ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Udo Baron, Kalter Krieg und heißer Frieden. Der Einfluss der SED und ihrer westdeutschen Verbündeten auf die Partei "Die Grünen" (= Diktatur und Widerstand, Band 3), LIT Verlag, Münster, 2003, 294 S., geb., 29,90 EUR.

Die zeithistorisch ausgerichtete Studie Barons ist eine umfassende Dokumentation der kommunistischen Einflussnahme auf die westdeutsche Friedensbewegung. Sie verzichtet – nicht zu ihrem Nachteil – auf den Szientismus erkenntnisleitender Paradigmata etwa der Bewegungs-, Organisations- oder Akteurstheorien und skizziert statt dessen als analytischen Ausgangspunkt die systematische Einbettung von Frieden, Krieg und Bündnispolitik in die kommunistische Ideologie. Der Autor skizziert ihre Wurzeln in den Organisations- und Subversionstheorien Lenins und ihre Umsetzung in der Westarbeit der Staatssicherheit. Trotz des sperrigen Gegenstandes, eines beachtlichen Quellenumfangs, eines Material- und Aspektreichtums ist der Text gut lesbar und eingängig.

Was vor dem Zusammenbruch der DDR zwar bekannt war, aber nicht im einzelnen belegt werden konnte: die Initiierung, Beeinflussung und der Versuch einer Instrumentalisierung der Friedensbewegung für die sicherheitspolitischen Zwecke des Sowjetblocks ist nun unter Rückgriff auf die Archive rekonstruiert worden. Insbesondere zeigt sich erneut, dass die Friedensbewegung in ihrem Kern kommunistisch gesteuert war und bis zu ihrem Bedeutungsverlust nach der Stationierung im Herbst 1983 auch blieb.

Es ist nun möglich, für die Friedensbewegung, die zu den prägnanten und in ihrer Breite gewichtigen Ereignissen der bundesdeutschen Mentalitätsgeschichte gehört, in ihren einzelnen Phasen, den wichtigen Gremien und Entscheidungen jeweils den Beitrag der DKP-gesteuerten Akteure zu identifizieren. Die Untersuchung zeigt, wie neben den klassischen Objekten kommunistischer Bündnisstrategie, SPD und Gewerkschaften mit den Grünen eine neue Bündnisoption entstand. Nachdem die bürgerlichen Kräfte der Ökologiebewegung im Richtungsstreit mit dem linken Flügel unterlegen waren, der sich aus dem K-Gruppen-Spektrum, der Sponti-Bewegung und ehemaligen linken Sozialdemokraten zusammensetzte, waren die Grünen von allen nicht-kommunistischen Parteien diejenige mit den geringsten Vorbehalten gegen eine Zusammenarbeit. Ein aus der Studentenbewegung stammender Anti-Antikommunismus, der entschlossene Kampf gegen die Nachrüstung, die Ablehnung der NATO, ein ausgeprägter Antiamerikanismus machten sie für die Westarbeit der Staatsicherheit interessant. Die vor allem im ökosozialistischen Flügel platzierten Informellen Mitarbeiter (IM) konnten erreichen, dass die deutschland- und sicherheitspolitischen Interessen des Osten in die Programmatik der Grünen einflossen.

Zu den konkreten Erfolgen gehörte, dass durch den Einfluss des IM "Dirk Schneider", dessen Aufgabe es war, die "Bedrohungslüge" bei den Grünen mehrheitsfähig zu machen, die sowjetische Aufrüstung kaum kritisiert wurde und man sich in den Kampagnen fast nur auf das Feindbild USA konzentrierte. Die Grünen haben wie die gesamte Friedensbewegung faktisch mit ihrer Adaption der einseitigen Kritik an der amerikanischen Hochrüstung die Propaganda der DDR betrieben, ein Ergebnis, dass zwar nicht neu, aber in der geschichtlichen Selbstreflexion des westlichen Deutschlands noch nicht wirklich präsent ist. Allerdings demonstriert die Untersuchung auch, dass zu keinem Zeitpunkt eine auch nur annähernd vollständige Instrumentalisierung der Grünen gelang. Unter ihnen waren auch die engagiertesten Kritiker der Menschenrechtsverletzungen in der DDR. Aus ihrer blockübergreifenden Friedenskonzeption resultierten die Kontakte zu unabhängigen Friedensgruppen im Osten.

Erstaunlich ist ein Phänomen, dass auch bei anderen Akteuren der zunächst marxistisch und dann öko-pazifistisch ausgerichteten Bewegung anzutreffen war und für überzeugte Gegner des Kommunismus so schwer verständlich war: die Bereitschaft zur Zusammenarbeit trotz Kenntnis der manipulativen Intentionen und der Instrumentalisierung durch die geheimdienstlichen Apparate der DDR. Dass dieser Konflikt ständig präsent war und dennoch lange nicht zum Bruch zwischen kommunistischen und nicht-kommunistischen Pazifisten geführt hat, macht die Darstellung sehr gut deutlich.

Insgesamt muss man, wie bei allen anderen bisherigen Untersuchungen über kommunistische Subversion auch, festhalten, dass der auffällige Gleichklang zwischen den westdeutschen linken Jugend- und Protestbewegungen und den Interessen des Ostens nicht in erster Linie ein Produkt direkter Einflussnahme war, sondern in der Gemeinsamkeit der sozialistischen Zielsetzungen wurzelte.

Annekatrin Gebauer, Neustadt/W.





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