Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Michael P. Hensle, Rundfunkverbrechen. Das Hören von ,,Feindsendern" im Nationalsozialismus (Dokumente - Texte - Materialien, veröffentlicht vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin, Bd. 49), Metropol Verlag, Berlin 2003, 383 S., kart., 21,00 €.
Michael P. Hensle legt mit seiner für den Druck überarbeiteten Dissertation eine empirische Studie über das Feindsenderhören während des Krieges vor. Zwar wurde dieses massenhafte Delikt im Dritten Reich in vielen Einzelstudien bereits behandelt, eine systematische Untersuchung aber fehlte bisher. Insofern schließt Hensle mit dieser Studie eine Lücke in der NS-Forschung.
Die Arbeit besteht aus zwei Teilen: In dem ersten beschreibt Hensle detailliert und kenntnisreich das Entstehen der nationalsozialistischen Rundfunkverordnung, die Probleme ihrer Umsetzung und die justitielle Verfolgung von Verstößen. Im zweiten Teil untersucht er in vergleichender Perspektive die Ermittlungs- und Verurteilungspraxen der Sondergerichte in Freiburg und Berlin. Hensle konzentriert sich auf eine Untersuchung der Rundfunkverordnung im Kontext des Herrschaftsgefüges wie auf die Frage, ob und inwieweit Handlungsspielräume bei der Verfolgung des Deliktes bestanden. Fragen nach der Wirkungsweise der Feindsender bzw. eine Kontrastierung des Hörens derselben mit dem NS-Rundfunk bzw. des nationalsozialistischen Soldatensenders werden allenfalls gestreift.
Zunächst schildert Hensle u.a. die ,,Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen" vom 1. September 1939. Diesem Gesetz war ein Gesetzentwurf aus dem Jahr 1937 vorausgegangen, der das Hören kommunistischer bzw. sowjetrussischer Sender unter Strafe stellte. Treibende Kraft war hier bereits Reichspropagandaminister Goebbels gewesen. Offenbar hielt Hitler jedoch dieses Gesetz zu diesem Zeitpunkt für nicht durchführbar. Mit Kriegsbeginn, am 1. September 1939, sah Goebbels seine Chance. Den Entwurf über das Verbot des Feindsenderhörens verschärfte er durch einen zweiten Gesetzentwurf, der auch die Einziehung von Rundfunkgeräten, die im Bedarfsfall bei den Ortsgruppen der NSDAP zur Verwahrung abzuliefern wären, vorsah. Bedauerlicherweise geht Hensle nicht weiter auf diesen zweiten Entwurftext ein - obwohl es interessant wäre zu wissen, in welchen Fällen diese Einziehung der Rundfunkgeräte vorgenommen werden sollten (S. 26), bzw. ob gar, wie offenbar von Rudolf Heß vorgeschlagen, generell alle Geräte einzuziehen seien (S. 31). Allerdings wird diese Kontroverse bereits von Gruchmann 1988 referiert(1), was Hensle jedoch nicht erwähnt. Die Rundfunkverordnung, die im Ministerrat umstritten war, wurde von Goebbels zur Sicherung seiner Position insgesamt benutzt. Über die Verordnung wurde bereits am 1. und 2. September in der Presse berichtet, und das, obwohl der Ministerrat diese noch nicht angenommen hatte. Veröffentlicht wurde die neue Verfassung - in der von der Einziehung der Rundfunkgeräte nicht mehr die Rede war - dann am 7. September lediglich im Reichsgesetzblatt. Hensle sieht in diesen Querelen einen weiteren Beleg für das polykratische Herrschaftssystem des Nationalsozialismus. Zu diskutieren wäre hier, wieso ausgerechnet Goebbels eine generelle Einziehung aller Rundfunkgeräte für wünschenswert hielt, stellte doch für ihn der Rundfunk als Leitmedium einen unverzichtbaren Kern seiner Propagandastrategien dar.
Überzeugender ist hingegen die Einschätzung, von vielen Details belegt, dass sich in dem Kampf um Abhörgenehmigungen der unterschiedlichen Repräsentanten und Institutionen ein Kampf um Macht und Einfluss der unterschiedlichen Ressorts zeigt. Goebbels notierte hier befriedigt: ,,Es ist ulkig, wie nun alle Minister an den Führer herantreten, um eine Erlaubnis zum Abhören ausländischer Sender zu erhalten" (20.2.1942, S. 47). Der Propagandaminister erhielt durch das von ihm angestrebte Gesetz tatsächlich ein Informationsmonopol; er bestimmte, wer was aus welchen Quellen erfuhr. Das galt auch für das Außenministerium.
