Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Ilko-Sascha Kowalczuk, Geist im Dienste der Macht. Hochschulpolitik in der SBZ/DDR 1945 bis 1961, Christoph Links Verlag, Berlin 2003, 604 S., brosch., 24,90 €.
In der jüngst erschienenen Druckfassung seiner Potsdamer Dissertation untersucht Ilko-Sascha Kowalczuk die Hochschulpolitik in der SBZ/DDR vom Kriegsende bis zum Mauerbau. Er knüpft dabei an Studien zur Transformation des Hochschulwesens im kommunistischen Einflussbereich an, wie sie namentlich von Ralph Jessen und John Connelly vorgelegt wurden.(1)
Kowalczuk geht vor allem der ,,Bildung einer staatssozialistischen Intelligenz" (S. 18) in der SBZ/DDR nach, deren erfolgreiche Umsetzung das ZK der SED im Frühjahr 1961 als abgeschlossen ansah. Gemäß dieser Fragestellung wählt der Autor im wesentlichen die politische Geschichte als Untersuchungsansatz und nicht die Sozial- bzw. Wissenschafts- und Universitätsgeschichte. So will der Autor die theoretischen Voraussetzungen und politischen Intentionen einer Umgestaltung des Hochschulwesens darlegen, die dann mit der praktischen Durchführung, den dabei aufgetretenen Widerständen und den tatsächlichen Ergebnissen in Bezug gesetzt werden.
In einem einleitenden Kapitel operationalisiert Kowalczuk den Begriff Intelligenz für seine Studie. Hier zeigt sich, dass dieses Buch keine Gesamtgeschichte der Intelligenz in der SBZ/DDR liefern kann und will. Vielmehr richtet der Autor den Fokus ,,auf jenen gesellschaftlichen Sektor, an dem der größte Teil der Intelligenz nach 1945 seine Basisausbildung erfuhr" (S. 50). Und auch hier musste eine Einschränkung getroffen werden: Im wesentlichen untersucht Kowalczuk die Studierenden, die sicherlich die größte Rekrutierungsmasse der Intelligenz stellten. Die umfassende Berücksichtigung der Studentenpolitik der SED stellt eine enorme Forschungsleistung dar. Deshalb hätte der Autor auch auf das fast wie ein Fremdkörper wirkende Unterkapitel zur Hochschullehrerschaft verzichten können, das auf der Studie von Jessen basiert, ,,die derart umfassend und überzeugend ist, dass zumindest ich aufgrund der Kenntnis des Quellenmaterials keine neuen Erkenntnisse in bezug auf die Hochschullehrerschaft zu liefern in der Lage bin." (S. 325). Nämliches gilt auch für die Darstellung von drei Wissenschaftlerbiographien (Fischereiwissenschaftler!), die nicht in die eher strukturell ausgerichtete Gesamtgliederung passen, insgesamt aber der gelungenen Arbeit keinen Abbruch tun.
Kowalczuk benennt institutionelle Handlungsträger der Hochschulpolitik, wobei er die SED-Politbürokratie und die zentralen Vollzugsorgane wie die Deutsche Verwaltung für Volksbildung und das Staatssekretariat für Hochschulwesen treffend beschreibt. Wie die meisten mit der Hochschulpolitik der Sowjetischen Besatzungszone beschäftigten Forscher muss er sich gerade für die ersten Jahre nach 1945 auf die Arbeit von Alexandr Haritonow(2) und bruchstückhafte Überlieferungen in deutschen Archiven stützen, da der Zugang zu russischen Archiven noch immer eingeschränkt ist. Die vorgelegte Studie basiert deshalb vor allem auf Akten der Verwaltung für Volkbildung bzw. dem Staatssekretariat für Hochschulwesen im Bundesarchiv Berlin sowie Unterlagen der SED-Führung in der Stiftung der Parteien und Massenorganisationen im Bundesarchiv (SAPMO). Zudem hat der Autor ergänzend Bestände im Archiv der Berliner Humboldt-Universität und punktuell MfS-Unterlagen herangezogen.
