ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Sabine Mecking, "Immer treu". Kommunalbeamte zwischen Kaiserreich und Bundesrepublik (=Villa ten Hompel, Münster, Schriften 4), Klartext Verlag, Essen 2003, 423 S., geb., 29,90 EUR.


"Autorität wird nur dann nicht angezweifelt, wenn sie sich auf fachliche und untadelige menschliche Haltung begründet", formulierte Ex-Bundespräsident Gustav Heinemann treffend. Dass dies nur bedingt auf die Protagonisten der deutschen Verwaltung des 20. Jahrhunderts zutrifft, weist nicht zuletzt die Untersuchung der Münsteraner Historikerin Sabine Mecking nach. Basierend auf einer 2000 an der Universität Münster angenommenen Dissertation geht Mecking der Frage nach, welche Auswirkungen die politischen Brüche der Jahre 1918, 1933 und 1945 auf die Beibehaltung des Berufsbeamtentums hatten und wie die institutionellen Kontinuitäten über jene Systembrüche hinweg erklärt werden können. Ausgehend von Max Webers These, die Bürokratie gehöre "zu den am schwersten zu zertrümmernden sozialen Gebilden"1, überprüft die Autorin anhand einer lokalen Mikrostudie Kontinuitäten und Diskontinuitäten auf der Stufe der Kommunalverwaltung der Stadt Münster.

Anders als der etwas irreführende Buchtitel es vermuten lässt, handelt es sich beim Untersuchungsgegenstand um die Beamtenschaft einer einzelnen Stadtverwaltung und nicht um eine überregional angelegte statistische Querschnittsuntersuchung zum deutschen Kommunalbeamtentum. Dennoch erweist sich Meckings Untersuchungsperspektive als überaus ergiebig, da sie in eine epochenübergreifende Analyse eingebettet ist. Die Wahl des Lokalbeispiels Münster stellt eine typische "Beamtenstadt" in den Mittelpunkt, die als Behörden-, Universitäts- und Garnisonsstadt ein traditionell bedeutsames Verwaltungszentrum und als Bischofssitz zugleich katholisch geprägt ist. Die Studie fußt auf breiter Quellenbasis der Aktenbestände des Stadtarchivs und des Staatsarchivs Münster, des Hauptstaatsarchivs Düsseldorf sowie des Bundesarchivs und des Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz Berlin, zudem weist das Literaturverzeichnis auf eine profunde Kenntnis des aktuellen Forschungsstandes hin. Die Gestaltung des Buches mit 39 Tabellen, 12 Graphiken und beachtlichen 45 Photographien ist exquisit, ein ausführliches Orts- und Personenregister erleichtert die Handhabung.

Anders, als es der Untertitel des Buches suggeriert, umfasst der Untersuchungszeitraum die Eckdaten 1918, 1933 und 1945, die zugleich als Gliederungsebenen der Studie fungieren. Ausführlich behandelt Sabine Mecking in drei zentralen Kapiteln "Die Jahre der Weimarer Zeit", "Die Zeit der NS-Diktatur" und "Die Besatzungszeit und Gründerjahre der Bundesrepublik". Die sprachlich präzise formulierten Zusammenfassungen der einzelnen Abschnitte bieten eine hilfreiche Orientierung und die Möglichkeit zur separaten Lektüre, während die abschließende Analyse auf rund vierzig Seiten eine Einordnung und Bewertung weit über den lokalhistorischen Rahmen hinaus enthält.

