ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Janet Ward, Weimar Surfaces. Urban Visual Culture in 1920s Germany (= Weimar and Now: German Cultural Criticism, vol. 27), University of California Press, Berkeley/Los Angeles–London 2001, 358 S., brosch., 38 $.

Janet Wards anregende Studie ist ein weiterer Beitrag zur Debatte um die schillernde Modernität der Weimarer Republik. In seiner bahnbrechenden Synthese hatte Detlef Peukert 1987 die Deutung Weimars vom engen Bezug zur Geschichte des Dritten Reiches gelöst und die vielschichtigen Ergebnisse der gesellschaftlichen Rationalisierung und des alltagskulturellen Wandels beschrieben, wie ihn der Aufstieg der "Neuen Frau" symbolisierte. Spätere Arbeiten wie Martin H. Geyers Verkehrte Welt haben die Komplexität der Inflationserfahrung beleuchtet und dabei die klassischen Grenzen zwischen Kultur- und Sozialgeschichte in fruchtbarer Weise überschritten. Die geistige Landschaft Weimars bleibt ebenfalls in der Diskussion; während die Vorstellung einer fest umrissenen "Konservativen Revolution" zunehmend fragwürdig geworden ist, treten lagerübergreifende Positionen im Zeichen der "Neuen Sachlichkeit" deutlicher hervor. Weimar, jenes Laboratorium der Moderne, hört nicht auf, ein faszinierender Gegenstand zu sein.

Janet Wards Untersuchung der visuellen großstädtischen Kultur – vor allem, aber nicht allein Berlins – befasst sich mit bisher unentdeckten oder so noch nicht zu einander in Bezug gesetzten Aspekten der ästhetischen Moderne in der Weimarer Republik. Dabei konzentriert sie sich, den traditionellen Zäsuren folgend, auf ihre relativ stabilen mittleren Jahre, die im Zeichen der "Neuen Sachlichkeit" standen. Die vier Abschnitte des Buches sind jeweils einem Themenblock gewidmet: der Architektur, der Werbung, dem Kino und dem Schaufenster. Als Quellen dienen zum einen die detailliert herangezogene jeweilige Fachpresse und –literatur, zum anderen die zeitgenössische Kulturkritik, an erster Stelle die Schriften Walter Benjamins und Siegfried Kracauers. Ward geht es weniger darum, den Ort der visuellen Kultur in den großen intellektuellen und ideologischen Auseinandersetzungen der Weimarer Zeit zu bestimmen. Vielmehr will sie gegen die Beliebigkeit und Virtualität der postmodernen Medienwelt das befruchtende und belebende Potenzial der visuellen Weimarer (Alltags-)Kultur zeigen. Das Berlin der 20er Jahre setzte fort, so ihr Argument, was im Paris des Fin-de-siècle begonnen hatte. Die neue Schauwelt der Warenhäuser und Kinos ersetzte die des Hofes und war für (fast) alle offen; sie wandte sich an den Flaneur und – jetzt noch mehr – an sein weibliches Pendant, suchte ihn und sie gezielt zu beeinflussen und bot zugleich visuelles Spielmaterial für die Phantasie der Betrachtenden. Die Verfasserin bringt das auf die prägnante Formel: "Weimar surface was... a sign of life" (41). Diese im Prinzip überzeugende Grundthese wird dann allerdings eher an zahlreichen Beispielen illustriert als systematisch unter Einbeziehung der Flaneursperspektive selbst entfaltet. Das macht die Lektüre nicht immer einfach, beeinträchtigt aber nicht den Gewinn, der sich aus den vielen Einzelbeobachtungen ziehen lässt.

Wie Ward im ersten Kapitel herausarbeitet, sah das Berlin der 1920er Jahre eine umfassende Erneuerung der Fassaden im funktionalen Sinn vor, die dem Wilhelminismus auch ästhetisch ein Ende bereitete. Wie sehr das Konzept des Bauhauses nicht nur als Programm architektonischer, sondern nationaler Erneuerung überhaupt verstanden wurde, zeigten u.a. die emsige Aktivität des 1927 gegründeten Deutschen Ausstellungs- und Messeamtes, das allein im ersten Jahr seines Bestehens 249 Ausstellungen organisierte, und die Gestaltung des deutschen Pavillons auf der Weltausstellung 1929 in Barcelona durch Mies van der Rohe. Die großflächige Verwendung von Glas brachte den Anspruch der neuen Architektur auf den Punkt, transparente Bauten zu schaffen, in denen die Grenze zwischen innen und außen verschwamm und die durch Spiegelung anderer eine moderne, spielerische Form des Ornaments einführten. Der Schritt von der Transparenz zur Leere war, wie Kracauer bemerkte, jedoch nicht immer groß.