Kowalczuk kann auf dieser Quellengrundlage umfassend herausarbeiten, dass sich die Gewichte der Hochschulpolitik erst allmählich von der staatlichen Seite hin zur Parteiebene verschoben. So betrieben zunächst Parteigenossen in der staatlichen Verwaltung die SED-Hochschulpolitik. Erst ab 1950 kann von einer systematischen und effektivierten Parteiarbeit gesprochen werden, die dazu führte, dass das ZK direkte und indirekte Weisungsbefugnisse gegenüber dem Staatssekretariat für Hochschulwesen gewann. Dagegen unterschätzt Kowalczuk die Reibungspunkte, die in der Nachkriegszeit zwischen der de iure bis 1951 bestehenden Hochschulverwaltungen auf Länderebene und dem zentralen Herrschaftsanspruch in Berlin bestanden, und die sich vor allem in Kompetenzstreitigkeiten und langen Verwaltungswegen bemerkbar machten.(3)
Im ersten Hauptkapitel wird das ,,Wagnis, eine traditionelle Institution umgestalten zu wollen, ohne tatsächlich zu wissen, wodurch die traditionellen Momente jenseits von Klischees charakterisiert waren" (S. 135), beschrieben. Kowalczuk unterscheidet dabei vier Elemente der Hochschulpolitik. Zum ersten schildert er die Errichtung gänzlich neuer Hochschultypen, zu denen die sogenannten ,,Ideologie-Hochschulen" der SED, aber auch der Massenorganisationen FDJ und FDGB zählten, wobei die Bedeutung dieser Parteieinrichtungen für das Hochschulsystem bis zum Mauerbau nicht zu hoch eingeschätzt werden dürfe. Ein zweites Element bildete die strukturelle Veränderung bestehenden Universitäten und Hochschulen, wozu vor allem die Gründung neuer Fakultäten (Arbeiter- und Bauern Fakultät, Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät und Pädagogische Fakultät) zu zählen ist, die in einer kürzlich vorgelegten Leipziger Studie als ,,Experimentierfeld kommunistischer Politik" bezeichnet wurden.(4) Weiterhin nennt Kowalczuk den Umbau der Akademien zu Großforschungsanstalten nach sowjetischem Vorbild als drittes Element, ohne sich diesem Thema näher zu widmen. Schließlich bildete die Errichtung neuer Spezialhochschulen (Fachhochschulen neuen Typs) ein viertes Element der Hochschulpolitik.
Dienten die bisher genannten Überlegungen der Zusammenschau der allgemeinen Rahmenbedingungen, kommt Kowalczuk im zweiten Hauptkapitel ,,Hoffnungsträger und Zukunftsgaranten" zur eigentlichen Kernfrage seiner Arbeit. Hier schildert er detailliert die Zulassungspolitik als Eingangshürde für das Hochschulstudium, wobei auch der Anstieg der Studentenzahlen im Zusammenhang mit dem Ausbau des Hochschulwesens Berücksichtigung findet. Die Stipendienpolitik fungierte laut Kowalczuk zu jeder Zeit als politisches und soziales Druckmittel, zugleich spiegelte sich hier aber auch das Ringen um die junge Generation wider, die vom Autor mit der bekannten Metapher von Zuckerbrot und Peitsche kenntnisreich beschrieben wird. Anhand der Absolventenlenkung wird herausgearbeitet, dass die Zulassungspolitik oftmals im Widerspruch zu den Bedürfnissen der Wirtschaft stand. Eine effektive Planung und Lenkung sei auch in den Fünfzigerjahren nicht zu beobachten gewesen. Während die soziale und politische Zusammensetzung der Studentenschaft schon in anderen Studien thematisiert wurde, kann Kowalczuk den Ausbau des Anteils der Fern- und Abendstudenten gegenüber Direktstudenten erstmals näher beleuchten, der dazu führte, dass nach der Etablierung von ,,Fachschulen neuen Typs" - vornehmlich technische ausgerichtete Spezialhochschulen wie beispielsweise die Hochschule für Schwermaschinenbau Magdeburg - nur noch knapp über 60 Prozent als Direktstudenten an traditionellen Hochschulen und Universitäten eingeschrieben waren.
Das dritte Hauptkapitel geht der Umsetzung der hochschulpolitischen Ziele der SED in Detailbereichen nach. Dabei reichte das Spektrum von der sozialen Privilegierung der Intelligenz bis hin zu offener Repression. Kowalczuk arbeitet treffend heraus, dass soziale Fördermaßnahmen - Einzelverträge, Wohnungsvergabe, Urlaubs- und Reiseregelungen, Nationalpreise etc. - nur nach dem Prinzip von ,,teile und herrsche" möglich waren. Zum einen sollte die Intelligenz sozial (und damit auch politisch) an das System gebunden werden. Zum anderen etablierte die SED aber eine Hierarchie, die nach nicht nachprüfbaren Einzelfallprivilegien aufgebaut war. Insgesamt sollten damit die ,,Begleiterscheinungen" bei der Errichtung der neuen Gesellschaft erträglich gemacht werden. Als nach dem Mauerbau die Berufungschancen der Wissenschaftler auf dem westdeutschen Arbeitsmarkt - der in der Studie etwas stärker berücksichtigt hätte werden können - nicht mehr bestanden, erfolgte die materielle gesellschaftliche Nivellierung.