Ein weiterer Nebeneffekt der Rundfunkverordnung war die Stärkung der Stellung der Gestapo: Grundsätzlich entschied die Gestapo, ob ein Strafantrag gestellt werden sollte oder nicht. Das war bereits ein zuvor praktiziertes Verfahren, wurde jedoch hier erstmalig - auf Initiative des Reichsinnenministeriums - gesetzlich fixiert. Frick befürchtete, dass eine Flut von Denunziationen ansonsten die Staatsanwaltschaften mehr oder minder lahm legen würden. Dementsprechend differenzierte Heydrich, wann die Gestapo einen Antrag auf Strafverfolgung stellen sollte. Die Stapoleitstellen waren sozusagen der Filter, ,,bloßes Abhören" sollte in der Regel nicht weiter verfolgt werden, v.a. dann nicht, wenn Musik, Wissenschaftliches etc. gehört wurde. Lediglich wenn Abgehörtes ,,weitergegeben" wurde, sollte in jedem Fall Strafantrag gestellt werden. Aber die Gestapo hatte auch unterhalb der Ebene des Strafantrages weit gehende Kompetenzen, die, wie grundsätzlich bei anderen Delikten, von der Verwarnung über ein Zwangsgeld, der Einziehung des Geräts bis zur Schutzhaft gingen. Diese Handlungsspielräume galten ebenso für die Sondergerichte, für die Wehrmachtsgerichtsbarkeit etc. Leider unterlässt Hensle hier eine Einordnung in den weiteren Kontext der NS-Herrschaftsstrategien im Krieg, die nahezu auf allen Ebenen von dem Balanceakt zwischen dem Sicherheits- und totalem Informationsbedürfnis des NS-Regimes sowie der Furcht, durch zu hartes Durchgreifen an der ,,Heimatfront" Unzufriedenheit und Kritik sowohl bei den Soldaten wie bei den Frauen zu Hause aufkommen zu lassen. Es geht hier um mehr als Abschreckung und Prävention eines diktatorischen Staates. Eben weil die Gesellschaft im Dritten Reich hochkomplex und ausdifferenziert war - und dessen waren sich Teile der politischen und weltanschaulichen Eliten durchaus bewusst - musste auch und gerade im Krieg ausgehandelt werden, in welchem Maße das staatliche Informationsmonopol und die Kontrolle darüber durchsetzbar waren. Die Stabilisierung der ,,Volksgemeinschaft" und ihre Umwandlung in eine Opfergemeinschaft im Krieg wiederum konnte nicht qua diktatorische Entscheidung funktionieren - sie bedurfte nicht zuletzt der medialen Inszenierung.
Im zweiten Teil skizziert Hensle zu Beginn die von ihm untersuchten Sondergerichtsbezirke. Einen wesentlichen Unterschied gilt es hervorzuheben: Während es in Berlin in der Regel eines qualitativ besseren Rundfunkgerätes bedurfte, um ausländische Sender, etwa BBC zu hören, konnte in Südbaden der Schweizer Landessender Beromünster auch mit einfachen Geräten sehr gut empfangen werden. Hieraus folgt auch, dass das Hören von Beromünster bereits vor dem Kriege bzw. vor der NS-Machtergreifung zur Alltagsroutine der Südbadener gehörte. Dem entspricht auch die Statistik über die gehörten Sender (S. 321), wobei sich in beiden Untersuchungsgebieten eine klare Dominanz der westlichen Sender bzw. des schweizerischen Senders ergibt. Die besonders hohe Zahl von Urteilen wegen Feindhörens, gemessen an der Zahl der Sondergerichtsurteile insgesamt in Freiburg, nämlich 15 Prozent - in Berlin waren es nur drei Prozent, in anderen Städten ähnlich - lag offenbar in diesen traditionellen Hörgewohnheiten im Badischen begründet (S. 333 ff.). Trotz der sehr unterschiedlichen Sozialstruktur in beiden Sondergerichtsbezirken ergeben sich wenig Unterschiede hinsichtlich des Profils der Beschuldigten: Diese waren in der Regel männlich, oft im ländlichen Bereich wohnend, um die 40 Jahre alt, gehörten eher den unteren Schichten an, besaßen keine höhere Bildung und waren politisch indifferent. Allerdings sagt dieses Profil weniger darüber aus, wer tatsächlich ,,Feindsender" hörte, als darüber, wer denunziert und vor das Sondergericht gestellt wurde.
Das Kapitel über die Ermittlungsverfahren zeigt einmal mehr, dass die Gestapo auf die Mitarbeit der Bevölkerung angewiesen war. Postkontrolle und der Einsatz von Spitzeln dienten v.a. der Überwachung der ausländischen Arbeiter, innerhalb der ,,Volksgemeinschaft" vertraute man auf die Blockwarte und die Denunziationsbereitschaft der Volksgenossen. Die hier von Hensle präsentierten Ergebnisse nuancieren die bisherige Forschung zur Denunziation. Wichtig erscheint mir sein Hinweis, dass gerade bei der Denunziation des Feindsenderhörens eine relative Zurückhaltung zu beobachten war, lief doch nicht selten der/die Denunziant/in Gefahr, selber wegen des Deliktes angeklagt zu werden. Die Thesen einer sich selbst überwachenden Gesellschaft, wie sie von Robert Gellately u.a. vertreten werden, scheinen nicht nur im Licht dieser Befunde einer Revision zu bedürfen.
