Art, öffentlich zu reden, auf bemerkenswerte Weise verändert. Das wird - wie ich meine - besonders deutlich, wenn man das Handwerkliche und auch die Kunst seiner Rede aus den vierziger und fünfziger Jahren - so wie sie in diesem Band - mit seinen Erklärungen seit 1957 und später, also mit der Rethorik des Regierenden Bürgermeister vergleicht.

Dabei ist es wichtig zu wissen, dass das Amt in jenen Jahren - verantwortungsvoll wahrgenommen - von jedem seiner Inhaber mehr Einsatz erforderte, als dies irgendwo sonst in der deutschen Politik der Fall war. Das heißt praktisch: Willy Brandt musste sich selbst und seine Politik fast jeden Tag darstellen. Bei den unterschiedlichsten Gelegenheiten, vor großen Menschenansammlungen und vor kleineren Gruppen, auf freiem Feld und in normalen Tagungsräumen. Immer wieder neu und immer wieder unter veränderten Voraussetzungen.

Gerade in diesem Zusammenhang erscheint mir der Hinweis wichtig, dass Willy Brandt von seinem Ansatz her alles andere als ein "Allerweltsredner" war. Er nahm Zeit seines Lebens die "politische Rede" besonders ernst. Und obwohl er von Natur aus sehr wohl ein Redner von Gewicht war, hat er sich seine wichtigen Reden - wenn immer möglich - sorgfältig selbst erarbeitet. Immer war das nächste Manuskript für ihn eine neue Aufgabe. Das soll nicht heißen, dass jede seiner Äußerungen immer und zu allen Punkten von ihm allein erarbeitet wurden. Dazu gab es für dem Regierenden Bürgermeister zu viele Anlässe und zu unterschiedliche Fragenkomplexe, die eine durchdachte Antwort erforderlich machten. Nur: Wenn er - grundsätzlich oder nur taktisch bedingt - eine Rede für besonders wichtig hielt, dann hat er sich zwar Anregungen von anderen erbeten, aber er hat sich die Texte für seine Präsentation selbst zurechtgeschnitzt.

Es ist schon bemerkenswert, wie sich - unabhängig von den jeweiligen Begebenheiten, zu denen er zu sprechen hatte - seine Rhetorik und gerade in ihren Ausdrucksformen verändert hatte. Seine Reden hatten insgesamt an innerer Kraft und an geballter Eindringlichkeit außerordentlich gewonnen. Es war die politische Aufgabe und ihre außergewöhnlichen Herausforderungen, denen er tagtäglich und in immer veränderter Situation zu genügen hatte.

Das kann jetzt in diesem Band von den Anfängen her bei seinen ersten Auftritten vor örtlichen Parteifunktionären der Berliner SPD studiert werden. Bis hin zu den mitreißende Kampfansagen beim Chrustschow-Ultimatum und beim Mauerbau. Und weiter bis hin zu den beiden Reden, die ich nach Stil und nach Inhalt für seine wichtigsten halte: Die Rede, mit der Willy Brandt seine Kandidatur für das Amt des Bundeskanzlers am 21. November 1960 vor dem Parteitag der SPD in Hannover begründet hat. (Sie wird erst im 5. Band der Berliner Ausgabe veröffentlicht werden.) Und sein Vortag vor dem Politischen Club der Evangelischen Akademie Tutzing am 15. Juli 1963.

7.

Nun zum zweiten Hinweis, zur deutschen Ostpolitik. Um sie haben sich über die Zeit hinweg Legenden gebildet. Da war die Rede etwa von einem zentralen Plan, in dem alles vorgedacht worden sei. Oder von dem "kleinen Kreis" in Berlin, der diese Politik zuerst formuliert und der sie dann systematisch und Punkt für Punkt durchgesetzt hat. Wer so denkt, hat allerdings ein falsches Bild von dem Vorgang als Ganzem und davon, wie vielfältig die Verwicklungen und ihre Vielschichtigkeit waren.

Denn die deutsche Ostpolitik war von ihren Berliner Anfängen an ein Prozess. Sie war eine Abfolge von Schritten, die sich von Mal zu Mal aus der jeweiligen Realität ergaben. Begonnen hat die Ostpolitik nicht an einem bestimmten Tag und nicht an einem besonderem Ort. Und begleitet war sie von vielen Widersprüchen und von so manchem Rückschlag. In den Materialien, die in Berlin bleibt frei vorgelegt werden, wird deutlich, dass und auf welche Weise Willy Brandt in diesem Prozess die zentrale Führungskraft war.

Die deutsche Ostpolitik war in Wahrheit eine Gesamtaktion. Sie war - in ihrem Ablauf und zu unterschiedlichen Zeitpunkten - eine Zusammenfassung von vielen einzelnen Bemühungen, die Dinge insgesamt zu verändern. Und zwar nicht nur in und um Berlin. Das ging weit über die Stadt hinaus, es war europaweit orientiert. Das heißt: Dieser Prozess musste gesteuert werden, er bedurfte der Führung. Und ihr Steuermann war Willy Brandt, und das in schwieriger See.

