Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Andreas Pecar, Die Ökonomie der Ehre. Der höfische Adel am Kaiserhof Karls VI. (1711-1740), Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2003, 432 S., geb., 65,00 €.
Über das Leben bei Hofe wurde in der Geschichtswissenschaft schon viel geschrieben. Auch die Stellung des Adels an großen Fürstenhöfen ist nun beileibe keine terra incognita auf der Landkarte des Historikers. Die vorliegende Dissertation von Andreas Pecar steht daher unter dem Erwartungsdruck, eine neue Perspektive aufzuzeigen. Norbert Elias hat aus dem Blickwinkel des Soziologen dafür im letzten Jahrhundert entscheidende Impulse gesetzt, die indes von der jüngeren Forschung in weiten Bereichen überholt wurden. Die auf bestimmten Ebenen weitgehend theoretisch-typologisch angelegten Studien Elias' halten einer empirischen Überprüfung nicht immer stand. Die Thesen vom Hof als Machtinstrument einer absolutistischen Herrschaftssicherung und Ort einer Domestizierung des Adels können in weiten Teilen nicht auf alle frühneuzeitlichen Höfe übertragen werden. Darüber hinaus standen bei Elias vor allem die nichtintendierten Folgen höfischen Verhaltens im Mittelpunkt, nicht das höfische Verhalten selbst. Pecar dreht die bisher häufig verwendete Perspektive um und fragt nicht nach der Attraktivität des Hofes für den jeweiligen Landesherrn, sondern für den höfischen Adel, bei dem im Falle Wiens eine politisch-soziale Analyse noch aussteht.
Facettenreich und eindrücklich schildert Pecar das Zeremoniell bei Hofe, dass das Regulativ für Einflussmöglichkeiten und Gunstbezeugungen für den Adel darstellte. Ob die Vergabe von Ämtern und Gesandtschaften, die Wartezeiten auf persönlichen Zugang zum Kaiser in den entsprechenden Zimmerfluchten des Palastes oder auch die Zulassung, mit der Kutsche in das Schloss einfahren zu können oder nicht - all das waren Ehrbezeugungen, die es für Adelige zu erlangen galt, wollten sie denn Macht, Einfluss und Dignität ihrer Person und ihrer Familie mehren. Der finanzielle Aufwand, den der Adel in diesem Gefüge des akribisch ausdifferenzierten Zeremoniells betreiben musste, war enorm und überstieg nach wirtschaftlichen Kriterien die eigentliche Leistungsfähigkeit nicht selten um ein mehrfaches. Allerdings stellte dieser Aufwand gleichzeitig die Investition dafür dar, Positionen zu erreichen, die dann später eine angemessene Prachtentfaltung garantierten. Dem Autor ist es dabei vor allem darum zu tun, nicht auf eine betriebswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung des Adels hinzuweisen, sondern den Mechanismus herauszuarbeiten, der nach seiner Ansicht die entscheidende Triebfeder für das Funktionieren des Machtgefüges darstellt: die Ökonomie der Ehre. ,,Was nach Maßstäben einer Ökonomie der Finanzen als irrational erscheinen muss, besaß durchaus eine soziale Logik, die einem anderen Maßstab verpflichtet war" (S. 301). Geld war notwendiges Mittel zum Zweck, aber höfische Rationalität ließ sich nicht darin bemessen. In einem doppelten Transformationsprozess wurde ökonomisches Kapital investiert, um den zeremoniellen Rang zu erhöhen. War das Streben und zeitweise Erreichen einer entsprechenden Exklusivität im höfischen Gefüge erfolgreich und konnte die in der Karriere erlangte Position dauerhaft sichtbar gemacht werden, z.B. auch durch eine adäquate bauliche Präsenz, wog dies die Investitionen an Zeit und Geld auf. Entscheidend war nach Pecar das symbolische Kapital, das eine Familie erworben hatte und am Kaiserhof für alle sichtbar manifestiert sein musste.
Der Autor überzeugt mit seiner Arbeit einerseits durch eine fundierte Quellenaufbereitung und andererseits durch eine konsistente Theorieperspektive. In seiner Deutung der Machtstrukturen und -mechanismen weitet Pecar seinen Blickwinkel mithilfe soziologischer Konzepte von Interaktion (Niklas Luhmann) oder Ressourcen bzw. Kapital (Pierrè Bourdieu), die davor bewahren, mit der Sicht auf historische Quellen an der Oberfläche zu bleiben. Das schillernde Panorama der höfische Arbeit des Adels ist gut lesbar und gelegentlich unterlegt mit dem distanzierten Humor eines Beobachters des 21. Jahrhunderts. Neben dem ausführlichen Literaturverzeichnis ermöglichen Personen-, Orts- und Stichwortverzeichnis eine auf Einzelaspekte beschränkte Nutzung des Buches. Kritisch anzumerken wären die streckenweise redundanten Ausführungen einiger Gedanken, die dem Leser das Gefühl geben, bei dieser Arbeit hätte man auch einige Seiten sparen können, ohne dem Buch inhaltlich Abbruch zu tun.
Frank Buskotte, Ostercappeln