ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Gisela Notz, Frauen in der Mannschaft. Sozialdemokratinnen im Parlamentarischen Rat und im deutschen Bundestag 1948/49-1957, Dietz Verlag, Bonn 2003, 568 S., kart., 34,00 €.

Paris vor und nach 1789: In ihrem Roman ,,City of Darkness, City of Light" entwickelte Marge Piercy Frauencharaktere, die in den Wirren der französischen Revolution lebten, kämpften und liebten. Sie beschreibt sie so hautnah, dass eine Kritikerin später bewundernd anmerkte, es sei nur schwer zu glauben, dass sich all dies nicht wirklich genau so abgespielt habe. Mit dem neuen Buch von Gisela Notz verhält es sich ähnlich, aber unter umgekehrten Vorzeichen. Auch sie beschreibt inzwischen fast vergessene Frauen als zeitgeschichtlich bedeutsame, handelnde Subjekte. Nur diese Geschichten, welche so fesselnd zu lesen sind, haben sich tatsächlich zu getragen; diese Leben wurden gelebt und werden exemplarisch für aktives sozialistisches und feministischen Engagement in einer der zentralen Epochen der deutschen Geschichte, nämlich der unmittelbaren Nachkriegsgeschichte, vorgestellt.

Gisela Notz stellt sich mit ihrem Buch ,,Frauen in der Mannschaft Sozialdemokratinnen im Parlamentarischen Rat und im deutschen Bundestag 1948/49-1957" dem Vergessen entgegen. Zwar haben Frauen schon immer Geschichte gemacht, nur wird bis heute zu wenig über sie geschrieben, geschweige denn gelehrt. Die Portraits von 26 SPD-Politikerinnen, welche sowohl die Verfassung der Bundesrepublik maßgeblich mitbestimmten als auch im Parlament zentrale Themen auf die von Männern gesetzte Agenda setzten, sind nicht nur wichtige Dokumente einer ergänzenden ,,Her-Story" zur dominanten history. Viel mehr beinhaltet historische Forschung dieser Art immer auch das Potenzial der Intervention in aktuelle Diskurse um die Stellung von Frauen in der Bundesrepublik von heute. Gerade in Zeiten, wo die ,,Emanzipiertheit der deutschen/europäischen Frau" von rechts bis links so gerne in aller Munde geführt wird, vornehmlich um die eigene nationale Fortschrittlichkeit zu belegen, ist es mehr denn je wichtig daran zu erinnern, dass frau nichts geschenkt wurde. Immer öfter wird versucht, Frauenemanzipation als überlegene deutsche oder westliche Zivilisationsleistung zu enthistorisieren und sie damit für anti-emanzipative Politk zu funktionalisieren. Die Stellung der Frau in Deutschland, eine der drei Säulen auf denen der Nonsens einer angeblichen deutschen Leitkultur ausgestellt wurde, ist eben kein der ,,deutschen Seele" essentiell eigener Wert. Der in der Verfassung garantierte Gleichheitsgrundsatz - wie Notz anhand der Biographie von Elisabeth Selbert anschaulich belegt - war Produkt harten Ringens und unermüdlicher Überzeugungsarbeit von Frauen aller politischen Richtungen. Durch das ganze Buch weist die Autorin die Gleichstellung der Frau als Resultat historischer Kämpfe aus, und liefert damit Munition gegen gängige chauvinistische Vereinnahmungsversuche von feministischer Theorie, Praxis und Geschichte.

Trotz der teilweise problematisch dünnen Quellenlage schafft es Notz, fast alle Personen getreu des Mottos ,,Das Private ist politisch" und umgekehrt als politisch aktive Menschen mit konkreten biographischen Geschichten und Erfahrungen begreifbar zu machen. Warum handeln manche und manche nicht, warum laufen manche mit und andere widersetzen sich? Diese Frage stellt sich bezüglich des deutschen Faschismus, stellt sich für den Aufbau der Demokratie und stellt sich bis heute angesichts des aktuellen politischen Backlashs auf allen Ebenen.

Notz zeichnet in den Biographien der Frauen das Zusammenspiel von sozialer Herkunft, ihren Chancen bzw. Beschränkungen aufgrund von Klassenzugehörigkeit, Geschlecht und anderen Gewaltverhältnissen wie Antisemitismus, nach. Dabei wird nachvollziehbar, wie sowohl gesellschaftliche Umstände als auch persönliche Begegnungen die Lebensentscheidungen der Frauen entscheidend prägten. Zugleich aber versäumt es die Autorin nicht, die individuellen Biographien des zweiten Teils, im einleitenden Kapitel des Buches politisch-historisch zu kontextualisieren. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, das Überleben nach dem Krieg und der Widerstand gegen die Wiederbewaffnung und atomare Aufrüstung finden ebenso Berücksichtigung wie sozialdemokratische Frauenpolitik. Zum Abschluss nimmt die Autorin eine Zusammenfassung und einen Ausblick vor, in dem sie das recherchierte Material nochmals auf einer analytischen Ebene verknüpft und vor allem die Gemeinsamkeiten der Frauen herausstellt, welche vom prägenden Einfluss des Vaters über eine traditionelle weibliche Sozialisation bis zur Herkunft aus Arbeiterfamilien reicht.

Neben viel Fleißarbeit und Detailkenntnis, profitiert der/die Leser/in aber nicht nur vom professionellen Hintergrund der engagierten Sozialwissenschaftlerin und Historikern Notz, sondern auch von ihrem Einfühlungsvermögen und offensichtlich persönlichen Zugang zu den Lebensgeschichten dieser Frauen. Sie lässt sich jedoch nicht verleiten, Abziehbilder von glorifizierten Heldinnen zu zeichnen, sondern zeigt sowohl die Widersprüche und Brüche in den Leben der Frauen wie auch innerhalb der SPD-Frauenpolitik auf. Notz schrieb ein ambitioniertes und gelungenes Buch, das durchaus auch über den deutschen Tellerrand hinaus zuweisen vermag. Zu guter Letzt zitiert sie Clara Zetkins berühmten Satz ,,Ziel ist das Menscherecht als Frauenrecht", allerdings ergänzt Notz diese Forderung mit dem Zusatz: Weltweit.

Antje Schuhmann, München


DEKORATION

©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE | April 2004