ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Birgit Panke-Kochinke/Monika Schaidhammer-Placke (Hrsg.), Frontschwestern und Friedensengel: Kriegskrankenpflege im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Ein Quellen- und Fotoband, Mabuse Verlag, Frankfurt/Main 2002, 283 S., brosch., 27 EUR.

Frauen haben in den beiden Weltkriegen eine aktive Rolle eingenommen. Neuere Arbeiten zu den Geschlechterverhältnissen im Krieg kommen zu dem Ergebnis, dass Frauen nicht nur an der "Heimatfront" wichtige Funktionen zur Produktion von zivilen und militärischen Gütern versahen, sondern sie den Soldaten aus freien Stücken an die Front bzw. ins Etappengebiet folgten. Hierbei stand der Wunsch im Vordergrund, aktiv am Kriegsgeschehen teilzunehmen. Als "Frontschwestern" wurden die Frauen annähernd den selben äußeren Bedingungen ausgesetzt wie die Frontsoldaten. So wurde die freiwillige Krankenpflege im Krieg schließlich als weibliches Gegenstück zur männlichen Wehrhaftigkeit stilisiert, wobei die Frauen zum Teil kräftig daran mitarbeiteten: "Man ist aber Soldat und als Soldat hat man zu schweigen und die Befehle auszuführen" (S. 102), so lautete die Aussage einer Krankenschwester, die damit über die rechtliche Einbindung in die militärische Befehlshierarchie hinaus wies. Der Mythos von den Frontschwestern und den Friedensengeln verstärkte sich nach Kriegsende, als Schwestern wie Elsa Brandström von den ehemaligen Kriegsgefangenen geradezu vergöttert wurden.

Den Mythen, Wertvorstellungen und Deutungsmustern rund um die Krankenpflege geht der vorliegende Band nach. Er enthält – thematisch geordnet – veröffentlichtes und bisher unveröffentlichtes Material, darunter Selbstzeugnisse wie Briefe und Tagebücher, aber auch fiktionale Texte, die die zeitgenössische Wahrnehmung bzw. Selbstdeutung repräsentieren. Der Erste Weltkrieg ist vorwiegend mit Quellen von der Westfront, der Zweite Weltkrieg mit solchen von der Ostfront vertreten. Eine Auswahl von Fotos sowie prägnante Kommentare und Einleitungen zu den einzelnen Kapiteln runden den Band ab, dem ein anschließendes Literaturverzeichnis nicht geschadet hätte. Die breite Materialbasis erlaubt detaillierte Einblicke in die Vorstellungswelt der Diakonissen, katholischen Ordensschwestern, Rote-Kreuz-Schwestern und Schwestern des evangelischen Diakonievereins, die in beiden Kriegen zu Zehntausenden sowohl in Lazaretten in der Heimat als auch im Etappengebiet eingesetzt waren. Offenbar griff bei ihnen, ähnlich wie bei anderen gesellschaftlichen Gruppen in Zeiten des totalen bzw. quasi-totalen Krieges, das Konzept der Selbstmobilisierung. Ausgesprochen emanzipatorische Bestrebungen, die auf eine Statusaufwertung der Frauen hinausliefen, sind dagegen nur in den seltensten Fällen anzutreffen. Trotzdem ergaben sich unzählige Situationen – und entsprechende Quellenbelege im vorliegenden Band – ,die gerade für die Krankenschwestern immer wieder Möglichkeiten bzw. Notwendigkeiten eröffneten, die ihnen zugewiesene Sphäre der Weiblichkeit zu verlassen. Gerade in Frontnähe galt es, sich als physisch, mental und moralisch gefestigt und diszipliniert zu erweisen.

Als Motivation zum freiwilligen Dienst in den Lazaretten dürfte ein aktivistisches Bedürfnis hinzu kommen. Man wollte in weltgeschichtlich bedeutsamen Zeiten nicht abseits stehen, sondern im Krieg einer Tätigkeit nachgehen, die sich von derjenigen in Friedenszeiten deutlich unterschied. Desillusioniert berichten die Schwestern an ihre Mutterhäuser von langen Phasen der Langeweile, die sich von ihren Erwartungen unterschieden. Doch auch gegenteilige Erfahrungen spiegeln sich in den Briefen, Tagebüchern und Berichten: Erfahrungen von Arbeitsüberlastung, schlechten sanitären Verhältnissen, einer katastrophalen Versorgungslage und dem alltäglichen Umgang mit dem qualvollen Tod der Patienten.

Aber immer dann, wenn sie den verwundeten Soldaten helfen konnten, empfanden die Krankenschwestern Erfüllung. Hat man es dabei nur mit einem Gefühl der "Mütterlichkeit" zu tun, wie uns viele zeitgenössische Quellen Glauben machen wollen? Oder spiegelt sich hierin nicht etwa der Wunsch, weibliches Selbstbewusstsein gegenüber männlicher Hilflosigkeit zu demonstrieren? Wie hat man die Aussage Gertraud von Bullions zu deuten, die am 6. Oktober 1915 den "schönste[n] und befriedigendste[n] Augenblick" als jene Nacht identifiziert, "die uns den Krieg so nah gebracht hat" (S. 92). Gern hätte man auch mehr darüber gelesen, wie die verwundeten Soldaten die Kriegskrankenschwestern wahrnahmen: ausschließlich als emotionale Stütze oder darüber hinaus als Eindringlinge in die männlich konnotierte Sphäre des Krieges, in der der Verletzte einen unsoldatischen, vor allem aber unheroischen Eindruck vermittelte. Nicht umsonst wurden die Krankenschwestern räumlich von der unmittelbaren Frontlinie getrennt – wohl nicht nur aus übersteigerter Besorgnis um deren körperliche Unversehrtheit, sondern nicht zuletzt, um die Geschlechterverhältnisse im Krieg zu stabilisieren. Anders als die Etappenhelferinnen, die sich vorwiegend aus unterbürgerlichen Schichten rekrutierten, stellte die Tätigkeit der hauptsächlich bürgerlichen Krankenschwestern die Geschlechterverhältnisse daher auch nicht generell und dauerhaft, sondern lediglich situationsbezogen in Frage – selbst wenn zwischen 1939 und 1945 vermehrt Schwestern aus dem Arbeitermilieu anzutreffen sind. Sie wurden von ihren erfahrenen Kolleginnen aus dem Bürgertum oft argwöhnisch betrachtet und mit dem latenten Vorwurf einer laxen sittlich-moralischen Haltung bedacht – auch diesen Blick nach innen vermittelt der Quellenband.

Rainer Pöppinghege, Paderborn





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