ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Uwe Mai, ,,Rasse und Raum". Agrarpolitik, Sozial- und Raumplanung im NS-Staat, Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2002, 445 S., geb., 65,40 €.

Uwe Mai hat ein gutes Buch geschrieben. In seiner Dissertation zur Raumplanung während des ,,Dritten Reiches" nimmt er die nationalsozialistische Agrar- und Siedlungspolitik in den Blick und untersucht insbesondere die unterschiedlichen, zum Teil konkurrierenden Konzepte für den von der Forschung bisher vernachlässigten ländlichen Raum. Ausgehend von den konkreten Umstrukturierungen im ,,Altreich" wendet sich Mai den Vorstellungen und ersten Realisierungen in der ,,Westmark" zu, um schließlich den Zusammenhang zu den umfassenden Planungen für den eroberten Osten herauszuarbeiten. Hier liegt die Stärke des Buches: Mai gelingt es in seiner differenzierten Darstellung, die Verbindung zwischen der Agrarstrukturreform im Reich und der Germanisierungspolitik im Osten neu zu beleuchten.

Begriffe wie ,,Rasse" und ,,Raum" gehörten bekanntermaßen zu den zentralen Topoi nationalsozialistischer Politik, gleichwohl blieben die Vorstellungen von dem, was unter der ,,Eroberung von Lebensraum" verstanden werden sollte, unscharf. Im Gestrüpp wortgewaltiger Sprachformeln wie der ,,Germanisierung des Ostens" oder der Rede vom Bauerntum als ,,Blutsquell der Herrenrasse" entstanden unterschiedliche Ordnungskonzepte, die sich nicht als einheitliches politisches Modell beschreiben lassen. Nationalsozialistische Neuordnung meinte zum einen die Umgestaltung der deutschen Gesellschaft zu einer rassisch strukturierten ,,Volksgemeinschaft", in der dem Bauerntum als Quelle ,,rassischer Auffrischung" eine zentrale Rolle zukommen sollte, zum anderen bedeutete dies aber auch ein durch Expansion und Germanisierung verwirklichtes ,,Reich deutscher Nation". In der politischen Praxis folgte aus solchen ideologischen Formeln kein einheitliches Handeln. Mai geht daher der zentralen Frage nach, ob tatsächlich eine ,,inhaltliche Rivalität" der unterschiedlichen Konzepte zur räumlichen und damit auch bevölkerungspolitischen Neugestaltung vorlag oder ob es sich eher um eine strukturell angelegte, möglicherweise auch ,,bewußt einkalkulierte Auseinandersetzung der jeweiligen politischen Entscheidungsträger handelte" (S. 3).

Die Forschung hat sich schon lange intensiv und kontrovers mit den rassistischen Prämissen nationalsozialistischer Politik auseinandergesetzt. Mai argumentiert diesbezüglich mit dem aktuellen Forschungsstand auf Augenhöhe. So differenziert allerdings seine Darstellungen zum Rassismus sind, so wenig bemüht er sich um einen angemessenen Zugriff zur räumlichen Dimension seines Themas, was mindestens ebenso entscheidend gewesen wäre. Dadurch erweckt er nicht nur den Eindruck, dass nationalsozialistische Agrar- und Siedlungspolitik auf ein einheitliches Raummodell ausgerichtet war, er nutzt auch die Differenz zwischen Lebensraum und Territorium zu wenig. Gerade die für die Agrar- und Siedlungspolitik so zentralen Auseinandersetzungen zwischen Darré und Himmler hätten durch eine solche Akzentuierung präziser analysiert werden können.

