ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Marita Krauss: Die Frau der Zukunft. Dr. Hope Bridges Adams Lehmann, 1855-1916. Ärztin und Reformerin, Buchendorfer Verlag, München 2002, 204 S., geb., 15 EUR.


Hope Bridges Adams Lehmann war eine faszinierende Frau. Geboren 1855 in England in der Nähe von London, ging sie 1873 nach Dresden, um ihre Deutschkenntnisse zu verbessern und begann im Wintersemester 1876/77 an der Universität Leipzig als Gasthörerin ihr Studium. Nach einiger Zeit entschloss sie sich, Medizin zu studieren. Obwohl sie mit den allgemein bekannten Widerständen gegen Medizin studierende Frauen zu kämpfen hatte, standen die Leipziger Professoren dem Frauenstudium erstaunlich aufgeschlossenen gegenüber. 1880, im Alter von 25 Jahren, gelang es Hope Adams, als erste Frau in Deutschland das Staatsexamen in Medizin abzulegen - zwar ohne offizielle Erlaubnis, aber unter gleichen Bedingungen wie ihre männlichen Kommilitonen. Ein von ihr gestelltes Gesuch, zu promovieren, wurde jedoch abgelehnt. Hope Adams ging daraufhin nach Bern in die Schweiz, wo sie über die Hämoglobinausscheidung in der Niere promovierte. Anschließend hospitierte sie in Wien und London und praktizierte seit 1881. 1904 wurde schließlich ihr Staatsexamen durch einen Beschluss des Bundesrates anerkannt. Sie erhielt jetzt die Approbation und durfte ihren Doktortitel offiziell führen.

Bereits der kurze Abriss des Studentinnenlebens von Hope Adams zeigt, ging sie entschlossen einen bemerkenswerten und für ihre Zeit außergewöhnlichen Weg. Zwar war dem Rezensenten Hope Adams Lehmann keine Unbekannte, aber wie außergewöhnlich ihr Leben verlief, das zeigt jetzt die von der Historikerin Marita Krauss vorgelegte Biographie. Krauss hat in detektivischer Kleinarbeit das Leben von Hope Adams Lehmann rekonstruiert. Obwohl kein Nachlass erhalten ist, gelang Krauss eine anschauliche und zudem mit vielen zeitgenössischen Photos aus dem Leben von Adams Lehmann reich illustrierte Biographie. Um es vorwegzunehmen, die Arbeit hat sich gelohnt. Das Leben der Ärztin Dr. Hope Adams Lehmann, der berufstätigen Mutter, geschiedenen und wiederverheirateten Ehefrau, der als Sozialdemokratin seit ihrem Studium politisch engagierten Frau, die eine Vielzahl von politischen Schriften, aber auch medizinische Fachaufsätze sowie allgemeinverständliche Beiträge zu gesundheitspolitischen und medizinischen Themen veröffentlichte, darunter 1896 einen zweibändigen Gesundheitsratgeber ("Das Frauenbuch", erschien in mehrfachen Wiederauflagen), die als Referentin Vorträge hielt und sich nicht nur als Gesundheitsreformerin betätigte, sondern sich auch für Fragen der Schulreform und der Frauenbewegung interessierte - dieses spannende und zuweilen auch dramatisch verlaufende Leben erzählt Krauss in allen seinen Facetten umfassend und anschaulich.

