ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Corey Ross: The East German Dictatorship. Problems and Perspectives in the Interpretation of the GDR. Edward Arnold Publications, Oxford 2002, 221 S., br., 14,99 £.


Corey Ross hat es sich zum Ziel gesetzt, die zentralen Erkenntnisse und Forschungskontroversen der DDR-Forschung darzustellen und zu bewerten: ein anspruchsvolles Unterfangen, das einen langen Atem benötigt - auch für den Leser des 221 Seiten starken Bandes.

Corey Ross nimmt sich zuerst der abstrakten Themen an: dem wechselnden Bild der DDR in der politischen, methodischen und moralischen Dimension und der DDR als Diktatur, wobei sie die Frage stellt, ob diese totalitär, stalinistisch, modern oder als Wohlfahrtsdiktatur zu interpretieren ist. Anschließend untersucht sie Gesellschaft und Wirtschaft in der DDR. Wer sich durch diese theoretisch durchdrungenen Kapitel gekämpft hat, kommt zu etwas anschaulicheren Gegenständen, denn nun beschäftigt sich Corey Ross mit Opposition und Widerstand in der DDR und mit deren Ende. Dieses interpretieren die einen als Revolution von unten, andere als Implosion von innen und wieder andere als Kollaps von außen. Zum Schluss beleuchtet die Autorin den Platz der DDR in der deutschen Gegenwartsgeschichte.

Eine These stellt Corey Ross dem Buch voraus: Bei der DDR handelt es sich um eine Diktatur. Dies nimmt bereits der Titel vorweg und die Autorin lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass die DDR in ihren Augen ein Unrechtsstaat war. Allerdings hebt sie immer wieder mahnend den Zeigefinger, wenn Historiker zu moralisieren beginnen. Sie konstatiert, dass gerade die DDR-Geschichtsschreibung immer wieder Gefahr laufe, moralisch zu werten statt analytisch vorzugehen. Damit legt sie den Finger in die Wunde. Denn viele Forschungskontroversen sind tatsächlich auf diesen Punkt zurückzuführen, beispielsweise, wenn es um die Vergleichbarkeit von DDR und Drittem Reich oder um die Legitimität der DDR und den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik geht. Eng damit verbunden ist die Frage, warum der Sozialismus in der DDR nicht funktioniert hat. Dabei kommt die Autorin zu dem Schluss, dass ein einzelnes Erklärungskonzept nicht genug ist, um die DDR als Ganzes zu erklären. Sie versucht deshalb, die DDR von verschiedenen Seiten zu betrachten und zeichnet dabei ein vielschichtiges Bild dieses zweiten deutschen Staates.

Das Buch ermöglicht einen Überblick über die zentralen Felder der DDR-Politik und DDR-Geschichtsschreibung, ohne Patentlösungen anzubieten. Die einzelnen Kapitel können dabei auch separat stehen, was es insbesondere für Studierende als Einstiegsliteratur interessant macht.


Karin Urich, Mannheim


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