ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Spaniens Übergang zur Demokratie, die viel gelobte ,,transición", besaß einen ,,Geburtsmakel". Die großen politischen Parteien, von den Kommunisten bis zu den Konservativen, vereinbarten, über die Vergangenheit zu schweigen. Warum die reformbereiten Teile der Franco-Diktatur nach dem Tod des Alleinherrschers als eine Gegenleistung für die demokratische Öffnung des Systems auf der Verdrängung der Geschichte bestanden, ist leicht nachzuvollziehen. Erklärungsbedürftig aber ist die Bereitschaft von Sozialisten und Kommunisten, dies zu akzeptieren. Den Gründen für diese Übereinkunft und den langfristigen Auswirkungen widmet sich Julia Macher in ihrer überarbeiteten Magisterarbeit. Eine von Macher angebotene Begründung lautet, dass ,,Franco eben dieses Vergessen durch die immer wiederkehrende Beschwörung seines Sieges verhindert hatte." (S. 117) In gewissem Widerspruch hierzu formuliert sie aber zwei Seiten weiter, dass das ,,Vergessen ein später Sieg des Regimes" gewesen sei, weil es auch die Erinnerung an den Widerstand verhinderte. Wichtiger für die Beteiligung der Opposition an der kollektiven Amnesie dürfte daher zweierlei gewesen sein: das Trauma des Bürgerkrieges, der sich nie wiederholen dürfe, und der Zugang zur Macht, zwar nicht durch Ministerposten, aber durch die Formulierung der wichtigsten Gesetzesvorhaben in gemeinsamen Kommissionen. Dazu gehörte auch das Amnestiegesetz von 1977, das keinen Unterschied machte zwischen Tätern und Opfern.

Zu den negativen Folgen der Generalamnesie rechnet Macher die Fortführung des ETA-Terrors im Baskenland. Da der klare Bruch mit der Diktatur nicht erfolgte (wenn auch aus guten Gründen), verbreitete sich unter nationalistischen Basken das Bild von der Kontinuität des spanischen Staates, der sich immer noch im Konflikt mit dem Baskenland befinde.

Machers Untersuchung behandelt die Jahre 1975-1978, in denen die Politik des Vergessens Gestalt annahm. Am Ende ihrer Arbeit wirft sie einen Blick in die Gegenwart und weist darauf hin, dass vor wenigen Jahren, etwa um 2000, die lange aufgeschobene Debatte um Bürgerkrieg und Diktatur doch noch begonnen hat. Ausgangspunkt der Debatte waren Publikationen zum 25. Todestag Francos und insbesondere die Bemühungen um die Aufklärung des Schicksals der wohl etwa 30.000 im Bürgerkrieg ,,verschwundenen" Spanier. Die allermeisten von ihnen wurden von den Aufständischen ermordet und in Massengräbern verscharrt. Der Journalist Emilio Silva ist der Initiator dieser in immer größerem Maßstab noch andauernden Suche in allen Teilen Spaniens. Davon berichtet er in seinem Buch ,,Francos Gräber. Die Republikaner, die der Diktator in den Straßengräben ließ", das einen Monat nach Erscheinen bereits die zweite Auflage erfuhr. Sein Großvater gehört zu den ,,Verschwundenen"; dessen Grab war das erste, das Silva ausfindig machte.

Silva erzählt auf spannende Art, wie sich durch seine Pressearbeit immer mehr Familienangehörige ,,Verschwundener" bei ihm meldeten und zugleich eine wachsende Zahl in- und ausländischer Medien sich des Themas annahm. Schließlich gründete er eine Vereinigung zur ,,Wiedergewinnung des historischen Gedächtnisses". Die Zeit waren offenkundig reif für diese Initiative. Dass ein Vierteljahrhundert seit dem Beginn der ,,transición" vergangen war, ist sicherlich einer der Gründe dafür. Auffällig ist aber, dass Silva immer wieder auf Parallelen zu der Aufklärung der Morde früherer südamerikanischer Diktaturen verweist. Die Initiative zur Festnahme von Pinochet in London war von Spaniens Star-Juristen Garzón ausgegangen; weite Teile der spanischen Öffentlichkeit waren stolz hierauf. Um so überzeugender mussten nun Silvas Forderungen nach würdiger Bestattung der Opfer des Franco-Regimes wirken, wenn schon nach 65 Jahren eine justizförmige Behandlung der Verbrechen unmöglich war.