Dass die Novemberrevolution auf die personelle Kontinuität innerhalb der Stadtverwaltung und anderen Behörden, Gerichten und Schulen, kaum Auswirkungen hatte, weist Mecking eingangs nach. Als "Herzensmonarchist" und "Vernunftrepublikaner" (105) charakterisiert die Autorin Oberbürgermeister Georg Sperlich, der seit 1920 amtierte. Die "Ablehnung des standesbewussten, bürgerlich-konservativen, katholischen Establishments der Stadt gegenüber Reformbewegungen, wie Republikanisierungs- und Demokratisierungsbemühungen, brachte die Leitung der Stadtverwaltung mit Oberbürgermeister Sperlich als Mitglied des rechten Zentrumsflügels immer wieder in Konflikt mit den staatlichen Aufsichtsbehörden" (106), urteilt Mecking. Dabei spiegele das Verhalten des Oberbürgermeisters die Gesinnungsvorbehalte vieler höherer, akademisch gebildeter Reichs- und Staatsbeamter wider. Laufbahnen, die im monarchischen Obrigkeitsstaat begannen, wurden über den revolutionären Bruch 1918/1919 hinaus fortgesetzt. Mecking stimmt hier Bernd Wunders These zu, dass "Weimar, die Demokratie ohne Demokraten"2, nicht an den Beamten zugrunde gegangen sei, da die meisten höheren Kommunalbeamten ihre Arbeitskraft als Verwaltungsfachleute trotz "aufblitzenden Ressentiments gegenüber der Republik" weitgehend in den Dienst der ersten deutschen Republik gestellt hätten (107).

1933 wurden in Münster die der Zentrumspartei angehörende oder nahestehende Verwaltungselite von den Nationalsozialisten mit einer Ausnahme aus dem Amt gedrängt, der ebenfalls von der Zentrumspartei geprägte Magistrat ausgeschaltet und die vakanten Stellen sofort mit Nationalsozialisten besetzt. Wie auf staatlicher Ebene auch, so Mecking, habe der Ausbau der kommunalen Administration zu einer weiteren, neben der Partei bestehenden, tragenden Säule des NS-Staates die "Erosion des Berufsbeamtentums via Gesetz und damit im legalen Gewand" zur Folge gehabt (216). Die große Masse der Verwaltungsangehörigen unterhalb der leitenden Beamtenriege, bekennende Sozialdemokraten und Regimegegner ausgenommen, sei von direkt gegen sie gerichteten Eingriffen verschont geblieben (217), zumal ihr insgesamt systemkonformes Verhalten, sei es aus Überzeugung, Opportunismus, politischem Desinteresse oder Einschüchterung Eingriffe überflüssig gemacht habe. An dieser Stelle erweist sich die von der Autorin angekündigte Analyse von Reaktion und Verhaltensweisen der Beamten (18) aufgrund fehlenden biografischen Quellenmaterials persönlicher Provenienz, wie Briefwechsel, Tagebücher u.ä., als schwierig. Dies ist indes ein überlieferungsbedingtes Problem und gewiss nicht der Autorin anzulasten. Eine sinnvolle Ergänzung dieser verwaltungs- und strukturgeschichtlich angelegten Untersuchung könnten daher weitergehende biographische Einzelstudien sein, die eine mentalitätsgeschichtliche und sozialgeschichtliche Perspektive hinzufügen.

Mag das Jahr 1945 in der öffentlichen Wahrnehmung auch immer noch als "Stunde Null" existieren, so verweist die Sozialgeschichte seit langem auf einen periodenübergreifenden Blick3. Auch Sabine Mecking konstatiert, dass es eine "Stunde Null" bei der Stadtverwaltung in Münster nicht gegeben habe, es sei vielmehr eine bemerkenswerte Ämter-, Aufgaben- und Personalkontinuität festzustellen (319). Elemente der Kontinuität und des Neubeginns seien simultan in Erscheinung getreten. Die "pragmatische Ablehnung des Nationalsozialismus" habe mit der "vernunftsrepublikanischen Bejahung der Demokratie" korreliert (321). Plausibel erscheint Sabine Meckings abschließendes Gesamturteil, "dass die Staatsformwechsel von den meisten Beamten lebensgeschichtlich als Einheit, politisch als Bruch und berufsständisch als Kontinuität erfahren worden sind" (368). Der Wert dieser unbedingt lesenswerten Studie liegt vor allem in der Fragestellung nach den Kontinuitäten über die Systembrüche des 20. Jahrhunderts hinweg ("Immer treu"), betrachtet aus der Mikroperspektive und vergleichend eingeordnet in den gesamtpolitischen Kontext.


Matthias Schröder, Münster




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