ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Bernhard Forster, Adam Stegerwald (1874-1945). Christlich-nationaler Gewerkschafter, Zentrumspolitiker, Mitbegründer der Unionsparteien (= Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte, Band 41), Droste Verlag, Düsseldorf 2003, 748 S., Ln., 48 EUR.

Schon der Untertitel markiert die wichtigsten Arbeitsfelder Adam Stegerwalds, war er doch –ob nun an der Spitze der Christlichen bzw. Christlich-nationalen Gewerkschaften oder als herausragender Zentrumspolitiker und schließlich Mitbegründer der Unionsparteien – immer beides zugleich: Gewerkschafter und Politiker. Allein angesichts der Vielfalt seiner Tätigkeitsgebiete und schließlich auch im Hinblick auf die lange Zeit seiner aktiven (gewerkschafts-)politischen Arbeit, die vom Kaiserreich bis in die Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland reicht, ist es kaum verwunderlich, dass sein Wirken schon mehrfach Gegenstand biographischer Bemühungen geworden ist. Doch gerade die Doppelung von Gewerkschaftsarbeit und Politik, von zwei keineswegs säuberlich voneinander zu trennenden, aber dennoch sehr unterschiedlichen Arbeitsbereichen also, stellt zugleich eine Herausforderung dar, die in den bisher vorgelegten Arbeiten nicht immer adäquat gelöst wurde. Und außerdem erfordern die aus heutiger Sicht manchmal schwer nachvollziehbaren politischen Entscheidungen Stegerwalds die Bereitschaft und Fähigkeit, sich seiner Biographie mit kritischem Abstand zu nähern, um die inneren Widersprüche, auch die Grenzen seiner Persönlichkeit herauszuarbeiten.

Bernhard Forster geht in seiner 2002 von der Philosophischen Fakultät der Universität Passau als Dissertation angenommenen Arbeit von der Einheit des politischen Wollens Stegerwalds aus, ganz gleich ob sich dieses nun eher in der Christlich-nationalen Gewerkschaftsbewegung oder in der Zentrumspartei, ob es sich eher in der Gewerkschaftsarbeit oder in der Parlaments- und Ministertätigkeit niederschlug. Nachgezeichnet wird der Lebensweg Stegerwalds, und zwar auf der Basis keineswegs nur von Selbstzeugnissen, sondern unter Heranziehung einer Fülle vielfach nur schwer zugänglicher oder weit verstreuter Quellen. Dieser Lebensweg war aufs engste verwoben mit der Entwicklung der Christlichen bzw. Christlich-nationalen Gewerkschaften, deren Aufstieg zur Massenbewegung ohne das aktive Engagement und ohne die Durchsetzungskraft Stegerwalds kaum denkbar ist; auch und vor allem seinem Einsatz war es zu verdanken, dass sich die Christlichen Gewerkschaften innerhalb weniger Jahre zu starken Zentralverbänden mit einem Dachverband zusammenschlossen; und er war es, der im "Gewerkschaftsstreit" gegenüber dem katholischen Episkopat die Interkonfessionalität und damit die Unabhängigkeit der Christlichen Gewerkschaften verteidigte bzw. durchsetzte. Die von ihm schon an der Spitze der Gewerkschaften erklärte Bereitschaft zur Übernahme "staatspolitischer Verantwortung" kennzeichnete auch sein (partei-)politisches Engagement in der Zentrumspartei, wobei er bereits Anfang der 1920er-Jahren für eine christliche, aber überkonfessionelle Partei eintrat. In den Gewerkschaften wie in der Partei engagierte er sich für die soziale Besserstellung der Arbeit(nehm)er als Voraussetzung für deren Integration in die Gesellschaft schon des Kaiserreichs, dann aber vor allem in die der Weimarer Republik. Die Schaffung des "sozialen Volksstaats" und die Gleichberechtigung der Arbeiter gehörten für ihn aufs engste zusammen; für beide Ziele arbeitete er als Gewerkschafter wie als Politiker – wobei sein politisches Gewicht durchaus davon abhängig war, dass er beides war.

