ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Andreas Herberg-Rothe, Der Krieg. Geschichte und Gegenwart, (= Campus Einführungen), Campus Verlag, Frankfurt am Main 2003, 154 S., brosch., 12,90 €.

Facettenreich führt der Berliner Privatdozent Andreas Herberg-Rothe aus politikwissenschaftlicher Perspektive in aktuelle und vergangene Dimensionen des Phänomens Krieg ein. Die auf die Gegenwart hin geschriebene Einführung setzt auf die Vermittlung eines Einstiegs über Blickpunkte und weniger auf Prozesse. Auf diese Weise erhält der Leser einen gut strukturierten Zugang zu den wichtigsten Aspekten und Merkmalen des Krieges. In sechs gleichgewichteten Kapiteln werden Arten, Akteure und Ursachen sowie das Verhältnis von Moderne und Krieg, daneben Erscheinungsformen und Ursachen des Tötens sowie schließlich Kontinuität und Wandel des Krieges erläutert. Ein sehr aktuelles Literaturverzeichnis, leider ohne Angabe der Erstveröffentlichungen, und ein knappes, sehr selektives Glossar guter Erklärungen runden die kompakte Einführung ab.

Ausgangspunkt und zugleich Leitgedanke der Darstellung ist die klassische Definition des Krieges von Clausewitz als ein ,,Chamäleon", dessen ,,wunderliche Dreifaltigkeit" die Elemente Gewalt, Kampf und politisches Werkzeug ausmachen. Dem ausgewiesenen Clausewitz-Kenner (Das Rätsel Clausewitz, München 2001) gelingt es, in einer umfangeichen Einleitung eine anschauliche Antwort auf die Frage ,,Was ist Krieg?" zu entwickeln. Angesprochen wird etwa die paradoxe Veränderung des Krieges im Zuge der ,,Revolution in Military Affairs", also der Technologisierung des Schlachtfeldes in Richtung einer Art Echtzeit-Computerspiel einerseits, und der Zunahme von massenhafter primitiver Gewalt in Bürgerkriegen andererseits. Hinzu kommen Aspekte wie die Asymmetrierung der Kriegführung, die wichtige Abgrenzung von individueller Gewalt und gemeinschaftlichem Krieg, die Kriegskonventionen und die auf den Sieg ausgerichtete Kriegführung. Letztere erfolgte teils durch Verheerungskriege wie in den europäischen Kolonien oder gegen die amerikanischen Indianer oder im Russlandfeldzug des Nationalsozialismus, teils durch Entscheidungsschlachten. Neu ist weniger das Nebeneinander dieser Erscheinungsformen als vielmehr die räumliche und zeitliche Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Kriegsformen. Dementsprechend versteht Andreas Herberg-Rothe Krieg als ,,Phänomen innerhalb der Gegensätze von Gewalt, Kampf und der Zugehörigkeit der Kämpfenden zu einer umfassenden Gemeinschaft" (21). Die angesprochene Paradoxie des Krieges bildet den Analyserahmen der Einführung, und zwar sowohl hinsichtlich gegensätzlicher Betrachtungsweisen und konträrer Ausprägungen als auch widerstreitender Entwicklungen.

Dementsprechend werden im Kapitel 1 zunächst die vielfältigen Arten von Kriegen in drei Gruppen - zwischen Staaten, zwischen Bürgern, zwischen nicht-staatlich organisierten Gruppen - gegliedert, definiert und abgegrenzt. Andreas Herberg-Rothe hebt hervor, dass diese Gliederung von der überragenden Bedeutung des Staatenkrieges seit dem Dreißigjährigen Krieg mit seiner Limitierung und Legitimierung von Krieg herrührt. Tatsächlich ist das Kriegsgeschehen von je her durch Mischformen gekennzeichnet und alle drei Formen haben sich im Zeitablauf verändert. Diese Veränderungen werden aber weniger prozessual als dialektisch begriffen, wie die prinzipielle Begrenzung von Gewalt durch staatliche Kriege bei gleichzeitiger Steigerung der Grausamkeit im Zuge von Nationalismus und Ideologien verdeutlicht. Der exzessiver Gewaltcharakter, der sich aus dem Existenzkampf der bekämpfenden Gruppen speist, ist geradezu ein Wesensmerkmal von Bürgerkriegen. Schwieriger abzugrenzen sind demgegenüber nicht-staatliche Kriege, die häufig aus einer verselbständigten Gewalt der Bürgerkriege hervorgegangen sind und sich durch eine Privatisierung von Gewalt auszeichnen.

Mit dem zweiten Kapitel folgt eine eher philosophische Betrachtung des Verhältnisses von Moderne und Krieg, genauer Gewalt. Ein anregender Gang durch die Literatur macht, über die bekannten Schwierigkeiten Moderne zu definieren hinaus deutlich, dass an der Berücksichtigung der Ambivalenz dieses Verhältnisses kein Weg vorbeiführt. Die Hoffnung auf eine Überwindung von Gewalt ist nicht durch metaphysische Instrumentalisierung, sondern transparenten Realismus unter dem Primat der zivilen Gesellschaft erreichbar.