Neben den Werbe- und Fördermaßnahmen hebt Kowalczuk aber auch die repressive Seite der SED-Hochschulpolitik hervor und betont, dass Repressionen ,,in der SBZ/DDR zum festen und unverzichtbaren Instrumentarium zur Durchsetzung der Politik und zur Erreichung der proklamierten Ziele" (S. 425) gehörten. Dabei schildert er das breite Spektrum an Maßnahmen, die beispielsweise die Nichtberücksichtigung bei der Stipendienvergabe oder Relegationen beinhalteten. ,,Das besonders perfide an dem Repressionssystem war, daß niemand sicher sein konnte, diesem zu entgehen. Der tiefere Sinn wiederum bestand darin, den von Repressionen zunächst verschonten Gruppen und Personen die Möglichkeit einzuräumen, sich zu bewähren. Dieser Disziplinierungsgedanke war den Prinzipien innerparteilicher Auseinandersetzungen, dem Stalinschen Gebot von ,,Kritik und Selbstkritik" entlehnt. Niemand sollte auch nur annähernd an die Möglichkeit denken, sich heraushalten zu können." (S. 442)
Schließlich thematisiert die Arbeit Widerstand und Opposition zwischen Kriegsende und Mauerbau, wobei die in der DDR-Forschung verbreiteten Grundtypen gesellschaftliche Verweigerung, sozialer Protest, politische Opposition und Massenprotest als Gliederungshilfen dienen. Hierbei finden auch die Zerschlagung der Studentenräte und der 17. Juni 1953 Berücksichtigung.
Insgesamt hat Kowalczuk mit dieser Arbeit eine gelungene Darstellung der Bemühungen der SED-Machthaber, eine neue Intelligenz an den Hochschulen heranzubilden vorgelegt. Die Arbeit bildet durch die Fokussierung auf die Studentenschaft eine ,,sinnvolle Ergänzung" (S. 18) zur Studie von Ralph Jessen, der die Hochschullehrerschaft untersuchte. (5) Gerade das breite Datenmaterial zur strukturellen und institutionellen Entwicklung des Hochschulwesens in der SBZ/DDR macht die Arbeit zum handbuchartigen Nachschlagewerk.
Über die Untersuchung von Kowalczuk hinaus werden aber auch weitere Aufgaben der zukünftigen Forschung deutlich. Zum einen erscheint eine Verzahnung von Politik-, Sozial- und Wissenschaftsgeschichte notwendig. Dies gilt insbesondere für die Zeit nach dem Mauerbau, die bis jetzt eher stiefmütterlich - und wenn, nur unter dem Aspekt der Staatssicherheit - behandelt worden ist. Gleichzeitig bildet die Transformation des Hochschulwesens einen wichtigen Teilaspekt bei der Etablierung von Diktaturen, dem im Vergleich zu Ostmitteleuropa, aber auch zum Dritten Reich nachgegangen werden sollte. Doch erscheint auch der Vergleich der Hochschulpolitik in der SBZ/DDR mit der in den Westzonen und der Bundesrepublik weiterhin als lohnendes Forschungsobjekt.
Michael Parak, Leipzig
1. - Vgl. Ralph Jessen, Akademische Elite und kommunistische Diktatur. Die ostdeutsche Hochschullehrerschaft in der Ulbricht-Ära (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 135), Göttingen 1999; John Connelly, Creating the Socialist Elite. Communist Higher Education Policies in the Czech Lands, East Germany, and Poland 1945-1954, Diss. masch., Harvard 1994; sowie die stark überarbeitete Druckfassung: John Connelly, Captive University. The Sovietization of East German, Czech, and Polish Higher Education, 1945-1956, Chapel Hill-London 2000.
2. - Vgl. Haritonow, Alexander, Sowjetische Hochschulpolitik in Sachsen 1945-1949 (= Dresdner Historische Studien, Bd. 2), Weimar-Köln-Wien 1995.
3. - Vgl. hierzu jüngst Parak, Michael, Hochschulverwaltung in Diktaturen. Kulturföderalismus und zentralistischer Herrschaftsanspruch am Beispiel Sachsen, in: Günther Heydemann/Heinrich Oberreuter (Hrsg.), Diktaturen in Deutschland - Vergleichsaspekte. Strukturen, Institutionen und Verhaltensweisen im Vergleich (= Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 398), Bonn 2003, S. 341-365.
4. - Vgl. Wustmann, Markus, Die Gesellschaftswissenschaftliche Fakultät in Leipzig 1947 bis 1951. Experimentierfeld kommunistischer Hochschulpolitik in SBZ und früher DDR (= Beiträge zur Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, Reihe B, Bd. 4), Leipzig 2004.
5. - Der Sozialgeschichte der Hochschullehrerschaft in der SBZ/DDR widmet sich auch eine weitere Fallstudie. Vgl. Ernst, Anna-Sabine, ,,Die beste Prophylaxe ist der Sozialismus". Ärzte und medizinische Hochschullehrer in der SBZ/DDR 1945-1961, Münster 1997.