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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Witold Stankowski, Lager für Deutsche in Polen am Beispiel Pommerellen/Westpreußen (1945 – 1950). Durchsicht und Analyse der polnischen Archivalien, Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, Bonn 2001, 206 S., kart., 14,30 EUR.

Der Autor dieser Veröffentlichung, Witold Stankowski, wurde 1966 in Kartuzy (Karthaus) im Bezirk Gdansk (Danzig) geboren. Er studierte in Bydgoscz (Bromberg) und promovierte über das Thema "Die Aussiedlung der Deutschen aus Pomerellen in den Jahren 1945 –1950". Er war Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes und des Deutschen Bundestages und ist Mitarbeiter einer Vielzahl wissenschaftlicher Gesellschaften. Zur Zeit ist er Stipendiat der Alexander-von-Humboldt-Stiftung und bereitet an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf seine Habilitationsschrift zum Thema "Geschichte der deutsch-polnischen Nachkriegsbeziehungen" vor.

Auch die vorliegende zweisprachige Veröffentlichung ist keine umfassende Geschichte der Lager für Deutsche in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg, denn die wenigen hierzu aufbewahrten Quellen waren bisher entweder nicht zugänglich, oder zumindest nicht systematisch erfasst. Hier werden nun erstmals Dokumente über solche Lager im Gebiet Pomerellen/Westpreußen systematisch erfasst und in polnischer und deutscher Sprache dem Benutzer zur Verfügung gestellt. Die Darstellungen beziehen sich auf Art und Anzahl der Lager, auf die Lebensbedingungen der internierten und inhaftierten Deutschen, sowie auf Angaben zur Zahl der Internierten und der in den Lagern Umgekommenen. Diese Zahl bezieht sich auf die durch unmittelbare Gewalteinwirkung Getöteten ebenso wie auf die an Hunger und Seuchen Verstorbenen. Ergänzt wird die Arbeit durch eine Anzahl von Fotos aus Lagern für Deutsche in Schlesien, sowie durch eine umfangreiche Bibliographie.

In der Einführung schildert der polnische Autor die Schwierigkeiten, die ihm bei seiner Arbeit im Wege standen. "Das Problem der Vertreibung/Aussiedlung der Deutschen wurde von der polnischen historischen Wissenschaft vor der Wende von 1989/90 nicht hinreichend bzw. fast gar nicht bearbeitet. Eine Diskussion zu diesem Thema war weder in polnischen Historikerkreisen noch in der Gesellschaft möglich. Politische Macht und Parteileitung – es handelte sich hier um die polnische Kommunistische Partei – betrachteten das Problem als zu gefährlich für die polnische Staatsräson" (S. 11.).

Weiterhin erklärt Stankowski, dass die umfassende Aufarbeitung des Schicksals der Deutschen in Polen in den Jahren 1945 – 1950 eine "schwierige Aufgabe" sei und dass selbst die Zahl der Lager für Deutsche in Polen nicht genau zu eruieren sei, da auch der sowjetische Geheimdienst NKWD und der polnische Geheimdienst (UB) solche Lager eingerichtet hätten und die einschlägigen Akten der polnischen wissenschaftlichen Forschung bis heute nicht zugänglich seien. Über die vorhandenen Dokumente aus den polnischen Lagern schreibt der Autor : "Sie bestehen aus der Korrespondenz des Lagervorstandes mit den Vorgesetzten sowie aus statistischen Daten und Berichten der Lagerleitung. Auf der Grundlage dieser Dokumente ist es schwierig, ein getreues Bild vom Leben der Deutschen in den Lagern zu gewinnen. Die Korrespondenz der Lagerleitung enthält hierüber keine Angaben oder diese sind unglaubwürdig." (Hervorhebung durch den Rezensenten).

