ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Horst Heidermann, Seel: Johann Richard Seel, Maler in Wuppertal und Zeichner des Deutschen Michel, (Beiträge zur Geschichte und Heimatkunde des Wuppertals, Bd. 40), Thales-Verlag, Essen 2003, 368 S., geb., 34,00 €.

Der Maler Richard Seel (1819-1875) zählt zu den wenigen Beispielen eines demokratisch gesinnten, bildenden Künstlers, die das Deutschland des 19. Jahrhunderts aufzuweisen hat. Als Sohn eines wohlhabenden Elberfelder Zinngießers studierte er von 1837 bis 1841 an der Düsseldorfer Akademie bei Karl Ferdinand Sohn und vertiefte seine Kenntnisse 1845 bis 1847 in Paris, wo er im Atelier Paul Delaroches, des wohl wichtigsten Geschichtsmalers jener Jahre, arbeiten konnte. Eine gewisse überregionale Bedeutung erlangte er durch einige Bildsatiren, während die zum Teil beachtlichen Porträts seiner späteren Jahre beinahe ausschließlich Persönlichkeiten aus Elberfeld und Umgebung zeigten. An das dortige Publikum hat er die meisten seiner Werke verkauft, dort wurden seine Werke ausgestellt, und dort - meist im Historischen Zentrum Wuppertal oder im Von der Heydt-Museum - befinden sie sich auch noch heute.

Für Historiker ist Seel aus zwei Gründen von Interesse: zum einen wegen seiner Tätigkeit als politischer Satiriker, zum anderen als Porträtist der bürgerlichen Elite der Elberfelder Gesellschaft. Zur Beschäftigung mit der Bildsatire wurde Seel durch linkshegelianische Kreise in Berlin angeregt, wo er sich zur Ableistung des einjährigen Freiwilligen Militärdienstes aufhielt. Unter seinen religionskritischen und politischen Bildsatiren wurde vor allem eine bedeutend, nämlich die des ,,Deutschen Michel". Ihre Wirkung konnte sie entfalten, als der preußische Staat 1842 für wenige Monate die präventive Bildzensur aussetzte. Der Berliner Verleger Julius Springer nutzte die Gelegenheit, und brachte den ,,Michel" als Einzelblattdruck auf den Markt.

Seel griff mit dem ,,Michel" ein literarisch vorgeprägtes Motiv auf, dem er die populäre Bildgestalt gab. Sein ,,Deutscher Michel" bot das Sinnbild des politisch unmündigen deutschen Spießbürgers, auf einen Kinderstuhl gefesselt, die Fahnen von 36 Kleinstaaten auf dem wohlgenährten Bauch, den Mund durch ein Vorhängeschloss versperrt, vor sich hin dämmernd, umgeben von preußischen und französischen Soldaten, Amtsträgern und dem Papst, die ihn zur Ader lassen, plündern und indoktrinieren und bereit sind, jede selbständige Regung ihres Opfers zu unterdrücken. Das Blatt - eine der ersten legal in Preußen veröffentlichten Bildsatiren - fand ausgesprochen wohlwollende Aufnahme in der zeitgenössischen Kritik, wie unter anderem die sehr lobende Besprechung in der von Karl Marx redigierten Rheinischen Zeitung belegt. Seel selbst fertigte mehrere Varianten an (,,Michel erwacht"!), und seine Bild-Erfindung diente anderen Karikaturisten als Vorbild. Nach Wiedereinführung der Vorzensur im Februar 1843 verfiel das Blatt dem Verdikt, trat aber 1848 in zahlreichen Variationen wieder ans Licht. Seel gab in seinen Bildern dem ,,Michel" Gestalt und hat damit die ,,imagerie historique" der Deutschen um eine populäre Figur bereichert. Sein Pech war es, dass die anonym erschienenen Bildsatiren sich nicht mit seinem Namen verbanden.

Nach dem Pariser Zwischenspiel machte Seel die Bildnismalerei zur ökonomischen Grundlage seiner künstlerischen Arbeit. Fest verwurzelt in der Künstler- und Literatenszene des Wuppertals und seiner Umgebung, fand er unter ihnen die meisten Auftraggeber und Kunden. Mit seinen strengen, in realistischer Manier gemalten Porträts von Felix Bracht, Carl Pagenstecher, Emil Rittershaus und anderen bietet er eine Innensicht des linksbürgerlichen Milieus der Region, wie es in dieser Dichte ungewöhnlich ist. Das Bildmaterial ist als Quelle für die Kulturgeschichte des Elberfelder Bürgertums noch zu entdecken.

Horst Heidermann hat dem Maler Seel eine umfangreiche und gründlich recherchierte Biografie gewidmet, die hinsichtlich der Materialfülle und Sorgfalt der Bearbeitung kaum übertroffen werden kann. Von chronikartigen Übersichten unterbrochen, stellt der Autor die einzelnen Lebensabschnitte ausführlich vor, wobei er besonderen Wert auf die Rekonstruktion der Freundes- und Bekanntenkreise des Künstlers legt. Der opulent bebilderte Band verschafft einen Überblick des Gesamtwerks und zeigt die wichtigsten Karikaturen und Gemälde Seels im Vierfarbdruck. Für die historische Forschung von Nutzen ist ferner das Werkverzeichnis des Künstlers, mit dem Heidermann sein Buch beschließt.

Andreas Biefang, Bonn


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