ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Waren die Kommunisten nach 1945 im östlichen Teil Deutschlands angetreten, um eine auf ihren theoretischen Überzeugungen basierende Gesellschaft zu formen? Nutzten sie bewusst die Gunst der historischen Stunde, um eine Diktatur zu errichten? Diese Frage stand im Zentrum eines Forschungsprojektes, das mehrere Jahre am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung in Dresden betrieben worden ist. Konzentriert wurde sich dabei auf Sachsen. Das erfolgte unter der expliziten Annahme, Sachsen stehe als Modellfall für die gesamte SBZ und DDR. Der Begriff ,,Diktaturdurchsetzung" wird von den Herausgebern als alternativer Terminus etwa zu ,,Stalinisierung", ,,Sowjetisierung", ,,Machtsicherung" oder "Transformation" verstanden. Er impliziere besser als andere Begriffe, dass die Kommunisten zielgerichtet ihre Herrschaft errichten wollten und ,,dabei vor der Anwendung von Zwang und Gewalt nicht" zurückschreckten (Behring/Schmeitzner, S. 10). Die Herrschaft beruhte nicht auf Recht, sondern Gewalt, weshalb auch von einer ,,Gewaltherrschaft" gesprochen werden könne (ebd.). Im Gegensatz zu Begriffen wie ,,Stalinisierung" oder ,,Sowjetisierung" verfüge ,,Diktaturdurchsetzung" über eine größere Trennschärfe, ,,weil er einen allgemeineren Charakter trägt und es deshalb ermöglicht, neben fremdinduzierten Elementen, die vom Vorbild Sowjetunion oktroyiert oder freiwillig übernommen wurden, etwaige indigene, vielleicht sogar 'typisch deutsche' Aspekte der KPD-/SED-Herrschaft empirisch zu ermitteln." (ebd., S. 11). Der am Ende der Neunzigerjahre des 20. Jahrhunderts eingeführte Begriff ,,Diktaturdurchsetzung" trage zudem den Vorteil in sich, a priori nicht auf kommunistische Nachkriegsdiktaturen in Mittel- und Osteuropa festgelegt zu sein und so in vergleichender Perspektive in synchroner und/oder diachroner Art größere Möglichkeiten zu offerieren. Der Terminus orientiere zudem auf das intentionale Handeln von Menschen. ,,Eine Diktatur entsteht nicht aus dem Nichts und von ungefähr, sie muss bewusst und gegen Widerstände durchgesetzt werden." (ebd., S. 15).

Es stellt sich das Gefühl ein, als wollten die Projektverantwortlichen auch gegen innerwissenschaftliche Widerstände einen Begriff durchsetzen, der weder Widerstände hervorruft noch so originell oder wenigstens originär ist, dass er Aussichten haben könnte, zum alleinigen Schlagwort zu avancieren. Jeder von den Herausgebern angesprochenen Alternativbegriff weist erhebliche Schwächen auf. ,,Stalinisierung" etwa impliziert, der Kommunismus sei von Stalin pervertiert worden und ohne Stalin und ,,Stalinismus" sei ein emanzipatorischer und demokratischer Kommunismus möglich (gewesen). ,,Sowjetisierung" macht zwar die Übernahme von Strukturelementen und Modellteilen aus der UdSSR deutlich, lässt aber die jeweils eigenen nationalen Traditionen und Bausteine zu sehr verblassen. ,,Diktaturdurchsetzung" wiederum ist gerade an der Stelle viel zu apodiktisch, an der es noch viel zu erforschen gibt. Denn so sehr behauptet werden kann, die Errichtung der kommunistischen Diktatur nach 1945 in der SBZ war vor dem Hintergrund der konkreten historischen Ausgangssituation geradezu alternativlos, so sehr muss doch in Frage gestellt werden, ob das subjektive intentionale Handeln tatsächlich auf die ,,Diktaturdurchsetzung" ausgerichtet war. Es ist jedenfalls schwierig nachzuvollziehen, dass der von den Herausgebern selbst intendierte Begriffsinhalt mit der von ihnen angesprochenen Intentionalität der handelnden Akteure in Übereinklang gebracht werden könnte. Insofern stellt der eingeführte Begriff einen interessanten Alternativvorschlag dar, der aber kaum die von den Herausgebern selbst favorisierte Komplexität erfüllt und so letztlich seinen Platz neben anderen beschreibenden Begriffen einnehmen wird, ohne dass ihm eine exklusive Stellung zuteil werden dürfte.

Doch unabhängig von dieser Begriffsdebatte, die es fortzuführen gilt, bieten die vier vorgelegten Bände zahlreiche Beiträge, die auf reicher empirischer Basis gründen und viele neue Einsichten über die Etablierung, Konsolidierung und Durchsetzung der kommunistischen Diktatur in Deutschland bieten. Dazu gehören etwa Beiträge über die Sicherheits- und Geheimdienste, über die Sowjetischen Militärtribunale(1) (vgl. Hilger/Schmeitzner/Schmidt) über die kommunistischer Kaderausbildung in Sachsen (vgl. Schmeitzner) oder über die Funktion von Parteien, gesellschaftlichen Organisationen und den Verwaltungsbehörden bei der ,,Diktaturdurchsetzung" (vgl. Behring/Schmeitzner).

