ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Martin Friedenberger/Klaus-Dieter Gössel/Eberhard Schönknecht (Hrsg.), Die Reichsfinanzverwaltung im Nationalsozialismus (= Veröffentlichungen der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, Band 1), Edition Temmen, Bremen 2002, 288 S., geb., 19,90 EUR.

Erst nach unsäglichen Kontroversen und einer skandalösen Hinhaltetaktik des Berliner Senats konnte die Gedenk- und Bildungsstätte "Haus der Wannseekonferenz" im Januar 1992 ihre Arbeit aufnehmen an dem Ort, an dem die Vernichtung der Juden ein halbes Jahrhundert zuvor zwischen SD, SS, Reichskanzlei und mehreren Ministerien abgestimmt wurde. Die bürokratische Regelung, zu der Reinhard Heydrich, der Chef der Sicherheitspolizei und des SD, zwölf andere Funktionsträger, vor allem aus der Reichskanzlei und verschiedenen Ministerien in die vornehme Industriellen-Villa am Havel-Ufer geladen hatte, dauerte nur anderthalb Stunden. Frühstück und Cognac wurden serviert. Allen Teilnehmern war klar, dass "Endlösung" für Massenmord stand.

Dass dieses Verbrechen einer rassistischen Ideologie entsprang, die sich nicht erst seit Beginn der NS-Herrschaft, aber seitdem mit diktatorischem Druck in sämtlichen Institutionen und Berufsgruppen des Deutschen Reiches durchsetzte, will die pädagogische Arbeit im Wannsee-Haus verdeutlichen, die sich nicht nur Schülern und Auszubildenden, sondern mit besonderer Intensität auch Arbeitern, Angestellten und Beamten widmet. Manche mögen gedacht haben, dass ihre Kollegen in der Nazizeit zwar nicht mit weißer, aber doch mit grauer und eben nicht mit brauner Weste agiert hätten. Aber Persilscheine werden in der Bildungsstätte nicht verteilt. Finanzbeamte etwa lernen, dass die vormaligen Kollegen ihres scheinbar unpolitischen Ressorts "arische Abstammung" nachweisen mussten und als "Jungmannen" in Sonderschulen und -kampagnen dazu gedrillt wurden, die "nationalsozialistische Weltanschauung" umzusetzen, wie es gleich im §1 des Steueranpassungsgesetzes verordnet wurde. Die Finanzämter wirkten 1933 tatkräftig mit, das Vermögen der verbotenen Parteien, voran der KPD, und der Emigranten zu beschlagnahmen, unter ihnen 37 000 Juden.

Im ersten Jahr der Nazi-Herrschaft brachte die "Reichsfluchtsteuer", die das Kabinett Brüning 1931 – ohne besonderen Effekt – im Rahmen seiner Autarkie-Politik erlassen hatte, bereits 17 Mio. RM ein, die sich bis 1938 auf 342 Mio. RM steigerten. Diese Beträge bilden den fiskalischen Spiegel des Terrors – ebenso wie die über 1200 Steuersteckbriefe, mit denen ein fast lückenloser, mit der Gestapo koordinierter Fahndungsapparat die Flüchtlinge verfolgte. Dem Pogrom vom 9./10. November 1938, bei dem 91 Juden ermordet, Zehntausende in Konzentrationsläden verschleppt, Läden geplündert und Synagogen in Brand gesetzt wurden, folgte die Verordnung einer Zwangsabgabe von einer Milliarde RM, mit der das Attentat auf den deutschen Botschaftsangestellten Ernst vom Rath in Paris "gesühnt" werden sollte. Und schließlich oblag der Finanzverwaltung, das gesamte Vermögen zu verwerten, das die deportierten Juden hinterließen.

Der Band, der Analysen und Dokumente über die Reichsfinanzverwaltung im Nationalsozialismus zusammenstellt, ist der erste einer Reihe, mit der die berufsgruppen-spezifische Pädagogik im Haus der Wannseekonferenz an eine breitere Öffentlichkeit weitergereicht wird. Es fehlen nicht die Portraits der Hauptverantwortlichen. Der schon unter Papen amtierende Finanzminister Graf Schwerin von Krosigk, der 1949 zu zehn Jahren Haft verurteilt, aber schon zwei Jahre später begnadigt wurde, verband sich mit dem Agitator Fritz Reinhardt, "Hitler der Steuerverwaltung" genannt, der erst eine Strafe von vier, dann von 3 Jahren Arbeitslager erhielt. Seine Internierung in amerikanischen Lagern wurde indessen angerechnet, so dass er nicht weiter inhaftiert wurde und sich nach 1950 in Bad Wörishofen als Steuerberater niederließ. Beide fühlten sich zu Unrecht beschuldigt und hatten doch, wie die Materialien aus einschlägigen Quellen belegen, die Ausplünderung und Vernichtung der Juden auf ihrem Gewissen, sofern sie eines hatten. Jedenfalls lässt sich nach der Lektüre keiner der entlastenden, noch zum 75. Geburtstag des Bundes- bzw. Reichsfinanzhofs geklopften Sprüche halten, nach denen das Finanzministerium unter Hitler nur wenig vom braunen Geist infiziert worden sei und "noch am besten überdauert" habe. Bis in die letzten Verästelungen war die Steuerbürokratie, die bei der "Arisierung" der Unternehmen und Grundstücke ohnehin voranschritt, vom Antisemitismus getrieben. Kriegsblinde Juden – nur ein Beispiel – wurden von der Steuerbefreiung für ihre Hunde ausgenommen.



Johannes Wendt, Berlin





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