Silva verzichtet mit einer Ausnahme auf die Nennung der Namen der Täter. Hierin unterscheidet er sich von seinem Mitautor Santiago Macías. Dieser, ebenfalls kein Historiker, ist Verfasser des zweiten Teils des Buches, in dem Region für Region Zeitzeugenberichte über Verbrechen der aufständischen Militärs zwischen 1936 und 1939 mit Informationen über die Suche nach Massengräbern verbunden werden. Auch von republikanischen Kräften begangene Morde werden nicht gänzlich ausgeklammert, kommen aber nur am Rande vor. Problematisch ist in Teil 2, dass auf Quellenbelege verzichtet wurde. Gerade bei diesem immer noch umstrittenen Thema und angesichts einer noch rudimentären Forschung sind sie unerlässlich, auch um weitere Forschungen zu erleichtern. Eine systematische Archivauswertung und die Befragung der letzten Augenzeugen bzw. der unmittelbaren Nachfahren der Opfer steht weiterhin aus.

Dessen ungeachtet ergeben die Schilderungen des Buches ein erschütterndes Bild der blutigen Repression in der ,,nationalen" Zone während des Bürgerkrieges. Deutlich wird, dass der Willkür lokaler Machthaber kaum Grenzen gesetzt waren, dass politische Gründe und persönliche Rachemotive eine explosive Mischung eingingen und dass in der Regel die katholischen Geistlichen zusammen mit den örtlichen Falangisten zu den treibenden Kräften der Verfolgung gehörten, bis hin zum Extremfall einer - so jedenfalls die Zeitzeugeninterpretation - wegen ihres protestantischen Glaubens ermordeten Frau (S. 218). Das Ausmaß der Morde und auch das der Jahrzehnte andauernden Diskriminierung der Familienangehörigen übersteigt die bisher verbreiteten Vorstellungen und dementiert nachhaltig die Idee, auf beiden Seiten des Bürgerkrieges sei es zu relativ ähnlichen Exzessen gekommen; letzteres Argument war einer der wesentlichen Gründe für die kollektive Schweigevereinbarung nach 1975.

Natürlich stellt sich die Frage, warum die Familienangehörigen nicht bereits direkt nach dem Ende der Diktatur nach den ,,Verschwundenen" gesucht haben. Dies wäre ja trotz der politischen Übereinkunft der Spitzen der Gesellschaft vorstellbar gewesen und hätte sie, wenn es ohne Medienresonanz erfolgt wäre, auch nicht prinzipiell in Frage gestellt. In der Tat hat es in geringerem Umfang entsprechende private, auf den lokalen Raum beschränkte Initiativen Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre gegeben. Hemmend wirkte sich die erst langsam, fast nur durch Generationenwechsel auflösende Atmosphäre der Angst, die sich in fast vierzig Jahren Diktatur über große Teile der spanischen Gesellschaft gelegt hatte. Gerade in kleinen Ortschaften hielt sie sich deutlich länger als in den Großstädten. Ein weiteres kam hinzu: Der Putschversuch von Februar 1981, der zwar innerhalb von Stunden scheiterte, belebte die Angst offenkundig wieder - so die Interpretation der Autoren -, so dass die Initiativen zur Aufarbeitung der Bürgerkriegsgeschehnisse einen Rückschlag erlitten.

Eine ganz andere Herangehensweise, aber zugleich das selbe Anliegen der Wiedergewinnung der Erinnerung an die frankistische Repression dokumentiert der Tagungsband ,,Una inmensa prisión" (,,Ein gigantisches Gefängnis"). Über 200 Forscher aus Spanien und dem Ausland trafen sich im Oktober 2002 in Barcelona zu einem Kongress über die Konzentrationslager und Gefängnisse während des Bürgerkrieges und der Franco-Diktatur. Bereits wenige Monate später lagen die Hauptreferate in dem hier anzuzeigenden Band vor; allein die schnelle Publizierung ist schon ungewöhnlich genug.

Das Anliegen der Kongressorganisatoren war, aus der Vielzahl der Einzelstudien eine Gesamtschau des Lager- und Gefängnissystems in Spanien ab 1936 zu formen und die Bedeutung dieses Repressionsinstrumentes für den Frankismus herauszuarbeiten. Deutlich wird, dass es um mehr als um die Verhinderung bewaffneten Widerstandes gegen die Diktatur ging. Die Mordwellen während des Krieges und direkt danach waren nicht nur Ausdruck spontaner Rache, sondern sehr häufig Resultat des Wahns, das Volk von Marxismus, Liberalismus und Freimaurertum zu ,,reinigen". Die Katholische Kirche war - von wenigen Ausnahmen abgesehen - an vorderster Front in diesem Kampf engagiert. Über Jahre hinweg wurde gegen die (früheren) Gegner, d.h. gegen mindestens die Hälfte des Volkes, ein Klima der Einschüchterung und eine Praxis der sozialen Ausgrenzung aufrecht erhalten. In gewisser Weise wurde die spanische Gesellschaft jahrelang paralysiert. Dies war durchaus ein Ziel der Aufständischen: Der gesellschaftliche Wandel sollte gestoppt werden, bedrohte er doch die Machtpositionen der traditionellen Elite.

