ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Theresia Bauer, Blockpartei und Agrarrevolution von oben. Die demokratische Bauernpartei Deutschlands 1948-1963 (Studien zur Zeitgeschichte, Bd. 64), München 2003, 639 S., geb., EUR XXX. 

Die Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD) ist in der Geschichtsschreibung gegenüber den anderen ,,Blockparteien" der DDR und der dominierenden SED vernachlässigt worden. Außer den Studien von Bernhard Wernet-Tietz (1) und Christel Nehrig(2) liegen nur Memoiren einzelner DBD-Funktionäre wie des langjährigen stellvertretenden Vorsitzenden und Ministers für Landwirtschaft bzw. Umweltschutz, Hans Reichelt(3), vor. Theresia Bauers ausgezeichnete Monographie - die überarbeitete Fassung ihrer Dissertation - erweitert demgegenüber erheblich die Kenntnisse über die Entwicklungsstadien, Funktionen und Organisations- wie Mitgliederstruktur der DBD von 1848 bis 1963.

Angesichts einer gravierenden Versorgungskrise, die in der Sowjetischen Besatzungszone 1947 weithin auf die überstürzte Aufteilung des Großgrundbesitzes zurückgeführt wurde, und der zunehmenden Opposition der ,,Blockparteien" - vor allem der CDU und der Liberaldemokratischen Partei (LDP) - trieb die sowjetische Militärverwaltung die Gründung einer neuen Bauernpartei voran, die im April 1948 zunächst in Mecklenburg konstituiert wurde. Gebildet von zuverlässigen Funktionären, sollte die DBD, die im Sommer 1948 auch eine zentrale Leitung erhielt, die Vorherrschaft der SED stützen. Wie Bauer überzeugend darlegt, war die erste Entwicklungsphase der Bauernpartei bis 1952 von dem Einsatz im ,,Klassenkampf" gegen die ,,Großbauern" gekennzeichnet. Zugleich sollte die DBD die Loyalität der ländlichen Bevölkerung gegenüber der entstehenden staatssozialistischen Diktatur sichern, indem sie Lasten minderte, politische Zugriffe abmilderte und auf dem Lande flexibel Unruhe abfing. Jedoch entzog die Partei der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) viele Mitglieder, so dass die Integrationskraft dieser 1946/47 gegründeten Bauernorganisation zurückging.

Der Beginn der Kollektivierung im Sommer 1952, an deren interner Vorbereitung die DBD-Führung nicht beteiligt wurde, konfrontierte die Bauernpartei erneut mit einer Zerreißprobe: Einerseits mussten die ,,werktätigen" Bauern, welche die Bildung von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) ablehnten, weiterhin an die DBD gebunden werden; andererseits waren aber auch die Mitglieder der neuen Kollektivbetriebe zu gewinnen. Der Spagat zwischen diesen Zielen trat im Sommer 1953 besonders deutlich hervor, als die Führung der Bauernpartei den ,,Neuen Kurs" der SED-Führung unterstützte, deshalb die Bindungskraft der Orts- und Kreisverbände aber beträchtlich zurückging, zumal die Konzessionen an die verbliebenen selbständigen und ,,republikflüchtigen" Bauern auch in der Krise des SED-Regimes eng begrenzt blieben. Das offene Bekenntnis zur Kollektivierung 1957, das auf eine Parteiüberprüfung im vorangegangenen Jahr folgte, leitete das dritte Entwicklungsstadium ein, in dem sich die DBD auf die Bildung und Festigung der LPG konzentrierte. Die seit 1958 forcierte und schließlich abgeschlossene ,,sozialistische Umgestaltung" der Landwirtschaft beschleunigte schließlich die Einpassung der Bauernpartei in den SED-Staat. Hingegen gelang die angestrebte Integration und Identifizierung der 1959/60 überwiegend in die LPG gezwungenen Bauern bis 1963 nicht.