Dann folgt eine Übersicht über die polnischen Archive, die Aktenbestände zu diesem Thema enthalten sowie die nochmalige Beschreibung des Gegenstandes und der territorialen Eingrenzung der Arbeit. Die Seiten 22-27 enthalten eine kurze Beschreibung der Lage der Deutschen in Polen von 1945-1950, einschließlich der Darstellung polnischer und russischer Gräueltaten. Die Seiten 29-36 beschreiben die Anfänge der Lager, danach folgt die eigentliche Quellenedition in deutscher und polnischer Sprache mit Kommentaren des Autors. Zu den Quellen rechnet der Autor auch ausdrücklich die Erlebnisberichte deutscher Zeitzeugen. Eingegangen wird auch auf das Schicksal von Kindern in diesen Lagern. Selbst polnische Dokumente bieten gelegentlich ein erschütterndes Bild der "Lebensbedingungen" der deutschen Lagerinsassen. Ein einziges Beispiel sei hier zitiert, aus einem Schreiben des Standesamtes Bromberg an das Wojewodschaftsamt Pomerellen in Bromberg vom 4.12.194:

"Betrifft : Registrierung von Toten des Arbeitslagers Kaltwasser und an der Parkstraße 1-3

[...] Nach reiflicher Überlegung ist das Standesamt zu der Überzeugung gelangt, dass die Registrierung – mit Angabe von Todesursachen usw. – einer so großen Anzahl von Personen, die in verhältnismäßig kurzer Zeit im hiesigen Arbeitslager Kaltwaser umgekommen sind, ein negatives Licht auf die Verhältnisse, die in polnischen Lagern nach der Befreiung vom faschistischen Joch herrschten, werfen könnte.

[...] Darüber hinaus wäre es für das Prestige des polnischen Staates nicht zweckmäßig, den Tod von Deutschen zu registrieren, die hier auf polnischem Boden keine Existenzberechtigung hatten

[...] Zusammenfassend beantragt das Standesamt Bromberg eine völlige Einstellung dieser Sache und den Verzicht auf Eintrag in die erwähnten Sterberegister.

Der volle Wortlaut des Dokuments findet sich auf S. 61

Die Bibliographie (S: 193-206) enthält eine Übersicht der erschlossenen Archivalien, sowie der wichtigsten Nachschlagewerke und Monographien. In seinem Schlusswort (S. 161) verdeutlicht der Autor noch einmal sein Anliegen mit einem Zitat aus einem Essay von Jan Jozéf Lipski: "Wir (Polen) haben uns daran beteiligt, Millionen Menschen ihrer Heimat zu berauben, von denen sich die einen sicherlich schuldig gemacht haben, indem sie Hitler unterstützten, andere, indem sie seine Verbrechen tatenlos geschehen ließen, andere nur dadurch, dass sie sich nicht zu dem Heroismus eine Kampfes gegen diese furchtbare Maschinerie aufraffen konnten, und das in einer Lage, als ihr Staat Krieg führte. Das uns angetane Böse ist aber keine Rechtfertigung und darf auch keine sein für das Böse, das wir selbst anderen zugefügt haben, die Aussiedlung aus ihrer Heimat kann bestenfalls ein kleineres Übel sein, niemals eine gute Tat..."

Und der Autor schließt mit der betont sachlichen Bemerkung: Uns interessiert vor allem das Bild der Vertreibung/Aussiedlung in der Geschichte im Lichte polnischer und deutscher Quellen. Darum soll dieses Buch das Problem den Lesern nahe bringen und es objektiv beleuchten" (S. 161).

Mit der Quellenedition "Lager für Deutsche in Polen" erhält der wissenschaftlich interessierte Leser eine peinlich penibel abgefasste historische Arbeit zu einem erschwinglichen Preis. Dem Verfasser ist für seinen Beitrag zur Aufarbeitung eines der düstersten Kapitel deutsch-polnischer Vergangenheit und für seinen Mut zu danken, denn wer die dunklen Kapitel der eigenen Geschichte an das Tageslicht bringt, wird in der Regel nicht nur mit Freundlichkeiten bedacht. Auch der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen gebührt Dank für diese in doppeltem Sinne des Wortes grenzüberschreitende Veröffentlichung.

Johann Frömel, Nürnberg





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