Neben den erwähnten Sammelbänden ist vor allem auf die Monografie ,,Die Partei der Diktaturdurchsetzung" von Mike Schmeitzner und Stefan Donth hinzuweisen. Sie zweifeln nicht daran, dass die Errichtung der kommunistischen Diktatur in der SBZ/DDR von Beginn an programmatisch angelegt und politisch gewollt war. Zunächst stellen sie die Funktions- und Wirkungsweise der Sowjetischen Militäradministration in Sachsen vor und skizzieren die Nachkriegsplanungen der deutschen Kommunisten im sowjetischen Exil. Daran schließen sich Ausführungen an, in denen die Autoren die Durchsetzung des Führungsanspruches der Kommunisten, insbesondere der ,,Moskau-Kader", analysieren. Der große Wert dieser Untersuchung besteht darin, dass sie es vermögen, den konkreten kommunistischen Machtanspruch regionalhistorisch herauszuarbeiten. Ihnen gelingt es zu zeigen, wie die Kommunisten bis Anfang 1946, mit größeren Handlungsspielräumen ausgestattet, eigenständig in Sachsen agierten, ehe sie dann bis 1948/49 stärker als verlängerter Arm der sowjetischen Besatzungsmacht wirkten. Daran schloss sich eine Phase an, in der die SED wiederum eigenständiger agierte. Das hing mit der nunmehr ausgeformten ,,Partei neuen Typus" zusammen, die als streng hierarchisch organisierte Kaderpartei sowohl den Ansprüchen Moskaus als auch der Ostberliner Zentrale stärker gerecht wurde. Dieser Prozess war nicht auf Sachsen beschränkt, sondern verlief beinahe synchron in der gesamten SBZ.

Schmeitzners und Donths Buch behandelt ausführlich die rasche Ausformung der SED zu einer kommunistischen Kaderpartei. Dabei zeigen die Autoren detailliert, wie die Kommunisten Staat, Wirtschaft und Gesellschaft von Anfang an dominierten, wie sie in einem brutalen Verdrängungskampf Sozialdemokraten und bürgerliche Politiker ausschalteten und wie sie innerparteilich ein umfassendes Disziplinierungs-, Kontroll-, Erziehungs- und Schulungssystem errichteten. Sie legen dabei besonderen Wert auf die interne kommunistische Parteiarbeit (vgl. dazu auch: Schmeitzner). Von Beginn an spielten ,,Kader" eine zentrale Rolle. Für die Durchsetzung der ,,führenden Rolle" in Staat und Gesellschaft war ein ausufernder wie zuverlässiger Apparat von entscheidender Bedeutung. Die Auswahl und Schulung der Funktionäre sowie die Entwicklung eines Nomenklatursystems waren Kernstücke der kommunistischen Politik. Wie sehr die sowjetische Besatzungsmacht dabei seit Kriegsende die deutschen Kommunisten alimentierte, wird allein an der Tatsache sichtbar, dass bereits 1945 untere Führungsgruppen der KPD mit personenbezogenen Waffen ausgerüstet wurden - zu einer Zeit, als nicht einmal Polizisten oder Jäger Waffen besaßen.

Wegen des enormen Bedarfs an Kadern boten sich für Zehntausende soziale und politische Aufstiegsschleusen, darunter auch für viele Bürgerliche sowie frühere HJ- und NSDAP-Mitglieder. Für eine Karriere in der SED war nicht die Vergangenheit entscheidend, sondern die Stellung zum neuen System. Andere Schwerpunkte der Studie beschäftigen sich mit dem Aufbau der Repressionsapparate in Sachsen, den Manipulationen und Fälschungen bei den Herbstwahlen 1946 oder dem Zwang bei der Bildung von Verwaltungs- und Regierungsinstitutionen. Diese Ausführungen werden mit eigenen Studien von anderen Autoren in dem Sammelwerk ,,Diktaturdurchsetzung in Sachsen" ergänzt.

Schmeitzner und Donth haben mit ihrer Untersuchung eine beeindruckende Studie vorgelegt. Detailliert und empirisch überzeugend zeigen sie, wie die sowjetische Besatzungsmacht mit Hilfe der deutschen ,,Moskau-Kader" die kommunistische Diktatur exemplarisch in Sachsen aufbaute. Besonders hervorzuheben ist dabei, dass die Autoren präzise analysierten, wie die Kommunisten die mannigfaltigen Widerstände demokratischer Kräfte ausschalteten. Dieser Widerstand zeigte sich in Sachsen besonders stark. Ihre Ausführungen überzeugen auch deshalb, weil sie nicht nur die verfügbaren Quellen aus den einschlägigen deutschen Archiven auswerteten, sondern auch umfangreiche russische Archivunterlagen heranzogen. Auf dieser Basis verfassten Schmeitzner und Donth ein Buch, das zwar regionalhistorisch angelegt ist, aber mit seinen vermittelten Erkenntnissen weit über das Beispiel Sachsen hinauszeigt. Ihre Darstellung konzentriert sich auf historische Prozesse in Sachsen, ihre Erkenntnisse aber verdeutlichen präzise, detailliert und zugleich verallgemeinerbar, wie die Kommunisten ihre Diktatur errichteten und konsolidierten. Dabei können die Autoren aufzeigen, wie sich die in Moskau konzipierte sowjetische Deutschlandpolitik konkret ,,vor Ort" vollzog. Ihr Buch stellt so auch einen Beitrag für die Debatte dar, die sich um die Intentionen der sowjetischen Kommunisten nach 1945 in Deutschland dreht. Schmeitzners und Donths Buch jedenfalls lässt kaum einen Zweifel daran aufkommen, dass die sowjetischen Machthaber und ihre ostdeutschen, in Moskau geschulten Genossen jenes politische und wirtschaftliche System beabsichtigten aufzubauen, das sie errichteten. Diesen Schluss legt nicht nur die Monografie nahe, sondern ebenso durchweg die Beiträge in den Sammelbänden. Insofern ist das Forschungskonzept ,,Diktaturdurchsetzung", das am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung mit diesem Projekt beharrlich verfolgt worden ist, ausweislich der vorliegenden Forschungsergebnisse durchaus aufgegangen.

Ilko-Sascha Kowalczuk, Berlin




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