Eine andere ganz neue Form des Ornaments war die Lichtreklame, der, wie das zweite Kapitel zeigt, nach dem Ersten Weltkrieg der Durchbruch gelang. Hochhausfassaden wurden zunehmend daraufhin konzipiert, tauglich für Lichtreklame zu sein. Eine wichtige Stufe der Entwicklung markierte die Einführung des Neonlichts Anfang der 20er Jahre. Ihren Höhepunkt erreichte sie mit der Woche "Berlin im Licht" im Oktober 1928, die zugleich dessen Anspruch auf den Status einer Weltstadt dokumentierte. Mit welchen Effekten Lichtreklame arbeiten sollte, um die Aufmerksamkeit der Betrachtenden zu erregen, wurde von der zeitgenössischen Filmtechnik abgeleitet und mit ihr weiterentwickelt. Gleichzeitig erhielt die Werbung als "Psychotechnik" einen wissenschaftlichen Unterbau, dessen Fundament der deutsche, aber in Harvard lehrende Psychologe Hugo Münsterberg gelegt hatte. In der Sprache der "Werbefeldzüge" und dem Einsatz von Lichtreklame sahen nicht nur Beobachter wie Ernst Jünger direkte Bezüge zur Erfahrung des Ersten Weltkriegs.

Die Filmarchitektur hatte nichts anderes zum Zweck als das möglichst effektvolle Spiel mit Fassade und Licht. Ward widmet sich im dritten Kapitel dem Aufwand, mit dem in der Filmstadt Babelsberg und bei der Gestaltung neuer Kinos gearbeitet wurde und der bei den Beobachtern Faszination wie Ablehnung auslöste. Kracauer schwankte zwischen der Kritik an leerem Monumentalismus und reiner Simulation (wie in Walter Ruttmanns Berlin. Die Sinfonie der Großstadt) und der Hoffnung, die Selbstthematisierung der urbanen Oberflächen wie im Film Asphalt werde den Zuschauern neue Perspektiven eröffnen. Die Kinos selbst verwandelten sich in große Werbeflächen, analog zu den neuen Hochhausbauten, und präsentierten sich dabei als Inbegriff funktionaler Modernität, in deutlichem Vorsprung gegenüber dem Ornamentalismus und Historismus ihrer amerikanischen Pendants. Als beispielhafte Auseinandersetzung mit dem Weimarer Spiel mit Oberflächen analysiert Ward in erhellendem Detail F.W. Murnaus Film Der letzte Mann, der den Abstieg eines Hotelportiers verfolgt und damit einen für Georg Simmel wichtigen Ort der Moderne, das Grand Hotel, zum Thema macht.

Im Schaufenster bündelten sich die Energien der visuellen Großstadtkultur, wie das vierte Kapitel zeigt. Immer ausgedehntere Glasflächen sorgten für Transparenz und den effektvollen Einsatz von Werbung mit Licht und Bewegung. "Spezialschaufenster", die sich auf einen Warentyp konzentrierten, waren die Norm, "Szenenschaufenster" präsentierten umfassende Modelle von Wohnungseinrichtung und Lebensstil. Deutschland war hier führend; der erste internationale Kongress der Schaufensterdekorateure fand 1928 in Leipzig statt. Das Schaufenster fügte der funktionalen Strenge der neuen städtischen Fassaden eine spielerische Seite hinzu, doch konnten nur jene Stadtbewohner in ihren Genuss kommen, deren Kleidung ein Mindestmaß an Respektabilität aufwies. Die andere Seite des Spiels war die Verführung: In einer eindringlichen Analyse von Schlüsselszenen von Fritz Langs Filmklassiker M arbeitet Ward heraus, wie hier die Elemente der Schaufensterwerbung zu Symbolen für die Triebwelt der Hauptfigur werden.

Die Stärke der Studie von Janet Ward liegt in solchen Detailanalysen und – beobachtungen, gerade auch weniger bekannter Filme und der noch weniger bekannten zeitgenössischen Fachliteratur. Leider unternimmt sie jedoch zu wenig den Versuch, die neue visuelle Großstadtkultur aus der Sicht des großstädtischen Publikums selbst zu erfassen und zu zeigen, wie die Flaneure und Flaneusen ihre neue städtische Umwelt als Ganze wahrnahmen und wie sie sie nutzten. Auch hätte sich der Rezensent eine explizitere Auseinandersetzung mit der breiten Weimarer Amerikanisierungsdiskussion gewünscht. Die konservativen Kritiker der funktionalen Moderne in Bau und Gestaltung kommen zudem kaum zu Wort, die Nationalsozialisten an einigen Stellen – hier hätte die Argumentation ebenfalls auf eine breitere Grundlage gestellt werden können. Doch ungeachtet dieser Einwände lohnt Janet Wards Studie die aufmerksame Lektüre. Ihr sollten weitere Studien zum Gegenstand folgen, die ihn noch besser in den allgemeinen Diskussionen zur Weimarer Republik verankern.

Dirk Schumann, Washington, D.C.





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