ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Mario Zeck, Das Schwarze Korps. Geschichte und Gestalt des Organs der Reichsführung SS, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2002, 478 S., 15 Abb., kart., 72,00 €.

Untersuchungen zu den Kommunikatoren der Publizistik stellten innerhalb der Medienwissenschaften immer noch eine Forschungslücke dar, konstatierte der 1995 verstorbene Winfried B. Lerg in einem Beitrag zur Geschichte der Kriegsberichterstattung.(1) Die Zusammenhänge zwischen der individuellen und sozialen Lebensgeschichte (Biografie) und der beruflichen Tätigkeit (Ergografie) müssten verstärkt untersucht werden, so Lerg, dessen Kritik noch heute auf ein Desiderat der mediengeschichtlichen Forschung verweist. Besonders vor dem Hintergrund vermehrter biografischer Studien aus dem Bereich der Täterforschung zum Nationalsozialismus (2) verwundert es, dass noch keine umfassende Monografie zur Person Gunther d'Alquens, dem Propagandisten des SS-Staates vorliegt.(3)

Zahlreiche Forschungsarbeiten befassten sich mit der Struktur und Organisation der Publizistik im nationalsozialistischen Herrschaftssystem(4), Einzelstudien hingegen sind zu wichtigen Publikationen ebenfalls rar.(5) Bereits 1968 veröffentlichte Helmut Heiber einen Faksimile-Querschnitt zum ,,Schwarzen Korps"(6), erst eine 1986 von William Lee Combs veröffentlichte Dissertation brachte jedoch eine grundlegende Untersuchung dieser in der NS-Presselandschaft ungewöhnlichen Publikation.(7) Mario Zecks Studie zum SS-Organ ,,Das Schwarze Korps", die 2000 als Dissertation an der Neuphilologischen Fakultät in Tübingen angenommen wurde, bietet einen ziemlich umfassenden Überblick über die Geschichte der Publikation von seiner Gründung über die Anfänge und seine Entwicklung bis zum Ende des Krieges.

Der Autor gibt eine Darstellung der persönlichen Geschichte und des Weltbildes der tragenden Schriftleiter, allen voran der beiden Hauptschriftleiter Gunter d'Alquen und Rudolf aus den Ruthen. Dabei wollte Zeck, sicherlich durchaus im Sinne des eingangs erwähnten Winfried Lerg, ,,die journalistische Norm, das Arbeitsmilieu und die Arbeitspraxis der Männer vom 'Schwarzen Korps'" darstellen2. Diesen Aspekten widmet er die ersten drei Kapitel des Buches, das vierte bietet eine Auswertung der thematischen Schwerpunkte des Blattes, während sich die beiden letzten Kapitel den linguistischen Aspekten bzw. der Sprache im ,,Schwarzen Korps" sowie den formalen Rahmenbedingungen wie dem Layout und Format der Zeitschrift vorbehalten sind.

Die Gliederung der biografischen Abrisse nach inhaltlichen Schwerpunkten wie der religiösen Weltanschauung oder der SS-Karriere Gunter d'Alquens ermöglichen die Bezugnahme auf die spätere Untersuchung der inhaltlichen Schwerpunkte des ,,Schwarzen Korps", denn Gunter d'Alquens ,,Weltsicht und sein beruflicher Werdegang hatten nachhaltigen Einfluss auf die thematische Gestaltung der Zeitung", so Zeck (S. 439). Vor dem Hintergrund der von d'Alquen formulierten elitären Idee der ,,Formation der Auslese" (S. 31 ff.) wird der puristische Eifer verständlich, mit dem d'Alquen seine nationalsozialistische Weltanschauung verbreiten wollte. Sein Einsatz für die Aktivpropaganda und hier besonders für die Idee einer russischen Freiwilligenarmee unter General Vlasov auch gegen die Widerstände in der NS-Führung deutet darauf hin, dass der SS-Propagandist nicht nur Idealist, sondern auch Pragmatist gewesen ist (S. 439 f.). Durch die in dem SS-Organ verbreitete Glorifizierung von Treue, von bedingungsloser Opferbereitschaft und durch die Ästhetisierung des Untergangs habe Gunter d'Alquen bis zuletzt einen wesentlichen Beitrag zur Fanatisierung der Bevölkerung geleistet, lautet ein wichtiges Ergebnis der Studie (S. 440).

