ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Matthias Hambrock, Die Etablierung der Außenseiter. Der Verband nationaldeutscher Juden 1921-1935, Böhlau-Verlag, Köln 2003, 787 S., geb., 89 €.

Ein Verein jüdischer Deutscher, der die nationalsozialistische Machtergreifung im Kern begrüßt, in der eigenen Organisation das ,,Führerprinzip" einführt und schließlich zwischen ,,Fremdjuden" und ,,Deutschjuden" unterscheidet: solch ein Verein stößt in der Rückschau fast automatisch auf Unverständnis und lädt geradezu zu Fehldeutungen und Missverständnissen ein. Die Geschichte des Verbandes nationaldeutscher Juden (VnJ) zu schreiben, ist in der Tat ein schwieriges Unterfangen. Matthias Hambrock hat diese Aufgabe gemeistert. Seine hier zu besprechende Studie ist mit viel Fingerspitzengefühl geschrieben, und sie vermeidet vorschnelle Urteile. Indem er außerdem die Geschichte des Verbandes in sein gesellschaftliches Umfeld einbettet, leistet der Autor zugleich einen wichtigen Beitrag zur Geschichte der Weimarer Republik, insbesondere zur Entwicklung des Bürgertums und des Antisemitismus in diesen Jahren.

Mit Hilfe des Modells der Etablierten-Außenseiter-Figurationen des Soziologen Norbert Elias gelingt es dem Autor, das Verhältnis von faktischer Integration der Juden in die deutsche Mehrheitsgesellschaft und der Kontinuität des antijüdischen Vorurteils darzustellen. In dem Maße, wie sich der Verband bemühte, den kulturell-normativen Vorstellungen der etablierten deutschen Mehrheitsgesellschaft zu entsprechen, verfestigte sich deren emotionaler Pauschalvorbehalt gegenüber den jüdischen Außenseitern. Und den zunehmenden gesellschaftlichen Erfolg der Außenseiter werteten die Etablierten als Bestätigung ihres Vorurteils. Dass angesichts dieser Konstellation das Werben und Bemühen des Verbandes für den Abbau der Spannungen im Verhältnis von Juden und Nichtjuden fruchtlos bleiben musste, ist wohl nur im Rückblick einsichtig, und kann den damaligen Verbandsmitgliedern nicht zum Vorwurf gemacht werden.

Das Buch ist in zwölf Kapitel aufgeteilt. Nach der Einführung und einem historischen Überblick über die Emanzipation und Integration der deutschen Juden seit dem 19. Jahrhundert beschreibt der Autor in den folgenden zwei Kapiteln die ideologischen Grundlagen sowie die Organisation und die Strukturen des Verbandes. 1921 von Max Naumann gegründet, bestand der Zweck des Verbandes laut seiner Satzung im ,,Zusammenschluss aller derjenigen Deutschen jüdischen Stammes, die bei offenem Bekennen ihrer Abstammung sich mit deutschem Wesen und deutscher Kultur so unauflöslich verwachsen fühlen, dass sie nicht anders als deutsch empfinden und denken können." Sein Dilemma bestand von Beginn an darin, die biologische Dimension des deutschen Antisemitismus klein halten und den Begriffen Volk, Nation und Rasse eine andere, emotionale und geistige Ausprägung zuweisen zu müssen. Deutschtum war in den Augen des Verbandes eine Frage der Gesinnung, das gefühlsbetonte nationaldeutsche Bekenntnis hatte einen eminenten Stellenwert.

Während der gesamten Existenz des Verbandes kam er nie über den Status einer Randgruppe innerhalb der jüdischen Gemeinschaft hinaus. Die durchschnittliche Mitgliederzahl lag bei rund 4.000 Personen, die im weit überwiegenden Teil dem Bildungsbürgertum angehörten. Neben der Zentrale in Berlin gab es zwölf Ortsgruppen, in denen der Hauptteil der Verbandsaktivitäten stattfand.