Die Dissertation ist in drei Hauptteile untergliedert. Im ersten Abschnitt konzentriert sich Mai auf den Funktionswandel und die Instrumentalisierung des Bauerntums zwischen 1886 und 1939. Sowohl im Kaiserreich als auch in der Weimarer Republik galt das Bauerntum als zentraler Faktor einer völkisch orientierten Agrarpolitik, die auf die Stabilisierung der politischen Verhältnisse setzte. Nach 1933 lag die Betonung auf der ,,rassenpolitischen" Bedeutung im Sinne der angestrebten ,,Aufartung des deutschen Blutes". Der Bauer galt nun als Träger des ,,besten germanischen Erbgutes", ihm sollte langfristig die Aufgabe zukommen, ,,fremdvölkische" Siedlungsgebiete zu germanisieren. Die angestrebte ,,Aufzüchtung des deutschen Volkskörpers" kennzeichnet den entscheidenden Unterschied zur wilhelminischen und zur Weimarer Agrarpolitik. Mit dem Reichserbhofgesetz und dem ,,Gesetz zur Neubildung deutschen Bauerntums" wurde ,,Rasse" bereits vor dem Reichsbürgergesetz von 1935 zum zentralen Kriterium sozialer und politischer Hierarchisierung.

Mit Beginn der Expansionspolitik wuchs der Bedarf an bäuerlichen Siedlern. Die Agrarstrukturreform in den Realteilungsgebieten des Reiches sollte die notwendigen Kontingente für eine Germanisierung der eroberten Gebiete freisetzen. Diese Rechnung ging allerdings nicht auf: Das ,,Volk ohne Raum" wollte lieber Zuhause bleiben, die benötigten siedlungswilligen Massen blieben aus. Freiwillig war nur ein verschwindend geringer Teil der deutschen Bauern dazu zu bewegen, im Osten zu siedeln. Zudem erfüllten die Freiwilligen nur selten die rassistischen Auslesekriterien. ,,Der Kampf um den deutschen Menschen" steht daher auch im zweiten Teil von Mais Studie im Mittelpunkt. Im ,,Altreich" schritten nicht nur die Planungen, sondern auch die ersten konkreten Maßnahmen einer Strukturreform voran. Darré gelang es zwar, seinen politischen Einfluss durch die Neuordnungen in einigen mitteldeutschen Regionen, im Südwesten und in den sogenannten Westwallgebieten zu stabilisieren, zugleich geriet er aber auch mit regionalen Entscheidungsträgern in Konflikt. Viele Gauleiter begrüßten zwar die Strukturreformen, von Aussiedlungsmaßnahmen in Richtung Osten wollten sie aber häufig nichts wissen.

Hinzu kamen die Auseinandersetzungen zwischen Darré und Himmler, in denen sich nicht nur individuelle und institutionelle Machtkämpfe ausdrückten, sondern auch zwei konträre Konzepte zur Agrar- und Siedlungspolitik aufeinander trafen. Während Darré eine bäuerliche Elitebildung durch gezielte rassenpolitische Maßnahmen anstrebte und damit zugleich seinen Führungsanspruch hinsichtlich der Germanisierungspolitik im Osten verband, sah Himmler die Ostsiedlung im Rahmen einer bevölkerungspolitischen Gesamtaufgabe, in der die reichsdeutschen Bauern neben volks- und überseedeutschen Umsiedlern, ,,blutsverwandten" Gruppen und ,,eingedeutschten" Angehörigen fremder Völker zwar eine zentrale, aber keine so herausgehobene Rolle mehr spielen sollten.

Mai kann im dritten Teil seiner Studie überzeugend zeigen, dass es Darré zwar bis etwa 1938 gelang, Himmler aus den Planungen und Umsetzungen im ,,Altreich" herauszuhalten, hinsichtlich der Germanisierungspolitik im Osten setzte sich Himmlers Utopie eines ,,Großgermanischen Reiches" jedoch durch, was schließlich die vollständige Ausschaltung Darrés zur Folge hatte und Himmler auch politische Macht im ,,Altreich" sicherte. Damit verfügte die SS über die zentrale Exekutivgewalt in allen bevölkerungspolitischen Belangen, was ein Ineinandergreifen von Siedlungs- und Vernichtungspolitik erst ermöglichte.

Ulrike Jureit, Hamburg


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