Die Untersuchung zeichnet sich vor allem durch die Verknüpfung von Makro-, Meso- und Mikroebene aus. Dabei tritt hervor, dass sich in der Organisation und unter den Mitgliedern der Bauernpartei beträchtliche Spannungen herausbildeten, die eine bruchlose Durchsetzung von Anordnungen der Parteileitungen in den einzelnen Kreisen und Gemeinden verzögerten oder sogar blockierten. So vermag Bauer zu zeigen, dass sich - entgegen dem von den Parteileitungen gesetzten Ziel der engen Kooperation - in den Kreisen und einzelnen Gemeinden der SBZ/DDR durchaus ein Rivalitätsverhältnis zwischen der DBD und SED herausbildete. Wechselseitiges Misstrauen, Verdächtigungen und Unterstellungen trennten in vielen Dörfern Mitglieder der beiden Parteien voneinander, die sich vielerorts auch auf unterschiedliche gesellschaftliche Beziehungsnetze stützen. Damit jedoch gewann die DBD, der im Gegensatz zur polnischen Vereinigten Bauernpartei (ZSL) historische Wurzeln fehlten, keine unabhängige Legitimität. Vielmehr stabilisierte sie letztlich die SED-Herrschaft, indem ihre lokalen und regionalen Verbände der Bauernpartei begrenzte Handlungsräume bot, die zumindest bis zur ,,Vollkollektivierung" 1959/60 partiell auch den Interessen, Normen und Werten der Mitglieder gerecht wurden.

Indem sie politik- und sozialgeschichtliche Fragestellungen verknüpft, eröffnet Theresia Bauer - weit über die Geschichte der DBD hinaus - umfassende Einsichten in das Ausmaß und die Grenzen der politisch-herrschaftlichen Durchdringung der ländlichen Gesellschaft. Nach den Befunden der Studie, die auf einer umfangreichen archivarischen Überlieferung und einer eingehenden Auswertung der Sekundärliteratur basiert, war die DBD ,,kein Ort eigenständiger politischer Willensbildung" (S. 549). Sie fungierte aber auch nicht durchweg als ,,verlängerter Arm der gesellschaftlichen Transformationspolitik der SED" (S. 552), wie Bauer selber zeigt. Obgleich der Bauernpartei unstreitig im wesentlichen die Stabilisierung der SED-Herrschaft und ihre Einpassung in lokale und regionale Bedingungsgefüge oblag, bewahrte sie zumindest bis zum vorbehaltlosen Bekenntnis zur Kollektivierung 1957 eine - freilich geringe - Distanz zur Politik der Staatspartei. Erst 1958 gewann die SED-Führung mit Hilfe des Ministeriums für Staatssicherheit auch die Kontrolle über die Organisation der DBD. Diese wichtigen Einsichten, die der weiteren Forschung kräftige Impulse verleihen werden, werden allerdings nur unzureichend auf übergreifende, auch theoriegeleitete Fragestellungen bezogen, die über die Historiographie zu den Funktionen der ,,Blockparteien" und die Debatte über die ,,Durchherrschung"(4) der ländlichen Gesellschaft hinausreichen. Damit fehlt der Studie nicht nur eine profilierte (und damit möglicherweise angreifbare) zentrale These, sondern auch ein umfassender interpretatorischer Rahmen, der die einzelnen Befunde zu bündeln vermag. Jedoch sind Bauers Interpretationen durchweg differenziert und die Urteile nuanciert. Insgesamt besticht die Studie überdies durch die abwägende und facettenreiche Darstellung. Nicht zuletzt konturiert der abschließende, asymmetrische Vergleich mit der polnischen ZSL überzeugend wichtige Spezifika der Bauernpartei, deren stufenweise Ausrichtung auf die SED-Politik Theresia Bauer in ihrer Studie präzise und detailliert nachzeichnet. Erst als ihre Mitglieder und Führung im September 1990 schließlich den Zusammenschluss mit der ostdeutschen CDU beschlossen, befreite sich die DBD aus der Umklammerung durch die übermächtige SED, freilich um den Preis ihrer Auflösung. Ihre organisatorische Selbständigkeit verlor sie aber nicht erst bei der Vereinigung der beiden deutschen Staaten. 

Arnd Bauerkämper, Berlin


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