Die Kapitel 5 und 6 beschäftigen sich mit dem Verhältnis des VnJ zu anderen jüdischen Gruppen und Organisationen, wie etwa den Ostjuden, den Zionisten und dem Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV). Hier wird deutlich, in welchem Maße der Verband sich von diesen Gruppierungen distanzierte, um die eigene patriotische Gesinnung unter Beweis zu stellen. Der CV, der die große Mehrheit der deutschen Juden repräsentierte, war dem Verband nicht patriotisch genug, die Zionisten waren für ihn keine loyalen Deutschen und die Ostjuden gefährdeten in seinen Augen die Existenz der deutschen Gesellschaft.

Dem siebten Kapitel, das der kulturellen Ebene der Verbandsideologie gewidmet ist, folgt die Beschreibung des Verhältnisses des VnJ zur Weimarer Republik und deren Parteien. Der Maßstab des Verbandes war dabei der Stellenwert des nationalen Gedankens in den jeweiligen Parteien, was zur Folge hatte, dass alle linken und linksbürgerlichen Parteien als mögliche Mitstreiter von vornherein ausschieden. In den Anfangsjahren der Weimarer Republik deckte die DVP, später dann die DNVP die politischen Vorstellungen des Verbandes am ehesten ab, ungeachtet des Umstandes, dass die DNVP in der Spätphase der Weimarer Republik eine antisemitische Partei war.

In den folgenden zwei Kapiteln schildert Hambrock die Auseinandersetzung des Verbandes mit dem Antisemitismus sowie dessen Selbstkritik bzw. Kritik an anderen jüdischen Gruppen. Hier wird besonders deutlich, wie schmal der Handlungsspielraum des Verbandes gegen Ende der 1920er-Jahre wurde. Im Bemühen, den eigenen deutschnationalen Standpunkt zu beweisen, kam er seinen Kritikern entgegen, nahm Teile der antisemitischen Vorwürfe als berechtigt an und kritisierte seinerseits andere jüdische Gruppen in einer Art und Weise, die der ihrer eigentlichen Gegner weitgehend entsprach.

Die Entwicklung des Verbandes nach der nationalsozialistischen Machtübernahme wird im elften Kapitel beschrieben. Es ist geradezu erschreckend zu lesen, in welchem Maße der Verband sich bemühte, die Fassade der eigenen Existenz, die in Wirklichkeit schon längst zusammengebrochen war, aufrecht zu erhalten. Der Autor schildert die vergeblichen Versuche des VnJ, durch Loyalitätsbekundungen von den neuen Machthabern anerkannt zu werden, die Instrumentalisierung des Verbandes für die deutsche Außenpolitik sowie die innerjüdischen Diskussionen in den Jahren 1933 und 1934. Schließlich geriet der Verband nach einer Übergangsphase, in der er von einzelnen konservativen Vertretern der neuen Regierung durchaus positiv bewertet wurde, in das Visier der Gestapo und des SD, die die Aktivitäten des VnJ als ,,im höchsten Grade staatsfeindlich" beurteilten. Die Auflösung im November 1935 setzte den Schlusspunkt hinter die nur vierzehnjährige Geschichte des Verbandes nationaldeutscher Juden.

Die Zusammenfassung im letzten Kapitel hebt sich von manch anderem Schlusskapitel ab. Hier gelingt es dem Autor in beeindruckender Manier, die verschiedenen Stränge seiner Studie wieder zusammen zu führen und die Geschichte des Verbandes noch einmal in den gesamtgesellschaftlichen Kontext zu stellen.

Matthias Hambrock hat eine beachtliche wissenschaftliche Studie vorgelegt. Sie basiert auf umfangreichem Quellenmaterial, welches überzeugend analysiert und dem Leser in einer gut verständlichen Art und Weise präsentiert wird. Die rund 700 Seiten Text sind allerdings nicht nur für den ungeübten Leser ein harter Brocken. Die Lektüre lohnt jedoch, weil Hambrock eben nicht nur eine reine Verbandsgeschichte geschrieben hat, sondern seine Darstellung in das gesamtgesellschaftliche Umfeld eingebettet hat. So gelingt es ihm, den Erkenntniswert seiner Studie für das Verständnis der modernen deutsch-jüdischen Geschichte, aber eben auch der Geschichte der deutschen Gesellschaft in der Weimarer Republik zu erhöhen.

Mit seinem Werk ist Hambrock ein großer Wurf gelungen, der für die nächsten Jahre die wissenschaftliche Forschung beleben wird.

Christoph Moß, Moers


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