Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Julia L. Ortiz-Griffin/William D. Griffin, Spain and Portugal today, (Studies in Modern European History), Verlag Peter Lang, New York u.a. 2003, 242 S., kart., $ 32,95.
Dieses Buch des Historikers Griffin und der Hispanistin Ortiz-Griffin, die beide in New York lehren, wird angekündigt als erste große Studie, wie die beiden iberischen Länder es im vergangenen Vierteljahrhundert geschafft haben, nach dem Ende der Diktaturen eine neue politische, gesellschaftliche und kulturelle Ordnung zu konstruieren. Um das Fazit vorwegzunehmen: Über weite Strecken ist das Buch eine Enttäuschung. Selten reicht es über das Niveau eines gehobenen Reiseführers hinaus. Trotz einer durchaus akzeptablen ,,Select Bibliography" am Ende ist die Informationsbasis ausweislich der Anmerkungen eine gut sortierte Zeitungsausschnittsammlung, und auf dieser Reflektionsebene bleibt auch das daraus gewonnene Werk.
Nach einer 1469 einsetzenden und zur Gegenwart hin dichter werdenden, sechs Seiten langen Chronik wird Spanien auf 150, Portugal auf 60 Seiten behandelt. Für beide Länder thematisieren die Autoren die jüngste Vergangenheit, die politischen Strukturen (für Spanien auch die wichtigsten staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen), Themen aus der Wirtschaft sowie die Kulturszene, im Falle Spaniens zusätzlich die Stellung des Landes in der internationalen Politik. Statistiken jeglicher Art fehlen gänzlich. Dafür schließt aber ein Personen- und Sachregister das Buch ab.
Bezüglich Spanien dominiert politische Einseitigkeit. Das Buch durchzieht als roter Faden eine massive, nicht Pro und Contra abwägende Kritik an den Regierungen González von 1982-1996, so dass man sich am Ende fragt, warum der PSOE eigentlich so lange regieren konnte. Neben zutreffenden Einwänden kommt es zu regelrechten Fehlinformationen. Der PSOE habe sich zu einer Partei von ,,newly rich office holders" verändert, die Arbeiter seien ,,betrayed" worden (S. 17). Der PSOE habe seine sozialpolitischen Versprechen nicht eingehalten, die Reichen seien unter González reicher geworden, während ernsthafte Umverteilungsanstrengungen gefehlt hätten - was in krassem Widerspruch zu statistischen Befunden und Ergebnissen der Forschung steht.
Der Kampf gegen die ETA wird zu einem ,,low-level civil war", in dem ,,González's subordinates, with or without his knowledge" häufig zu illegalen Mitteln griffen (S. 24). Der ETA-Terror habe bis 1996 ständig zugenommen (was nicht zutrifft, der Höhepunkt war in den Achtzigerjahren). Die Polizei habe ,,Basque dissidents" (S. 54) ermordet - wer die ,,dissidents" gewesen sein sollen, bleibt offen, es sei denn, damit wären die ETA-Terroristen gemeint. Der Franco-Diktatur wird zugestanden, ernsthaft die Beseitigung des Analphabetismus angegangen zu sein und großzügig Mittel für das Bildungswesen zur Verfügung gestellt zu haben. Augusto Pinochet wird als ,,Chile's former president" (S. 135), ohne Verweis auf die Diktatur, eingeführt, dessen Verhaftung aufgrund spanischen Haftbefehls massiven Protest in seinem Heimatland hervorgerufen habe; die Zufriedenheit vieler von Pinochet Verfolgter über dessen Festsetzung bleibt unerwähnt. Das Engagement Spaniens für die Demokratisierung Lateinamerikas wird als ,,somewhat paternalistic lectures on the virtues of democracy" (S. 137) abqualifiziert.
In der Chronologie zu Beginn wird für 1986 zwar der EU-Beitritt Portugals, aber nicht der von Spanien erwähnt; dies taucht erst beim Eintrag für 1996 auf. Dem deutschen Leser fallen zudem Eskapaden auf wie: ,,Germany, never truly unified except during the years of Hitler's dictatorship [...]." (S. 21). Am schwächsten fällt das Kapitel ,,Spain in the World: International Relations" aus, wo noch nicht einmal der Westsahara-Konflikt erwähnt wird. Die Sympathien für Diktatoren setzen sich im Portugal-Teil fort. Dort heißt das Kapitel über das Land nach der Revolution von 1974: ,,After the Professor [Salazar ist gemeint] has left the classroom: The Coming of the Democracy" (S. 160). Antidemokratische Stereotype werden wiederholt, wenn es fälschlich heißt, dass nach dem Sturz der Diktatur Politiker aus dem Exil kamen und Parteien gründeten, die zumeist von sich bekämpfenden Cliquen gespalten worden seien - wo doch das portugiesische Parteiensystem seit 1974 bemerkenswert stabil blieb.
Die Übergabe Macaos durch Portugal an China wird zwei Seiten lang im Stile von Reisejournalismus geschildert, während der für Portugals politische Szene bedeutsame KP-Führer Cunhal überhaupt nicht, der bei einem Flugzeugabsturz getötete bürgerliche Ministerpräsident Sà Carneiro nur am Rande erwähnt werden, obgleich Letzterer eine charismatische Führungsfigur war.
Bernd Rother, Berlin