Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Julia Angster, Konsenskapitalismus und Sozialdemokratie. Die Westernisierung von SPD und DGB, (Ordnungssysteme. Studien zur Ideengeschichte der Neuzeit, Bd. 13), Oldenbourg Verlag, München 2003, 538 S., geb., 49,80 €.
Vor dem historischen Hintergrund der deutschen und amerikanischen Arbeiterbewegung mit ihren je unterschiedlichen organisatorischen und programmatischen Ausformungen - hier SPD und Gewerkschaften, deren einflussreiche Organisationen nach 1933 in Deutschland jäh zerstört wurden, dort der AFL-CIO, deren politische Mitwirkungsrechte bis dahin nur rudimentär entwickelt waren - zeichnet die Autorin die Integration der amerikanischen Gewerkschaften als anerkannte Tarifpartner und Agenturen sozialpartnerschaftlich-pluraler Politikkonzepte unter dem New Deal nach. Dabei wurden die Ideen des ,,Konsenskapitalismus" gesät, die nach 1945 zur Grundlage der Westernisierung auch für das westliche Deutschland wurden. Über einflussreiche, während der New Deal-Jahre und im Rahmen des ,,war effort" in unterschiedlichen Kriegsbehörden geschaffene Netzwerke, durch eigene, nach 1945 aufgebaute internationale Organisationen sowie mithilfe der aus Deutschland in die USA und nach Grossbritannien emigrierten und nach Ende der NS-Herrschaft dorthin zurückgekehrten politischen Gesinnungsgenossen wurden jene Konzepte für den deutschen Wiederaufbau vermittelt. Die Kernthese lautet, dass die Multiplikatoren der Westernisierung aus dem Kreis der Remigranten nicht aus den Partei- und Gewerkschaftsapparaten vor 1933 kamen, sondern in jenen Jahren unterschiedlichen sozialistischen Splitter-Gruppen angehört hatten. Ihre weniger ausgeprägten Lagermentalitäten hatten in der Emigration zu größerer Offenheit und Rezeptivität für neue politische Anregungen geführt, die sie für jene Rolle prädestinierten.
Dieser ideenpolitische Transfer erhielt weitere Schubkraft während des Kalten Krieges. Er flankierte nicht nur die ideologische Offensive der US-Außenpolitik gegen den Kommunismus, was ihm die reichliche, klandestine Finanzierung durch die CIA sicherte, sondern er richtete sich auch gegen mögliche neue Sonderwegstendenzen im Nachkriegsdeutschland, wie sie etwa im neutralistischen Kurs der Schumacher-SPD gesehen wurden.
Die amerikanischen Gewerkschaften und die deutschen Exilanten wurden, so die Autorin pointiert, zu den zentralen Vermittlern der ideellen Westintegration der Bundesrepublik - neben dem zügigen wirtschaftlichen Aufbau das ,,zweite Wunder" der 1950er-Jahre. Der New Deal Liberalism und der während der Kriegsjahre konzipierte, keynesianisch unterlegte Konsenskapitalismus setzten die Wertmaßstäbe, die nach 1945 zur Abkehr der SPD und der Gewerkschaften von ihrem traditionellen Selbstverständnis als antikapitalistische Gegenmacht hin zu pluralistischen Interessenvertretungen führten und in dem das Godesberger Programm von 1959 und das DGB-Programm von 1963 den Abschluss dieses Prozesses markierten.
Prägnant werden in dieser in ihrer vergleichenden Perspektive breit angelegten und im Detail subtil analysierenden Dissertation die unterschiedlichen, von der amerikanischen Innenpolitik (McCarthyismus) bestimmten Phasen politisch offensiver und defensiver Einflussmöglichkeiten der AFL und CIO, deren innere Differenzen bis zum Zusammenschluss 1955, die zentralen Gruppen und Personen der Netzwerke auf nationaler wie transatlantischer Ebene sowie deren intellektuelle wie politische Herkunftsmilieus vorgestellt.
Max Stein, Hamburg