Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Wolfgang Helbich/Walter Kamphoefner (Hrsg.), Deutsche im Amerikanischen Bürgerkrieg. Briefe von Front und Farm 1861-1865, Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2002, 580 S., kart., 39,90 €.
Die hier vorgelegte Auswahl von 343 Briefen, die zwischen 1861 und 1865 vom amerikanischen Kriegsschauplatz in die alte Heimat gelangten, basiert auf der von Wolfgang Helbich aufgebauten Auswandererbriefsammlung an der Ruhr-Universität Bochum. Angesichts von schätzungsweise vier Millionen Briefen, die größtenteils nicht mehr überliefert sind, stellt diese Quellensammlung einen wichtigen Fundus für die Geschichte der Deutschamerikaner und ihrer Integrationsversuche in die amerikanische Gesellschaft dar. Ob es sich tatsächlich um eine repräsentative Auswahl handelt, wie die Herausgeber konstatieren, kann angesichts der Masse nicht überlieferter brieflicher Quellen nicht überprüft werden. Zumindest stellt sich aber die Frage, ob jene vielen deutschstämmigen Amerikaner, die des Schreibens nicht mächtig waren, über Briefe überhaupt erfasst werden können. Denn bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass es sich um Briefe besonders jener Personen handelt, die über einen gewissen Grad an Bildung verfügten, wobei Frauen eindeutig unterrepräsentiert sind. Gleichwohl wird deutlich, welche typischen Wahrnehmungsmuster über die amerikanische Gesellschaft vorherrschten. Dabei weisen die Schilderungen oft stereotype Sichtweisen - konstatiert werden amerikanischer Materialismus und militärstrategische Unfähigkeit der demokratisch gewählten Offiziere - auf. Daher wäre eine methodisch-theoretische Einordnung begrüßenswert gewesen: Denn längst wird in der militärgeschichtlichen Forschung der authentische Wert von (Feldpost-)Briefen zumindest relativiert, wie die Editionen bzw. Forschungen zu den Frontbriefen der beiden Weltkriege zeigen. Überhaupt halten sich die Herausgeber mit Äußerungen über die Forschungslage bedauerlicherweise auffallend zurück. Dagegen führt eine umfangreiche Einleitung (S. 25-99) in die Geschichte und das Nachwirken des amerikanischen Bürgerkriegs unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Immigranten ein. Ergänzt wird dieser akribisch edierte Quellenband durch einen Anhang samt Kartenteil, Glossar und Register.
Der brieflichen Kommunikation kommt in Kriegszeiten eine erhöhte Bedeutung zu. Männer werden über einen längeren Zeitraum von ihren Familien getrennt und entwickeln unter den vielen neuen Eindrücken ein erhöhtes Mitteilungsbedürfnis - ebenso wie die zuhause gebliebenen Familien. Das scheint auch im amerikanischen Bürgerkrieg der Fall gewesen zu sein. Jedenfalls wurden vom amerikanischen Kriegsschauplatz rund vier Millionen Briefe von Auswanderern in die deutsche Heimat geschickt. Geschrieben wurde über die militärischen Ereignisse, über die Versorgungslage und politischen Stimmungen sowie über das Verhältnis der Deutschamerikaner zu ihren amerikanischen Kameraden und Vorgesetzten. Dabei handelte es sich bei den deutschstämmigen Immigranten keineswegs um eine marginale Gruppe auf beiden Seiten der Frontlinie. Deutsche stellten in vielen Teilen Nordamerikas die anteilsmäßig größte ethnische Gruppe und beteiligten sich darüber hinaus überdurchschnittlich häufig in den Armeen, vorwiegend der Nordstaaten, wo rund zehn Prozent der Soldaten aus Deutschland eingewandert bzw. deutschstämmig waren. Es würde jedoch zu kurz greifen, diese Bereitschaft zum Eintritt in die Armee mit einer typisch deutschen ,,militaristischen" Gesinnung zu verbinden. Auch der Wunsch - und noch weniger dessen Realisierung - nach schnellerer Integration in die amerikanische Gesellschaft über das Mittel des Kriegseinsatzes ist in den vorliegenden Briefen nicht festzustellen. Ebenso selten bildeten ideelle Gründe wie die Abschaffung der Sklaverei oder der Schutz der Demokratie das Leitmotiv für militärisches Engagement. Vielfach waren es die Subskriptionen per Losverfahren, die die Deutschen als große nationale Minorität trafen. Noch wichtiger scheinen hingegen finanzielle Motive gewesen zu sein, denn die erst wenige Jahre in den USA lebenden Einwanderer hatten wirtschaftlich oft noch nicht Fuß fassen können und sahen sich genötigt, ihren Lebensunterhalt als Freiwillige zu bestreiten.
Es ist das große Verdienst der Herausgeber, dass sie die Verfasser der Briefe exakt identifizieren und zusätzliche biografische Informationen liefern. So lassen sich die Briefe der Jahre 1861 bis 1865 in die Lebensgeschichten der Briefschreiber einordnen, was zum Teil interessante Kontinuitäten eröffnet. Viele Integrationsprobleme sind in der Person des Einwanderers selbst zu suchen, was den Wert biografischer Ansätze unterstreicht und diese Quellensammlung zu einer wichtigen Fundgrube lebensgeschichtlicher und kollektiv- und militärgeschichtlicher Untersuchungen werden lässt.
Kathrin Zimmer, Münster