Krauss hat sich aber nicht allein auf das Leben von Hope Adams Lehmann beschränkt. Das Buch ist gleichzeitig ein Beitrag zur Geschichte der Sozialdemokratie in Bayern und insbesondere in München, wo Hope Adams Lehmann seit 1896 25 Jahre lang mit ihrem zweiten Ehemann lebte. Es ist gleichzeitig auch eine Biographie der beiden Ehemänner, insbesondere des zweiten Ehemannes, des Arztes Carl Lehmann. 1882 hatte Hope ihren ersten Mann Otto Walther, ebenfalls Arzt und aktiver Sozialdemokrat, geheiratet. Man lebte in Frankfurt am Main, wo Hope - sie nannte sich jetzt Adams Walther - als Ärztin und Geburtshelferin praktizierte. Da ihr noch die Approbation fehlte, musste ihr Mann Rezepte und andere Bescheinigungen unterzeichnen. Die Walthers pflegten einen weiten Bekanntenkreis, zu denen unter anderem auch Wilhelm Liebknecht und August Bebel gehörten, dessen Buch "Die Frau und der Sozialismus" Adams Walther ins Englische übersetzte. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes erkrankte sie an Lungentuberkulose und die Walthers übersiedelten in den Schwarzwald, in die Nähe von Offenburg, wo Adams Walther die Krankheit weitgehend überwand. Das Wohnhaus der Walthers wurde zu einem konspirativen Treffpunkt der unter den Sozialistengesetzen verfolgten Sozialdemokraten. Das Ehepaar eröffnete nach der Genesung Hopes ein großes Lungensanatorium. Entgegen der unter deutschen Ärzten vorherrschenden Ansichten waren die Walthers keine Anhänger von Liegekuren, sondern verschrieben ihren Patient(inn)en Bewegung, und zwar Wandern im Schwarzwald, und kümmerten sich um die Ernährung und Fragen der Hygiene. 1896 heiratete Hope ihren zweiten, zehn Jahre jüngeren Ehemann, Carl Lehmann, in den sie sich einige Jahre zuvor verliebt hatte. Die Kinder lebten nach der Scheidung der Eltern abwechselnd beim Vater und bei der Mutter, die sich mit Carl Lehmann 1896 in München niedergelassen hatte. Zusammen mit ihrem Mann unterhielt Adams Lehmann hier eine gutgehende Arztpraxis. Ab 1906, nachdem sie die Approbation erhalten hatte, praktizierte Adams Lehmann als praktische Ärztin und Frauenärztin. Zu ihren Patientinnen gehörten Frauen sowohl aus der Arbeiterschicht wie auch aus dem wohlhabenden Münchner Bürgertum. Bürgerlich war auch der Lebensstil der Lehmanns. So kaufte man sich 1906 ein Auto, mit dem Adams Lehmann rasch ins Rotkreuzkrankenhaus fahren konnte, wo sie operierte. Die Lehmanns engagierten sich als "politisches Paar" (S. 99) im sozialdemokratischen Milieu, wo sie auf der Seite der Revisionisten um v. Vollmar standen, aber auch - und das kann Krauss kenntnisreich zeigen - in bürgerlichen Vereinen wie dem Alpenverein. Die sozialmoralischen Milieus waren in München längst nicht so abgegrenzt, wie M. Rainer Lepsius es für das Kaiserreich sah. Wandern - nicht sozialdemokratisch, sondern im Alpenverein - ging einher mit sozialpolitischem Engagement, mit frauenrechtlerischen Auftritten, mit einem Freundeskreis, der von Bebel über Zetkin bis hin zu russischen Emigranten wie Lenin reichte, für den die Lehmanns zu einer wichtigen Übermittlungsadresse von Nachrichten von und nach Russland wurden. Sozialpolitisch betrieb Adams Lehmann in München zwei große Projekte, die sie jedoch beide nicht verwirklichen konnte. Zum einen war das die Idee des Frauenheims, einer mit 400 Betten riesigen Geburtsklinik, zum anderen die einer Versuchsschule - zumindest einen Versuchkindergarten konnte sie gründen. Die Geschichte beider Projekte hat Krauss ausführlich dargestellt. Die Idee des Frauenheimes scheiterte nicht nur an dem heftigen Widerstand der um ihre Stellung fürchtenden Hebammen, sondern auch daran, dass Adams Lehmann 1914 wegen illegaler Abtreibungen angeklagt worden war. Das Verfahren wurde zwar eingestellt, da man ihr keine gesetzeswidrigen Abtreibungen nachweisen konnte, hatte aber ihrem Ruf erheblich geschadet. Denn Adams Lehmann hatte in der Tat ein große Zahl von Abtreibungen vorgenommen, allerdings immer eine medizinische Indikation gestellt. In der Darstellung der Ereignisse des Untersuchungsverfahrens geht Krauss über das in der Literatur bekannte kaum hinaus. Energisch verteidigt Krauss Adams Lehmann gegenüber Deutungen, sie sei eine "Eugenikerin oder eine Neo-Malthusianerin" (S. 160) gewesen.1 Hier ist Krauss zu widersprechen. So haben u.a. Michael Schwartz2 und Paul Weindling, deren Arbeiten über die sozialistische Eugenik Krauss entgangen sind, gezeigt, dass sozialistische Ideale zu Beginn des 20. Jahrhunderts sehr wohl einhergingen mit eugenischen und sozialhygienischen Argumenten. Es gibt daher keinen Gegensatz zwischen Adams Lehmanns Sorge "um das Wohlergehen von Müttern" (S. 161), den von ihr vorgenommenen Abtreibungen und Sterilisationen von Frauen (letzteres offensichtlich, ohne zuvor die Zustimmung der Frauen eingeholt zu haben) sowie ihren Äußerungen, mit denen sie Abtreibung auch aus sozialen Gründen rechtfertigte.

Trotz dieser Einschränkung ist dies jedoch insgesamt eine sehr gelungene Biographie, die der Rezensent mit großer Begeisterung gelesen hat. Sie kann allen denen, die an der Geschichte der Medizin, der Frauenbewegung und der Sozialdemokratie interessiert sind, aufs Wärmste empfohlen werden.


Lutz Sauerteig Durham (GB)




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