ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Kevin Passmore (Hrsg.), Women, gender and fascism in Europe, 1919-45, Manchester University Press, Manchester 2003, 288 S., kart., 14,99 €.

Seit sich Claudia Koonz und Gisela Bock Mitte der 1980er-Jahre im ,,Historikerinnenstreit" über die Rolle von Frauen im Nationalsozialismus stritten, ist die Debatte über die Beteiligung von Frauen an faschistischen Bewegungen und ihren Vorläuferorganisationen nicht mehr zum Stillstand gekommen. Inzwischen ist die Ausgangsfrage nach der Opfer- oder (Mit-)Täterschaft einer differenzierteren Betrachtungsweise gewichen. Neuere Arbeiten haben gezeigt, dass nationalistische und rechtsextreme Bewegungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts trotz teilweise gegensätzlicher Rhetorik Frauen in ihre Reihen aufnahmen. Die dabei zugrunde gelegte Geschlechterideologie der separaten Sphären konnte von Frauen durchaus dazu benutzt werden, eigene Handlungsspielräume zu vergrößern - stets auf Kosten derjenigen, die aus nationalistischen und rassistischen Gründen aus der faschistischen ,,Volksgemeinschaft" ausgeschlossen waren.

Hatten sich die einschlägigen Studien aus nahe liegenden Gründen zunächst auf den deutschsprachigen Raum konzentriert, liegen inzwischen auch Arbeiten zu anderen europäischen Staaten vor. Deshalb hatte Kevin Passmore, Lecturer an der Cardiff University, 2001 eine Gruppe meist jüngerer Historiker und Historikerinnen zu einer Konferenz über das Verhältnis von (weiblichem) Geschlecht und (Prä-)Faschismus geladen. Als Ergebnis liegt nun ein Tagungsband vor, der auf 270 Seiten einen knappen Überblick über die aktuelle Forschungslage in zwölf west- und osteuropäischen Ländern präsentiert. Als strukturierender Leitfaden liegen den Beiträgen die in der Einleitung skizzierten Fragen nach dem Verhältnis von Frauen- und faschistischen Bewegungen, der Rolle der (behaupteten) separaten Geschlechtersphären für die politische Partizipation von Frauen und dem Verhältnis der Kategorie Geschlecht zu anderen sozialen Kriterien zugrunde. Diese Leitlinien werden - um das Ergebnis vorwegzunehmen - in den einzelnen Aufsätzen recht unterschiedlich eingelöst. Bedingt durch verschiedene historische Ausgangssituationen ebenso wie durch einen jeweils unterschiedlichen Forschungsstand reichen die Beiträge von differenzierten Analysen komplexer sozialer Bewegungen bis hin zu Fallstudien einzelner Parteien.

So zeichnet Perry Wilson (Edinburgh) Mussolinis Italien und die Partito Nazionale Fascista als einen von Männern beherrschten Apparat, der Frauen lediglich im Wohlfahrtssegment eingeschränkte Mitwirkungsmöglichkeiten zugestand. Von einem eng gefassten Politikbegriff ausgehend, vermag Wilson daher über eine allgemeinen Politisierungseffekt hinaus keine weibliche Mitverantwortung für den italienischen Faschismus zu erkennen. Dagegen zeigt Kirsten Heinsohn am deutschen Beispiel, wie aus den konservativen Frauenvereinen des Kaiserreichs nach 1918 zahlreiche völkische Frauengruppen hervorgingen, die sich mit den älteren Organisationen in der Ablehnung der Weimarer Republik einig waren. Etliche dieser Frauenvereine begrüßten den Nationalsozialismus daher als Erfüllung lang gehegter Ziele, wurden aber ebenso wie die von Männern dominierten Zusammenschlüsse nach 1933 systematisch entmachtet. Wie Johanna Gehmacher 1998 aufzeigte, waren auch in Österreich die Übergänge zwischen der völkischen Frauenbewegung und nationalsozialistischen Sympathien fließend.(1) Umso bedauerlicher ist es, dass in dem hier zu besprechenden Band ein Beitrag zu Österreich fehlt.