Dass für Stegerwald soziales Engagement und nationales Wollen, dass für ihn das Ziel der Gleichberechtigung der Arbeiterschaft und die Einbindung der Gewerkschafts- und der Parteipolitik in die gesamtstaatliche Verantwortung immer miteinander verbunden waren, das belegt sein Verhalten in zentralen politischen Entscheidungssituationen – vom Ersten Weltkrieg mit Revolution und Friedensschluss über die Nachkriegskrise bis zur Endphase der Weimarer Republik, in der er als Reichsarbeitsminister im Kabinett Brüning selbst an verantwortlicher Stelle Politik gestaltete. Und zudem zeigt der Lebensweg Stegerwalds alle Zeichen einer bemerkenswerten Karriere: Aus ärmlichen Verhältnissen Mainfrankens stammend, stieg der gelernte Schreiner in höchste staatliche Ämter in Preußen und im Reich auf. Dass Stegerwald trotz seines ausgeprägten politischen Gespürs nicht in der Lage war, das wahre Gesicht des Nationalsozialismus zu erkennen, dass er sich vielmehr zur Mitarbeit im "Neuen Staat" bereit erklärte, verweist auf die Grenzen seiner Persönlichkeit, die im übrigen ohnehin durch eine deutliche "Beratungsresistenz" geprägt war. Gerade seine Stellung zum Nationalsozialismus verdunkelt gewiss das Bild seiner insgesamt beeindruckenden Lebensleistung, die dann jedoch in der Gründung der interkonfessionellen Unionsparteien nach 1945 – auf den Spuren seiner früheren Vorstellungen – eine Bestätigung gefunden hat. Und eine solche Bestätigung des von Stegerwald und den Christlichen Gewerkschaften in den 1920er-Jahren formulierten Programms war auch die Verwirklichung der gewerkschaftlichen Mitbestimmungsvorstellungen in den 1950er-Jahren.

Bernhard Forster zeichnet Stegerwalds Lebensweg ebenso quellenfundiert wie kenntnisreich nach. Durchweg wird der Anteil Stegerwalds an den historischen Prozessen seit der Gründung der Christlichen Gewerkschaften gewürdigt, ohne die Rolle Stegerwalds über Gebühr in den Mittelpunkt zu rücken. Es gehört zu den Verdiensten der Arbeit Forsters, dass Stegerwalds Wirken durchgängig in den zeitgenössischen Handlungshorizont eingebunden wird, von dem Stegerwald beeinflusst wurde, den er indessen immer wieder auch mitprägte. Und es gehört zu den Vorzügen der Arbeit, dass Stegerwald keineswegs eindimensional für die Traditionsbildung der Gewerkschaften und/oder der Unionsparteien in Anspruch genommen wird, was nur um den Preis einer Leugnung oder Ausblendung der Defizite und Widersprüche in den Positionen Stegerwalds gelänge. Vielmehr werden diese Probleme im Epilog, der die Arbeit abrundet, angesprochen und in den Kontext der Lebensleistung Stegerwalds einbezogen. Auch wenn Forster Stegerwald – unter Berufung auf Helmut Kohl – zu den "geistigen Vätern der christlich-demokratischen und christlich-sozialen Parteien in ihrer modernen Form" rechnet, so verweist er doch darauf, dass die Existenz zweier christlicher Parteien gewiss "nicht das 1945 von Stegerwald erstrebte Ideal war". Dennoch aber kommt Forster zur abschließenden Empfehlung: "Das geistige Erbe Stegerwalds zu pflegen und die Erinnerung an ihn wach zu halten, sollte aber in jedem Fall ein gemeinsames Anliegen beider Unionsparteien sein" (S. 687). Darüber sei nicht vergessen, dass Stegerwald mit seinen Vorstellungen zu Gleichberechtigung und Mitbestimmung der Arbeiterschaft, die er in den Jahren der Weimarer Republik vertrat, auch in der Geschichte der deutschen Gewerkschaften seinen Platz hat.

Michael Schneider, Bonn





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