Kapitel 3 illustriert das sichtbarste Merkmal des Krieges: die Akteure und Waffenträger. Von Soldaten über Söldner, Kämpfer und Krieger bis hin zu Warlords. Von Partisanen, Kinderkriegern und Terroristen werden Bewaffnung, Motivation, Mentalität und ihr Auftreten als Kombattanten skizziert. Zwar fehlt dem Parforceritt platzbedingt die individuelle Perspektive, aber der gute historische Überblick beinhaltet über seine lexikonartig verdichteten Informationen hinaus zahlreiche Anregungen. Als Beispiel sei die gebildete Mittelschichten-Herkunft der ,,neuen" Terroristen vom 11. September und der Selbstmordanschläge in Israel genannt.

Die Ursachen für Kriege sind ebenso vielfältig wie ihre Akteure. Bei Zufall und strukturellen Aspekten, Angst und Bereicherung, Heilsversprechen, Staatszerfall und Staatsgründung verbinden sich individuelle und gesellschaftliche Gewaltmuster zu schwer reduzierbaren Ursachenkomplexen. Täter und Opfer bzw. ,,Mehr-Haben-Wollen" und Verlustangst werden als sich verschränkende Bedingungen hervorgehoben. Hinzu tritt die globalisierungsbedingte staatliche Neuordnung der Welt als strukturelle Komponente. Insgesamt fügen sich die Ausführungen dieses vierten Kapitels zu einem gleichermaßen differenzierten wie aufschlussreichen Gesamtbild. Daran knüpft das fünfte Kapitel an: ,,Töten im Krieg bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Selbsterhaltung, Tötungstabu, Töten aus Furcht und der Selbstentgrenzung durch Gewalt." (109) So lautet die prägnant formulierte These, die diesem Kapitel vorangestellt ist und didaktisch gelungen wie bei den Kapiteln zuvor in einem grau hinterlegten Einführungskasten für Orientierung sorgt. Andreas Herberg-Rothe arbeitet auch bei der Ursachenforschung für menschliches Töten mit einer dialektischen Methode, wenn er argumentiert, dass Nähe und Distanz in entscheidendem Maße für die Strukturierung von Gewalt sorgen. Als zentrale Hypothese für den Grund des Tötens nennt er den Zusammenhang des Verdrängens aus einer Gemeinschaft - oder einer Gemeinschaft durch eine andere - mit dem persönlichen Tod oder einer drohenden, eingeschränkten Fortpflanzungsmöglichkeit. Wiederum wird monokausalen Argumentationsmustern wie der Gewaltsamkeit des Krieges, der Aggressivität des Menschen, dem Überlebenskampf oder jüngsten Stilisierungen des Krieges zu ,,heiligen Handlungen" durch van Creveld oder Keegan eine Absage erteilt.

Im letzten Kapitel werden die so genannten ,,Neuen Kriege" vor dem Hintergrund des Zerfalls- und Bedeutungsverlusts von Staaten ,,als Wiederkehr des ,Uralten`" gedeutet. Drei Bereiche - Technologie, Medien und das Verhältnis von Staaten- und innerstaatlichen Kriegen - werden nach Auffassung des Berliner Sozialwissenschaftlers die Zukunft des Krieges wesentlich beeinflussen. Die neue Qualität des Irak-Krieges, die erst nach der Veröffentlichung des Buches sichtbar wurde, war damit bereits vorweggenommen. Erläutert werden die entsprechenden Schlagworte ,,Revolution in Military Affairs" als Vernetzung von Mensch-Maschine-Waffentechnologien, ,,information warfare" mit den Medien als Erfüllungsgehilfen militärischer Informationsüberlegenheit und das Problem des Kriegsrechts bzw. der Kriegsregeln und der Reaktion auf Verstöße durch eine Partei. Diese Aspekte verdichten sich in der Frage, ob sich eine Umkehr des Primats der Zivilgesellschaft über das Militärwesen andeutet. Abschließend plädiert Andreas Herberg-Rothe für eine Abkehr von rein moralischen oder politischen Betrachtungen und Begründungen des Krieges und für die Akzeptanz unterschiedlicher Formen von Gewalt und Krieg, um entsprechend verschiedenartige Interventionsmöglichkeiten zur Verfügung zu haben. Ziel müsse es nämlich sein, Krieg zu legitimieren, um Gewalt zu limitieren und die Herrschaft des Rechts an die Stelle des Krieges zu setzen.

Fazit: Die Einführung in Geschichte und Gegenwart des Krieges bietet über einen gelungenen Einstieg hinaus eine erhellende Antwort auf die Frage nach der Eigenart, nach der Kultur des Krieges. Durch die Perspektiven- und Argumentationsvielfalt sowie die Vernetzung der Informationen einsteht ein facettenreiches Bild des Krieges, das monokausalen Erklärungen den Boden entzieht. Das dialektische Vorgehen kann auch Historikern als Anregung für die Reduktion von Komplexität ohne ein Abgleiten in Simplizität dienen. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund sei der Band, der sich in die guten Campus Einführungen einreiht, einer breiten Leserschaft empfohlen.

Michael v. Prollius, Berlin


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