ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Christian Groh, Kommunale Polizei im Wiederaufbau. Sozialgeschichte der Pforzheimer und Heilbronner Polizei von 1945 bis 1959, Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher 2003, 294 S., geb., 19,90 €.

Seit einigen Jahren rückt die Geschichte der Polizei in Deutschland nach Ende des Zweiten Weltkrieges allmählich in das Interesse der zeithistorischen Forschung. Nach der Arbeit von Stephan Linck über die Flensburger Polizei(1), dem Sammelband von Fürmetz/Reinke/Weinhauer über die Nachkriegspolizeien in beiden deutschen Staaten(2), der kürzlich erschienenen Monografie von Stefan Noethen über die Polizei in Nordrhein-Westfalen(3) und anderen Arbeiten z. B. von Thomas Kleinknecht/Michael Sturm aus dem jüngsten Band des Archivs für Sozialgeschichte (2004) liegt nun erstmals eine Lokalstudie über den Neubeginn des Polizeiwesens in der amerikanischen Besatzungszone vor. Christian Groh untersucht in der leicht überarbeiteten Version seiner 2002 von der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg angenommenen Dissertation den Wiederaufbau und das Handeln der Pforzheimer Polizei von deren Kommunalisierung 1945 bis zu der aus finanziellen Gründen erfolgten Verstaatlichung 1959. Darüber hinaus werden das ,,deutsche Erbe" und die Rolle der USA beim Wiederaufbau der Polizei sowie das Verhältnis zwischen Polizei und der als ,,Publikum" bezeichneten Bevölkerung dargestellt. Wo möglich, zieht der Autor zur Absicherung der Befunde zu Pforzheim Erkenntnisse über die Heilbronner Nachkriegspolizei heran. Ein systematischer Vergleich unterblieb aufgrund der für Pforzheim deutlich besseren Quellenlage. Im Mittelpunkt der Studie steht die Frage nach Kontinuität und Wandel beim Personal und Verhalten der beiden lokalen Nachkriegspolizeien.

Da die Westalliierten den Polizeistaat preußischer Prägung für die Entwicklung zur NS-Diktatur mitverantwortlich machten, war eine Kommunalisierung entsprechend dem britischen bzw. amerikanischen Vorbild naheliegend. Parallel dazu sorgte die US-Militärregierung in ihrer Zone für eine ,,Entstaatlichung" der Polizei, indem sie verwaltungspolizeiliche und exekutive Aufgaben voneinander trennte. Neben der strukturellen Neuausrichtung kam es auch zu einer erzwungenen personellen Erneuerung der Polizei. Da ,,die meisten" der schon vor Kriegsende bei der Pforzheimer Polizei beschäftigten Beamten der NSDAP angehört hatten, verloren sie 1945 im Zuge der Entnazifizierung ihren Arbeitsplatz. Nur wenigen ,,Mitläufern" gelang bis 1951 die Rückkehr in den Polizeidienst. Daher könne, so Groh, ,,eine nationalsozialistische Prägung oder Unterwanderung der Pforzheimer Polizei der Nachkriegszeit ausgeschlossen werden" (S. 77). Zudem hätte die ,,Ausnutzung von Beziehungen oder regelrechter nationalsozialistischer ´Seilschaften´ [...] auf lokaler Ebene verhindert werden" (S. 106) können. Allerdings bleibt aufgrund der für die Fünfzigerjahre mitunter lückenhaften Quellenlage offen, inwieweit nach dem In-Kraft-Treten des Ausführungsgesetzes zu Grundgesetzartikel 131 im Jahre 1951 nicht doch noch zahlreichen ehemaligen Parteigenossen die Rückkehr in den Polizeidienst gelang. Folglich sind auch keine Aussagen über das Verhalten der Stadtverwaltungen gegenüber Wiedereinstellungsgesuchen ehemaliger Polizeibeamter möglich.