Ferner zeigt Hensle, dass oft das Delikt des Feindsenderhörens in einer komplexen Denunziationsgeschichte quasi das Fass zum Überlaufen brachte und zur Verhaftung führte. Dabei bestanden für die Strafverfolgungsinstanzen große Handlungsspielräume, die je nach den verantwortlichen Staatsanwälten, Gestapobeamten etc. genutzt wurden oder eben nicht (S. 216 ff.) Das gleiche galt für die Verfahren, die schließlich bei den Sondergerichten landeten. Selbst nach Verurteilungen konnte die Strafe ausgesetzt wurden. Das geschah v.a. bei Bauern in der Landwirtschaft, in selteneren Fällen auch bei Facharbeitern in der Rüstungswirtschaft. Da es an dieser Stelle unmöglich ist, die vielen Fälle, die Hensle untersucht, wiederzugeben, will ich hier nur auf die sehr seltenen Strafverfahren gegen Jüdinnen und Juden eingehen (S. 307 ff.). Obgleich bereits im September 1939 Juden der Besitz eines Radioapparates verboten war und obgleich ab 1. Juli 1943 alle strafbaren Handlungen von Juden nur noch von der Polizei geahndet werden sollte, kam es doch auch noch danach zu Gerichtsverfahren, wenn es der Gestapo bzw. der SS opportun erschien. In diesen Verfahren wurden die jüdischen Angeklagten von sogenannten Konsulenten, meist ehemaligen jüdischen Rechtsanwälten, vertreten. Die Zulassung zur Strafverteidigung oblag dem Gericht. In den wenigen Fällen, die Hensle vorlagen, war in einem bereits vor Beginn des Verfahrens die Überstellung in ein KZ vorgesehen. In einem weiteren Fall hatte die Vermieterin die jüdische Untermieterin wegen Feindsenderhörens angezeigt, um diese so loszuwerden. Die Frau wurde zu einem Jahr und neun Monaten Zuchthaus verurteilt, obwohl ihr das Abhören nicht bewiesen werden konnte. Nach einem Jahr wurde sie der SS überstellt.
Leider ist das Kapitel über ,,Hörverhalten" sehr kurz geraten: Neben der schon erwähnten Übersicht darüber, welche Sender gehört wurden, stellt Hensle für die Motive lapidar v.a. ,,Nachrichtenhunger" fest. Feindsenderhören geschah selten in Verbindung mit einer politischen Oppositionshaltung und noch seltener mit Widerstandshandlungen. Abschließend betont Hensle, dass die Zahl der Feindhörer sehr viel größer gewesen sei als die Zahl derjenigen, die vor ein Sondergericht gestellt wurden. Hier bleibt anzumerken, dass der vorgenommene Vergleich zwischen dem Badischen und Berlin jedoch insgesamt wenig aussagekräftig ist. Offenbar war es, abgesehen von wenigen regional bedingten Unterschieden, eher von den Richtern, Gestapobeamten etc. abhängig, ob und wie Handlungsspielräume für die Angeklagten genutzt wurden oder nicht.
In dem sehr knappen Schlusskapitel betont Hensle, dass die wichtige Rolle der Gestapo ebenso wie die Bedeutung der völkisch-rassischen Einstufung des Betroffenen bei der Durchsetzung der Reichsrundfunkordnung, in ,,paradigmatischer Weise nationalsozialistische Rechtsauffassung" (S. 353) verkörpere und verweist in diesem Kontext auf ,,die Fraenkelsche Formel" vom Doppelstaat. Gerade in diesem Resümee zeigt sich die Schwäche der Arbeit: Hensle fokussiert nahezu ausschließlich auf die Durchsetzung der Rundfunkverordnung. Weiter gehende Kontextualisierungen fehlen fast vollständig. Es dürfte wohl kaum eine zentrale Verordnung und ein Gesetz im Kriege gegeben haben, das nicht die nationalsozialistische Rechtsauffassung weiterschrieb. Ertragreicher wären m.E. Fragen nach den gehörten Programmen der ausländischen Sender, also nach dem, was und von wem gehört wurde, und ob die Eindringtiefe der NS-Propaganda bzw. die normative Wirkkraft der NS-Ideologie, verstärkt durch die Kriegssituation, nicht die Deutschen gegenüber der Informationspolitik der ausländischen Sender weitgehend immunisierten. Trotz dieser Kritik hat Hensle eine facettenreiche und detaillierte Studie zur Umsetzung der ,,Rundfunkverordnung" vorgelegt, die nicht zuletzt die Grenzen diktatorischer Herrschaftsstrategien verdeutlicht.
Inge Marszolek, Bremen
Fußnote:
1 Lothar Gruchmann, Justiz im Dritten Reich 1933-1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner, München 1988, S. 902 ff.