Trotz des großen Umfanges des Terrors gelang es der Diktatur, das wahre Ausmaß der Repression zu verschleiern. Um so größer war das Erschrecken in Spanien, als in den letzten Jahren durch die Öffnung besonders der Militärarchive der tatsächliche Umfang bekannt wurde. Heute wird von 150.000 Todesopfern der Franco-Diktatur ausgegangen.

Den Auftakt der Beiträge macht der Vortrag von Nicolás Sánchez-Albornoz über die Zwangsarbeit von Republikanern beim Bau des Denkmals im ,,Valle de los Caídos" (,,Tal der Gefallenen") nahe Madrid, das an die auf der Seite der Aufständischen gefallenen Soldaten erinnern soll und wo Franco neben dem Falange-Gründer Primo de Rivera beigesetzt ist. Sánchez-Albornoz sprach in doppelter Funktion: als Historiker (emeritierter Professor der New York University) und als Zeitzeuge, war er doch 1948 dort selbst kurzzeitig Häftling, bevor ihm als einem von wenigen die Flucht gelang. Sánchez-Albornoz weist - wie auch andere Referenten - darauf hin, dass die frankistischen Lager keine Nachahmung des deutschen Beispiels waren, sondern ihre Vorbilder in den 1898 auf Kuba vom spanischen Militär errichteten Lagern fanden, und dass die spanischen Lager nicht der systematischen Ermordung dienten.

Javier Rodrigo Sánchez (Florenz) widmet sich der Geschichte der frankistischen Konzentrationslager bis 1939. Die ersten wurden bereits 1936 eingerichtet; in ihnen wurden gegnerische Soldaten, nicht jedoch zivile politische Gegner festgehalten. Die Grenzen zwischen beiden Gruppen dürften aber fließend gewesen sein. Die Lager standen überwiegend unter dem Kommando der lokalen Militärs, nicht der Junta in Burgos, weswegen die von dort beabsichtigten Umerziehungsversuche nur selten tatsächlich stattfanden. Die Gesamtzahl der Lagerinsassen (inkl. Arbeitsbataillonen) gibt der Autor für Februar 1939 mit 370.000 an.

Als besonderes Kennzeichen des spanischen Gefängnissystems in der frühen Franco-Zeit arbeitet Ángela Cenarro (Saragossa) hinsichtlich der politischen Häftlinge, deren Zahl nicht näher bestimmt werden könne, die Möglichkeit der Strafminderung durch Arbeit und durch Umerziehung zu gläubigen Katholiken heraus. Dem Regime sei es weniger um Strafe als vielmehr um diese ,,Bekehrung" gegangen. Den Gefängnisgeistlichen oblag auch die Zensur des Briefverkehrs. Anfang der vierziger Jahre kam es wegen der Überfüllung der Gefängnisse zu mehreren Begnadigungswellen. Zugleich wurden aber in dieser Zeit immer mehr Kinder von Häftlingen von ihren Familien getrennt und vom Staat in die Obhut der Katholischen Kirche übergeben. Cenarro spricht von 30.000 Fällen der Kindesentziehung.

Am Ende des Bandes steht ein hilfreicher Beitrag über die archivalischen Quellen zum Thema. Leider werden dort die einschlägigen Bestände des Archivo General de la Administración in Alcalá de Henares nicht erwähnt.

Gemeinsam ist allen Beiträgen, dass sie den ideologischen und den Klassencharakter der Franco-Diktatur betonen. Damit unterschied sich diese grundsätzlich von früheren Militärdiktaturen, insbesondere von der von Miguel Primo de Rivera (1923-1930). Andererseits legen die Autoren immer wieder Wert darauf, dass in Spanien keine faschistische bzw. nationalsozialistische Diktatur errichtet wurde. Eher bestätigt der Band das Bild einer Diktatur der traditionellen Eliten, also von Militär, Katholischer Kirche und Großgrundbesitz.

Bernd Rother, Berlin


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