Petra von der Osten, Jugend- und Gefährdetenfürsorge im Sozialstaat. Der Katholische Fürsorgeverein für Mädchen, Frauen und Kinder auf dem Weg zum Sozialdienst katholischer Frauen 1945 - 1968 (= Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, Reihe B: Forschungen, Band 93), Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2002, 387 S., Ln., 58 EUR.
Der Titel lässt bereits erahnen, dass es in dieser Dissertation zur bundesrepublikanischen Sozialgeschichte um Wandlungsprozesse geht, konkret um den Wandlungsprozess eines katholischen Verbandes in dem sozial- und gesellschaftspolitisch bedeutenden Zeitabschnitt der Jahre 1945 bis 1968.
Durch seinen Ausstieg aus der staatlich geregelten Schwangerschaftsberatung geriet der Sozialdienst katholischer Frauen 1999 - dem Jahr seines 100jährigen Bestehens - in die bundesdeutschen Schlagzeilen. 1899 unter der Bezeichnung Verein vom Guten Hirten gegründet, wurde die Organisation 1903 in Katholischer Fürsorgeverein für Mädchen, Frauen und Kinder umbenannt. Die Geschichte dieses Fürsorgevereins bis 1945 ist bereits von Andreas Wollasch, dem früheren Leiter des Archivs des Deutschen Caritasverbandes, in seiner 1991 erschienenen Dissertation aufgearbeitet worden.
Die Verfasserin der vorliegenden Studie geht in ihrer Absicht, Wandlungsprozesse zu erklären, häufig in die Zeit vor 1945, ja sogar bis in die Weimarer Zeit zurück. Hier etwas zu straffen, hätte der Gesamtdarstellung gut getan, zum Beispiel beim Überblick über die Geschichte der Fürsorge von ihren Anfängen Ende des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Nationalsozialismus, mit dem das Kapitel zur Gefährdetenfürsorge beginnt. Die Studie gliedert sich in vier große Abschnitte: Der erste Teil führt in die historischen Rahmenbedingungen der unmittelbaren Nachkriegszeit ein. Es werden hier auch die Strukturen und der organisatorische Aufbau des Vereins vorgestellt, etwa die Bedeutung der Zentrale im Verhältnis zu den Ortsgruppen oder das Verhältnis von offener zu geschlossener Fürsorge. Der zweite Hauptteil wendet sich der Jugendfürsorge als einem Schwerpunkt der Vereinsarbeit zu. Ein weiterer Schwerpunkt der Vereinstätigkeit lag auf dem Feld der Gefährdetenfürsorge für Frauen, dargestellt im dritten Hauptteil des Buches. Der vierte Teil schließlich arbeitet anhand der Kriterien der zunehmenden Professionalisierung der Facharbeit, der katholischen Identität der Mitarbeiterinnen sowie des frauenspezifischen Ansatzes heraus, in welchem Maße die Organisation ihr Selbstverständnis von einem tief im katholischen Milieu verwurzelten Verein zu einem den modernen sozialpädagogischen Methoden aufgeschlossen gegenüberstehenden Verband veränderte, ohne ihren katholischen Bezugsrahmen aufzugeben. Symbol dieser Öffnung zur Gesellschaft hin war die Umbenennung des Vereins in Sozialdienst Katholischer Frauen im Jahre 1968. Die Verfasserin interpretiert den Namenswechsel in der Geschichte des Vereins als den Abschluss eines jahrelangen Klärungs- und langsamen Wandlungsprozesses, nicht als Neubeginn. Dementsprechend gliedert sie ihre Studie so, dass sie die Namensänderung als den Untersuchungszeitraum abschließende Zäsur in den Mittelpunkt des letzten Kapitels des vierten Hauptteils und des Schlusskapitels rückt. Das letzte Kapitel des vierten Hauptteils zeichnet im Detail die internen Auseinandersetzungen um eine neue, zeitgemäße Bezeichnung des Vereins nach.
Die Verfasserin stellt den Modernisierungsprozess der Organisation exemplarisch an ihren Wirkungsfeldern Jugend- und Gefährdetenfürsorge dar. Auf beiden Gebieten hatte sich der Verein schon in der Weimarer Zeit mit Gesetzesinitiativen in die Politik eingeschaltet. Er tat dies auch beim Jugendwohlfahrtsgesetz und beim Bundessozialhilfegesetz, die beide 1961 verabschiedet wurden. Im Bereich der Gefährdetenfürsorge zeigte sich stärker als in der Jugendfürsorge, wie sich die Kluft zwischen den Grundpositionen des Vereins und denen der Gesellschaft immer mehr vergrößerte. Mit seiner Befürwortung einer zwangsweisen Bewahrung Volljähriger hatte der Verein über Jahre eine autoritäre Position vertreten. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1967, das die im Bundessozialhilfegesetz festgeschriebene Möglichkeit zur zwangsweisen Unterbringung Volljähriger verwarf, bescheinigte dem Verein gewissermaßen amtlich seinen Anachronismus. Demgegenüber erwies sich der Verein gegenüber neueren Entwicklungen der Sozialarbeit aufgeschlossener. Hatte der Verein sein Hilfsangebot noch Anfang der 1950er Jahre auf die Rettung einzelner - ausschließlich katholischer - Seelen ausgerichtet und deren sittlich-moralische Bekehrung angestrebt, so vollzog sich hier Ende der 1950er Jahre bereits eine Hinwendung zu pluralistischen Werthaltungen. Zu Beginn der 1960er Jahre praktizierte die Organisation methodisch fundierte Sozialarbeit, die auf den moralischen Zeigefinger verzichtete. Antriebsfeder für diesen Modernisierungsprozess war nicht zuletzt die Notwendigkeit, sich gegenüber den konkurrierenden Wohlfahrtsorganisationen zu behaupten und der Personalknappheit zu begegnen.
Die Verfasserin stützt sich bei der Untersuchung der Wandlungen im Selbstverständnis der Organisation auf die Theorie der Sozialmilieus. Der einstige Milieuverband integrierte sich parallel zum katholischen Milieu im allgemeinen zunehmend in die bundesrepublikanische Gesellschaft.
Die Autorin hat den Bestand Sozialdienst Katholischer Frauen im Archiv des Deutschen Caritasverbandes ausgewertet. Angesichts der Fülle dieses Archivmaterials hat sie sich auf die Auswertung der Überlieferung der Zentrale beschränkt und die der Ortsgruppen unberücksichtigt gelassen. Gleichwohl ist eine abgerundete Studie entstanden, die auch einige Tabellen enthält, etwa zum Verhältnis von Ehrenamtlichen zu Berufskräften innerhalb der Vereinsarbeit - getrennt nach stationärem und ambulantem Bereich. Die Sorgfalt der Verfasserin unterstreicht ein Register. Ein Pluspunkt dieser Arbeit liegt in der Klarheit der Darstellung und dem sehr flüssigen Stil, mit dem die Autorin ihre Erkenntnisse an den Leser weitergibt.
Elke Hauschildt, Koblenz/Hamburg