Hinsichtlich der inhaltlichen Schwerpunkte des Blattes verweist Zeck auf die Prioritäten der Schriftleiter, die sich Antiklerikalismus, Antisemitismus und die Kritik an Bürokratie, Verwaltung, ,,Parteischmarotzern" und dem Juristenstand auf die Fahne geschrieben hatten. Damit habe das Blatt ,,den Nerv der Zeitgenossen" getroffen, viele Sympathien bei den Lesern erworben und zugleich zahlreiche Feinde unter hochrangigen Nationalsozialisten gewonnen (S. 443). Nicht nur über die Inhalte, sondern auch durch Format, Textgestaltung und Textgliederung, durch die gezielte Auswahl und Plazierung von Schrifttypen und Schriftgrößen, von Illustrationen und Fotografien sei es dem Blatt gelungen, zu einem Markenprodukt zu werden (S. 447).

Ein Manko dieser Dissertation liegt allerdings darin, den spezifischen methodischen Anforderungen der historischen, sprach- und medienwissenschaftlichen Fachdisziplinen gleichzeitig Rechnung tragen zu müssen. Leider weist die Studie in puncto Literaturkenntnis und Quellenverwertung einige Schwächen auf: Natürlich stellt, wie Mario Zeck schreibt, die Auswertung der schier unübersehbaren ,,Flut der Forschungsliteratur" ein ,,kaum zu bewältigendes Unterfangen" dar. Aber es kann keine Lösung sein, die Auswahl ,,letztendlich nach dem Zufallsprinzip" zu treffen (S. 7). So sollte die Verwendung jeweils aktueller Buchauflagen eigentlich selbstverständlich sein und der Stand der Fachliteratur nicht zwei Jahre vor Drucklegung liegen.(8)

Manche, bereits von Werner Augustinovic und Martin Moll benannten Quellen zur Person Gunter d'Alquens wurden offenbar nicht ausgewertet, darunter die Justizunterlagen zum Spruchkammerverfahren gegen den Hauptschriftleiter des ,,Schwarzen Korps", Gunter d'Alquen, die bei der Zentralen Stelle (ZST) zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg lagern, die Überlieferung zur SS-Propagandastandarte ,,Kurt Eggers" aus dem Bundesarchiv-Militärarchiv oder die Tonbandinterviews Sven Steenbergs mit Gunter d'Alquen, die im Tonarchiv des Bundesarchivs vorhanden sind. Dies ist gerade für den ersten, biografiegeschichtlichen Teil des Buches relevant, denn Mario Zecks Darstellung der Lebensgeschichte Gunter d'Alquens (S. 10-67) fußt im Grundsatz auf dessen eigenen Aussagen, basierend auf Interviews mit dem Schriftsteller Jürgen Thorwald aus dem Jahr 1951 und einer US-Vernehmung von 1948.

Berücksichtigt man den enormen Drang zur Selbstdarstellung des hoch intellektuellen d'Alquen, der bis zu seinem Tode 1998 seinen Überzeugungen treu geblieben war, bleibt die Glaubwürdigkeit mancher Ausführungen fraglich. Augustinovic und Moll urteilen zurecht, nach 1945 habe d'Alquen eloquent an seinem Image gestrickt:

,,Da ihm kein Widerspruch zu zeitgenössischen Akten nachzuweisen war, er über ein erstaunliches Gedächtnis verfügte, mit der Fachliteratur vertraut war und selbst eine beachtliche Dokumentensammlung teils durch den Krieg gerettet, teils danach aufgebaut hatte, gewannen seine Aussagen so stark an Glaubwürdigkeit, dass eine Reihe von Studien insbesondere zur Frühgeschichte des "Schwarzen Korps" weitgehend auf d'Alquens Erinnerungen basiert. [...] sein Einfluss auf die Geschichtsschreibung bis weit in die 80er Jahre [ist] nicht gering zu veranschlagen. Es kann daher kaum überraschen, dass das Bild d'Alquens cum grano salis durchaus wohlwollend ausfiel.(9)

Schließlich wäre es wünschenswert gewesen, die Diskussion des Forschungsstandes nicht zum Teil im Resümee zu verstecken (S. 448 ff.) und kurze Zusammenfassungen der Hauptkapitel würden die Lektüre erleichtern. Die mangelhafte Ausstattung des Buches ist dem Autor indes nicht anzulasten, doch ein kartoniertes Buch in dieser Qualität zu einem Preis von über 70€ auf den Markt zu bringen ist seitens des Verlages recht unverfroren. Trotz der angesprochenen Mängel ist Mario Zecks Untersuchung eine nützliche Studie, auch für weitere Forschungsprojekte zu diesem Themenkomplex.

Matthias Schröder, Münster


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