Erfreulich zahlreich sind dagegen Arbeiten zum südost- und osteuropäischen Raum vertreten. Maria Bucur (Indiana University) macht deutlich, dass die faschistische Bewegung im Rumänien der Zwischenkriegszeit überwiegend Männer anzog, während sich Frauen eher den klassisch maternalistischen Angeboten konservativer Organisationen zuwandten. Carol S. Lilly (University of Nebraska) und Melisa Bokovoy (University of New Mexico) geben einen Überblick über die Situation von Frauen und Frauenorganisationen im ersten jugoslawischen Staat und arbeiten heraus, in welcher Weise die nationalistischen Tendenzen nach 1919 die positive Aufnahme faschistischer Ideologien vorbereiteten. Mária M. Kovács (Budapest) zeigt, wie in Ungarn auch ohne dezidiert faschistische Bewegung der politische Antisemitismus Fuß fasste und auf welche Weise weibliche Emanzipationstendenzen mit der Unterstützung für eine antisemitische Gesetzgebung einherging, die Juden schon seit den 1920er-Jahren von Bildungs- und Berufschancen ausschloss. Mara I. Lazda (Indiana University) arbeitet die unterschiedliche Geschlechterpolitik der faschistischen Rechten und des autoritären Ulmanis-Regimes in Lettland heraus und schließt auch die Zeit der nationalsozialistischen Besatzung in ihre Analyse ein. Wenig ambitioniert fällt dagegen Dobrochna Kalwas (Universität Krakau) Artikel über die Teilnahme polnischer Frauen an nationalen Bewegungen der Zwischenkriegszeit aus, der in Teilen 2004 an anderer Stelle erschienen ist.(2)

Während in den faschistischen Bewegungen Mittel- und Osteuropas Frauen Randpositionen einnahmen, scheint es einen westeuropäischen Sonderweg gegeben zu haben. Mary Vincent (University of Sheffield) macht die interessante Beobachtung, dass in Spanien das Franco-Regime besonderen Wert auf die Mobilisierung des - weiterhin als unterlegen geltenden - weiblichen Geschlechts legte, um damit seine moralische Überlegenheit über die Republik zu demonstrieren. Auch in Frankreich entdeckten faschistische Gruppen lange vor der parlamentarischen Rechten das politische Potenzial einer weiblichen Anhängerschaft, wie Cheryl Koos (California State University) und Daniella Sarnoff (Xavier University) an einer Reihe von Beispielen deutlich machen und dabei auch das Vichy-Regime einschließen. Die faschistische Bewegung in England wurde, wie Martin Durham hervorhebt, 1923 von einer Frau gegründet, und auch die in den 1930er-Jahren dominierende British Union of Fascists, eine Abspaltung der Labour Party, wies auf lokaler Ebene einflussreiche Frauen auf und bemühte sich in einem vergeblichen Spagat um emanzipatorische Themen, ohne jene Mehrheit ihrer Klientel vor den Kopf zu stoßen, für die Frauen letztlich doch ins Haus gehörten.

Insgesamt zeigt sich, wie Kevin Passmore in seinem zusammenfassenden Überblick bemerkt, dass die faschistischen Bewegungen im Europa des 20. Jahrhunderts für Frauen mit ganz verschiedenem politischem Hintergrund attraktiv waren und sie daher nicht einfach durchgängig als antifeministisch bewertet werden können. Jedoch variierte der Spielraum weiblicher Politik ebenso wie die Auffassung über das Verhältnis der Geschlechter. Konstant blieb gegenüber älteren Formen konservativen Frauenengagements die herausgehobene Bedeutung rassistischer Überzeugungen, doch darüber hinaus entpuppt sich die Frauenpolitik der extremen Rechten in Europa als ebenso widersprüchlich und vieldeutig wie das Phänomen Faschismus selbst. Bei allem Bemühen um einen europäischen Vergleich lassen sich die faschistischen Bewegungen daher nur vor dem Hintergrund der jeweiligen politischen Kultur, in die sie eingebunden waren, analysieren und verstehen.

Ute Planert, Tübingen



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