ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Alfred Wesselmann, Burschenschafter, Revolutionär, Demokrat. Hermann Kriege und die Freiheitsbewegung 1840-1850, Der Andere Verlag, Osnabrück 2002, 311 S., kart., 19,90 EUR.

Wenn von 48er Revolutionären die Rede ist, dann fallen meistens Namen wie Friedrich Hecker, Johann Jacoby oder Robert Blum, um nur einige Persönlichkeiten zu nennen. Nicht so bekannt ist Hermann Kriege, dessen politische Biographie Alfred Wesselmann nun vorlegt. Ein eher zufälliger Nachlassfund machte dies möglich. Entstanden ist eine Biographie, die den Schwerpunkt auf die vierziger Jahre legt und Einblicke in ein Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts vermittelt, das von tiefgreifenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Umbrüchen geprägt war. Wesselmann stellt uns einen Politikertypus vor, der heute fremdartig wirken mag: Ein Mann, der für politische Ziele persönliche Opfer brachte, der sein Heimatland verließ, in die Vereinigten Staaten emigrierte und 1848 zurückkehrte, als in Deutschland eine demokratische und soziale Republik möglich schien.

Hermann Kriege wurde am 25. Juli 1820 im westfälischen Lienen geboren. Nach dem Abitur begann er im Sommersemester 1840 das Studium der Medizin in Bonn, wo er Ernst Moritz Arndt begegnete. Zu einem einschneidenden Erlebnis wurde jedoch sein Studienaufenthalt in Leipzig. Im Wintersemester 1840 hatte er sich an der sächsischen Universität eingeschrieben. Er trat der Burschenschaft bei und knüpfte Kontakte zu demokratisch gesonnen Kommilitonen und Intellektuellen. Zu seinen Briefpartnern gehörten u.a. Ludwig Börne, Johann Jacoby, Hoffmann von Fallersleben und Friedrich von Sallet. In Berlin schloss er Freundschaft mit Bettina von Arnim und dem Junghegelianer Bruno Bauer, in München begegnete er Ludwig Feuerbach. Der Radikalisierungsprozess, den Hermann Kriege seit 1841 durchlief, blieb nicht ohne Folgen. Am 9. März 1843 wurde er wegen seiner politischen Aktivitäten in der bayerischen Landeshauptstadt verhaftet. Seine Inhaftierung löste einen Verfolgungswelle innerhalb der Studentenschaft aus. Herrmann Kriege wurde am härtesten von den Strafmassnahmen betroffen: Die akademischen Behörden belegten ihn mit einer Dimission, die drei Jahre währen sollte, was den weiteren Fortgang seiner akademischen Ausbildung ernsthaft gefährdete. Außerdem bestanden die preußischen Behörden darauf, dass er seiner militärischen Dienstpflicht genügte. Kriege konnte seine Garnison frei wählen; die Stationierung in einem Universitätsort blieb ihm jedoch verwehrt. So zerschlugen sich seine Versuche, an preußischen Universitäten während seines Wehrdienstes in Abwesenheit zu promovieren.

Im Oktober 1843 mußte Hermann Kriege Soldat werden. Als Abiturient war er nur verpflichtet, eine einjährige freiwillige Dienstzeit zu absolvieren. Er setzte seine politischen Aktivitäten aber auch nach seiner Einberufung fort und schrieb für demokratische Zeitschriften. Am 16. Juli 1844 wurde er wegen nächtlicher Ruhestörung verhaftet und blieb vermutlich bis zu seiner Entlassung aus dem Wehrdienst am 30. September 1844 im Gefängnis. Dennoch konnte er als "Vice-Unteroffizier" die Uniform an den Nagel hängen.

Die weitere Zukunft für Hermann Kriege in Deutschland sah jedoch düster aus. An eine Fortsetzung des Studiums war nicht zu denken. Im März 1845 verließ er Deutschland und ging nach Brüssel, wo er mit Karl Marx zusammentraf. Die belgische Hauptstadt war jedoch nur eine Zwischenstation auf dem Weg nach London. Dort trat er dem "Bund der Gerechten" bei. Seine Flucht endete schließlich am 1. September 1845 in New York.