Da die Institution Polizei zwischen 1933 und 1945 die nationalsozialistische Verfolgungspolitik maßgeblich mitgetragen hatte, galt eine grundlegende Abkehr vom bisherigen Habitus aus Sicht der amerikanischen Besatzungsmacht als unabdingbar. Inwieweit die Pforzheimer und Heilbronner Ordnungshüter diesen Anspruch im Alltag tatsächlich einlösten, untersucht der Autor dezidiert anhand der polizeilichen Behandlung verschiedener Delikte, Orte und Personengruppen. Die gut lesbare und spannend geschriebene Studie zeichnet ein sehr anschauliches Bild vom oft unspektakulären kommunalen Polizeialltag zweier ,,Mittelstädte" im Nachkriegsdeutschland. Der angestrebten Ordnung ,,wurde gedanklich stets ein Bild der Unordnung - personifiziert in bestimmten Milieus und angesiedelt an bestimmten Orten - gegenüber gestellt, welches es zu bekämpfen galt" (S. 180). Groh arbeitet präzise heraus, dass das Verhalten der Polizisten von gesellschaftlichen Klischees und Ausgrenzungspraktiken geprägt war. Daher verwundert nicht, wie sehr nationalsozialistische Vorurteile insbesondere beim Umgang der Polizisten mit Displaced Persons sowie Sinti und Roma fortwirkten. Die stärkere Konzentration auf schwarze Soldaten bei Anzeigen und Meldungen bei der Militärregierung offenbarte zudem den weiterbestehenden Rassismus sowohl unter Polizisten als auch in der Bevölkerung Pforzheims. Im Unterschied zu den als ,,Ordnungsstörern" wahrgenommenen früheren Zwangsarbeitern trafen die als ,,ordentliche Menschen" angesehenen deutsche Flüchtlinge auf weniger Ressentiments. Sie wurden als ,,echte Flüchtlinge" bezeichnet und zumindest von offizieller Seite entsprechend fürsorglich behandelt. Als Korrektiv für die Kontinuität diskriminierender polizeilicher Handlungsweisen wirkten die Kontrolle anfangs durch die Militärbehörden und später durch die Medien und die Öffentlichkeit.

Zu einem deutlichen Wandel kam es dagegen im Verhältnis zwischen Polizei und Bevölkerung. Die amerikanische Militärregierung und deutsche Verantwortliche drängten darauf, dass sich das polizeiliche Selbstverständnis vom ,,Beherrscher" zum ,,Diener" des Volkes wandele und die Polizei Sympathien im ,,Publikum" erwerbe. Dies geschah beispielsweise beim ordnenden Einsatz im Straßenverkehr, in dem die Rolle als ,,Freund und Helfer" besonders zur Geltung kam. Dieses Verhalten sorgte in Verbindung mit dem Rückgang der Kriminalität nach der Währungsreform dafür, dass Mitte der Fünfzigerjahre - wie Groh sagt - ,,in weiten Kreisen der Bevölkerung das Vertrauen in die Polizei wieder hergestellt" (S. 254) war.

Nach Einschätzung Grohs hat sich die Kommunalisierung bewährt. Sie habe zur Demokratisierung beigetragen und ,,einen Bruch zur Vergangenheit begünstigt" (S. 265). Eine Abkehr von polizeistaatlichen Methoden sei zudem dadurch begünstigt worden, dass die ,,beiden behandelten Städte weder Kapitalen des Verbrechens waren noch nach der unmittelbaren Kriegsnot von größeren Krisen geschüttelt wurden" (S. 271). In dieser Erkenntnis liegt zugleich ein Nachteil der vorliegenden Arbeit. Denn eine Untersuchung von zwei ,,Mittelstädten" hat letztlich nur eine begrenzte Aussagekraft für das Verhältnis zwischen Polizei und Bevölkerung nach 1945. Auseinandersetzungen zwischen Polizei und ,,Publikum" in Form von politischen Demonstrationen, Krawallen und dem ,,Halbstarken"-Phänomen der Fünfzigerjahre spielten sich in erster Linie in Großstädten ab. Eine Arbeit über die Handlungsweisen der Polizei in einer Großstadt könnte daher stärker zu einer Geschichte des Konflikts werden. Davon abgesehen sei auf zwei kleinere Mängel verwiesen. Biografische Angaben zum langjährigen Pforzheimer Oberbürgermeister und entschiedenen Befürworter einer Kommunalpolizei, Dr. Johann Peter Brandenburg, fehlen leider. Zudem bleibt unklar, weshalb der Autor den zweiten Nachkriegschef der Pforzheimer Polizei als ,,erfahrenen Polizisten" (S. 64) bezeichnet, obwohl dieser zuvor Soldat und später Gerichtsvollzieher gewesen war.

Diese Einschränkungen schmälern aber nicht den insgesamt überaus positiven Eindruck, den Christian Grohs Studie hinterlässt. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Sozialgeschichte der Polizei im Nachkriegsdeutschland, indem sie insbesondere die Wechselwirkungen zwischen Polizei, Politik und Gesellschaft verdeutlicht.

Jürgen Zieher, Magdeburg


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