Denn die deutsche Ostpolitik hatte seinerzeit - das darf niemand vergessen - viele Gegner. Im Osten, im eigenen Land und auch in den eigenen Reihen. Da musste Rücksicht genommen werden auf Urteile und auf Vorurteile, auf Erfahrungen und auf Tabus, auf richtige Erkenntnisse und auf falsche Einschätzungen. Aber wer konnte genau sagen, was richtig war und was falsch? Was simples Vorurteil war und was wohlüberlegte Meinung? Bei einer so umfassenden Politik gab es naturgemäß Mitstreiter und Mitarbeiter. Es waren nur wenige, aber die meisten von ihnen hochqualifiziert. Alle verdienen Hochachtung für ihren Einsatz und vor ihrer Leistung. Allerdings darf - bei allem Respekt - zu keinem Zeitpunkt und bei keinem Ereignis eine Tatsache übersehen werden: Der Chef war Willy Brandt.

8.

Er war kein "primus inter pares". Er war kein Koordinator und er war erst recht kein Mediator. Keiner also, der wertfrei alle Meinungen Revue passieren ließ, sozusagen ohne Zweck und ohne Ziel. Ihm ging es von Anfang an um konkrete Ergebnisse, zuerst im Detail und dann ums Ganze. Das heißt: Willy Brandt war bei der deutschen Ostpolitik Bauherr, Architekt und Baumeister in einer Person. Er allein.

Das wird wohl dann besonders klar, wenn - wie es mit diesem Band möglich ist - die ersten Reden von Willy Brandt aus den Jahren nach 1947 verglichen werden mit dem Gesamtresultat seiner Politik. Sicherlich, nach Form und Stil gibt es da viele Veränderungen festzustellen. Nur: In der Sache, in den Grundfragen seiner politischen Haltung sind Brandts zentrale Äußerungen so kongruent, wie es nur denkbar ist. Die erste und entscheidende Frage war zu jeder Zeit, was im jeweiligen Augenblick notwendigerweise zu tun ist.

Selbst für einen, der damals dabei war, ist es im Rückblick und mit diesen Texten in der Hand schon aufregend festzustellen, wie Willy Brandt die Realitäten in all den Jahren - hier wie dort, in Ost und in West und auch im heimischen Berlin - in seine Politik eingeordnet hat. Wie er gleichzeitig daran ging, die Lage Schritt für Schritt zu verändern. Und das Erstaunliche ist, dass sich ein einheitlicher roter Faden ziehen lässt, etwa von einer seiner ersten Reden, die er am 12. März 1948 vor Funktionären der Berliner SPD gehalten hat (S. 104 ff.), bis hin zu jener für die deutsche Ostpolitik so zentralen Aussage in Tutzing am 15. Juli 1963 (S. 419 ff.).

Im März 1948 ging es darum, die Position der SPD zu bestimmen. Angesichts der damals gerade erfolgten Machtübernahme der Kommunisten in Prag berichtete Willy Brandt davon, wie der kommunistische Putsch in der Tschechoslowakei die Hoffnung vieler Menschen zerschlagen hätte, zwischen Ost und West zu vermitteln: "Von Brückentheorien ist nichts übrig geblieben. Wir stellen das ohne Schadenfreude fest. Denn wie viel leichter wäre unsere eigene Lage, wenn es möglich gewesen wäre, solche Brücken zu schlagen." Und die Schlussfolgerung: "Es muss einer späteren Entwicklung vorbehalten bleiben, lebendige Verbindungen zwischen der östlichen und der westlichen Welt neu herzustellen".

Es ist schon beeindruckend, diesen Text zu vergleichen mit der Rede in Tutzing, fünfzehn Jahre später. Dort hat er die Grundlage seiner Politik unter Verweis auf seine weltweit beachtete Rede vom Oktober 1962 an der Harvard-Universität dargelegt. Die Rede ist unter dem Titel "Koexistenz - Zwang zum Wagnis" als Broschüre veröffentlicht worden. Hier ein Zitat: "Es geht um eine Politik der Transformation. Wirkliche, politische und ideologische Mauern müssen ohne Konflikt nach und nach abgetragen werden. Es geht um eine Politik der friedlichen Veränderung des Konfliktes, um eine Politik der Durchdringung, eine Politik des friedlichen Risikos; des Risikos deshalb, weil bei dem Wunsch, den Konflikt zu transformieren, wir selbst für die Einwirkung der anderen Seite auch offen sind und sein müssen".

9.

Von diesem und vielem anderen legt dieser dritte Band der Berliner Ausgabe Zeugnis ab. Da kann jeder sehen, wie schwierig es tatsächlich gewesen ist, die Stadt Berlin - zumindest West-Berlin - frei zu halten. Und wie kompliziert es war, jeden der dazu erforderlichen Schritte vorzubereiten und ihn dann auch zu gehen. Schritte, die den Menschen in der geteilten Stadt geholfen haben. Und die gleichzeitig Türen öffnen sollten für Lösungen, die der speziellen Lage im gespaltenem Deutschland ebenso Rechnung tragen würden wie der internationalen Konstellation allgemein.

Zu keinem Zeitpunkt wurde von Willy Brandt vergessen, dass die Freiheit von Berlin ein wichtiges Ziel war. Aber er war sich bei jedem praktisch-politischem Schritt auch der Tatsache bewusst, dass der Frieden in Europa das eigentliche Ziel bleiben würde.


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