In den Vereinigten Staaten betätigte sich Kriege als politischer Journalist. Er wurde von den Ideen der amerikanischen Bodenreformer beeinflusst und arbeitete als Redakteur beim Volkstribun, einer deutschsprachigen Zeitschrift für Arbeiter. Nachdem diese Publikation 1846 gescheitert war, versuchte er, die Gründungsväter der amerikanischen Demokratie in pädagogisch-publizistischer Art der Bevölkerung nahe zu bringen. Als im Frühjahr 1848 die Kunde von revolutionären Volkserhebungen über den Atlantik drang, kehrte Hermann Kriege nach Deutschland zurück, obwohl er Frau und Kind zurücklassen musste. Kriege engagierte sich in der demokratischen Bewegung an herausragender Stelle, zwischen Juni und Oktober 1848 beispielsweise für den Zentralausschuß der deutschen demokratischen Vereine. Nach dem Scheitern der Revolution im Frühjahr 1849 kehrte er in die Vereinigten Staaten zurück. In Chicago wagte er einen beruflichen Neuanfang als Journalist. Doch schon bald erkrankte Kriege an einem psychischen Leiden, das 1850 eine Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus erforderlich machte. Dort ist Hermann Kriege am 31. Dezember 1850 gestorben.

Kriege gehörte zu den Demokraten. Im Parteiensystem, das sich in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts herausbildete, verstand man darunter den Teil der Opposition gegen das System Metternich, der in seinen Forderungen weiter ging als die Liberalen: Eine soziale und demokratische Republik sollte nicht nur Freiheitsrechte garantieren, sondern auch das vormärzliche Massenelend bekämpfen. Die Grenzen zwischen Liberalen und Demokraten waren fließend und genauso gab es Grenzgänger zwischen der demokratischen Bewegung und dem Frühsozialismus. 1845 kam es zu einer kurzfristigen Annäherung von Hermann Kriege an Karl Marx. Doch selbst in seiner frühsozialistischen Phase, so Alfred Wesselmann, habe Kriege Marx nur "oberflächlich und kurzfristig" rezipiert (S. 71). In den Vereinigten Staaten trat der Journalist Vorurteilen gegen den Kommunismus entgegen. Als er nach Deutschland zurückkehrte, war Hermann Kriege davon überzeugt, dass zuerst demokratische Institutionen geschaffen werden müssten, ehe man sich der sozialen Frage annahm. Der Verlauf der Revolution bestärkte ihn in dieser Ansicht. Im Herbst 1848 war Kriege davon überzeugt, dass nur ein Bündnis zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum die demokratische Republik schaffen könne. Dem Proletariat allein traute er dies nicht zu. Revolutionäre Gewalt lehnte er ab. Demokratische Revolutionäre wie Hermann Kriege wurden von frühsozialistischer Seite heftig kritisiert. Schon 1846 hatte Marx seinen Bannstrahl gegen den Journalisten gerichtet. Alfred Wesselmann kommt dann auch zu dem Schluss, dass Marx’ Analyse des Kapitalismus Kriege in seiner praktischen Arbeit wenig beeinflusste: "Sein Engagement für die Arbeiter war schlicht und einfach humanitärer Art und speiste sich nicht aus Einsicht in ökonomische Theorien" (S. 271 f.).

Hermann Kriege war – und dies arbeitet Alfred Wesselmann heraus – kein Theoretiker. Dies bedeutet aber nicht, dass Krieges politisches Handeln von den Eindrücken des Augenblicks abhing oder lediglich sozialer Anteilnahme entsprang. Herrmann Kriege setzte sich mit Zeitströmungen auseinander. Er wusste auch, dass es einer festen Organisation bedurfte, um politisch handlungsfähig zu sein und dass zu einer Demokratie Kompromisse gehörten. In einem heroischen Scheitern sah er keinen Sinn.

Alfred Wesselmann hat mit dieser biografischen Studie die Literatur zur Geschichte des Vormärz und der Revolution von 1848 um ein lesenswertes Buch bereichert.

Axel Kellmann, Köln





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