Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Jan C. Behrends/Thomas Lindenberger/Patrice G. Poutrus (Hrsg.), Fremde und Fremd-Sein in der DDR. Zu historischen Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland, Metropol Verlag, Berlin 2003, 351 S., brosch., 21 EUR.
Die gewalttätigen Angriffe auf Ausländer in den neuen Bundesländern entfachten Ende der 1990er-Jahre eine breite Debatte in den Medien. Ein von Jan C. Behrends, Dennis Kuck und Patrice G. Poutrus vorgelegtes Thesenpapier regte auch unter Historikern eine Diskussion zu den historischen Ursachen der Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland an, die vor allem über die Mailingliste H-Soz-u-Kult geführt wurde. Die Debatte erreichte im Dezember 2000 ihren Höhepunkt mit einer Tagung im Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung, deren Beiträge im vorliegenden Sammelband veröffentlicht sind.
Mit "Fremdenfeindlichkeit" wählen die Herausgeber bewusst einen weiten Begriff, der über "Rechtsradikalismus" als politische Einstellung hinausgeht. Die Entscheidung für einen Ansatz, der über die rechte Jugend- und Subkultur hinausweist und die gesamte Gesellschaft in die Analyse mit einbezieht, ist sinnvoll, doch wird damit auch ein wesentliches Spezifikum der ostdeutschen Fremdenfeindlichkeit, nämlich seine Gewalttätigkeit, in den Hintergrund gedrängt, die in den Beiträgen dieses Buches dann auch eine untergeordnete Rolle spielt.
Leitfrage des Sammelbandes ist, inwieweit Ursachen für die ostdeutsche Fremdenfeindlichkeit in der Geschichte der DDR zu finden sind. Dabei sind sich die Herausgeber bewusst, dass so keine umfassende Erklärung gefunden werden kann. Die Bedeutung der enormen mentalen und lebensgeschichtlichen Brüche und der ökonomischen Probleme der Systemtransformation, sowie die weitere Entwicklung in der vereinigten Bundesrepublik sollen nicht relativiert werden. "Fremdenfeindlichkeit" wird hier verstanden als "Produkt eines historisch kontingenten Bedingungsgefüges". Um ihre Ursachen offen zu legen, muss nach "Ideologien und Praktiken der Ausgrenzung und Einschließung" und nach "Mechanismen gesellschaftlicher/staatlicher Disziplinierung" in der SED-Diktatur gefragt werden. Betont wird, dass die DDR nicht isoliert betrachtet werden kann und die Nachwirkungen der NS-Vergangenheit und die Interaktion mit der Bundesrepublik beachtet werden müssen.
Die Beiträge des vorliegenden Bandes sind von ihren Ansätzen her sehr heterogen und tragen in unterschiedlichem Maße zur Klärung der in der Einleitung entwickelten Problemstellung bei. Zum Teil werden in den Aufsätzen auf knappem Raum Ergebnisse größerer Forschungsprojekte skizziert, zum Teil handelt es sich eher um Projektvorstellungen, die noch wenig empirisch unterfüttert sind.
Jürgen Danyel zeichnet in seinem einleitenden Aufsatz die Entwicklung des ostdeutschen Rechtsradikalismus und die darum geführte Debatte nach. Anschließend zeigt er eine Reihe von Problemen auf, die bei der Untersuchung zu beachten sind. Unter anderem macht er darauf aufmerksam, dass die derzeitige Trägergeneration des ostdeutschen Rechtsradikalismus bestenfalls in der Spätphase der DDR mentale Prägungen erfahren haben kann und so der Wertetransfer zwischen den Generationen einer Erklärung bedarf. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass in der späten DDR die familiär überlieferte Erinnerung an Krieg und Nationalsozialismus immer mehr an Bedeutung gewann, während das offizielle Geschichtsbild und der staatlich verordnete Antifaschismus in gleichem Maße an Glaubwürdigkeit verloren. Ein Korrektiv zu den Erzählungen der Generation der Kriegsteilnehmer, das Schule und Medien hätten bieten müssen, war so immer weniger vorhanden.
Die folgenden Aufsätze sind in vier Abschnitte unterteilt, der erste steht unter der Überschrift "Staatssozialismus als Fremdherrschaft". Gábor Rittersporn beleuchtet den Umgang mit "Fremden" in der Sowjetunion und seinen beispielhaften Charakter für die DDR, womit eine vergleichende Betrachtung der staatssozialistischen Systeme eröffnet wird, ohne dass diese sicherlich wichtige Dimension weiter ausgeführt wird. Oliver von Wrochem beschreibt die Erfahrungen der ostdeutschen Bevölkerung (in diesem Falle der deutsch-deutschen Grenzgebiete) mit den sowjetischen Besatzern in der unmittelbaren Nachkriegszeit. In den von ihm geführten lebensgeschichtlichen Interviews zeigt sich, wie in dieser Zeit gemachte negative Erfahrungen das Bild "der Russen" weiter prägten. Jan Behrends untersucht das Verhältnis von Russen und Ostdeutschen, das von der offiziell propagierten "Deutsch-Sowjetischen-Freundschaft" bestimmt war. Private Kontakte blieben beschränkt und wurden von der SED auch nicht gefördert. Behrends hält zu Recht den Versuch der SED, alle Kontakte zwischen Russen und Deutschen zu kontrollieren, für paradigmatisch für den Umgang mit "Fremden" in der DDR. Weder wurden Räume zum Aushandeln von Konflikten geschaffen, noch konnten die offensichtlichen Widersprüche zwischen dem offiziellen Bild der fortschrittlichen Sowjetunion und den teilweise eher rückständigen Verhältnissen in den sowjetischen Kasernen thematisiert werden. So sieht Behrends in den Strukturen der SED-Diktatur eine wesentliche Ursache dafür, dass die Russen in Deutschland "Fremde" blieben.
Im Abschnitt "Gesamtdeutsche Dimensionen" vermisst der Rezensent zunächst den Beitrag von Christoph Classen zum Umgang mit der NS-Vergangenheit in beiden deutschen Staaten, der in der Einleitung angekündigt wird, im Buch aber nicht enthalten ist. Stattdessen beginnt der Abschnitt mit dem Aufsatz von Ina Dietzsch, die anhand von deutsch-deutschen Briefwechseln zeigt, dass sich Spuren der Fremdbilder aus dem Nationalsozialismus bis weit in die 1970er-Jahre verfolgen lassen was für die Bundesrepublik und die DDR freilich in gleicher Weise gilt. Besonders interessant ist ihr Befund, dass die Abgrenzung nach Osten für die DDR-Bürger besondere Bedeutung hatte, weil sie so ihre kulturelle Zugehörigkeit zum Westen bestätigen konnten. Den unterschiedlichen Umgang mit Deutschen aus der Sowjetunion in der Bundesrepublik und der DDR behandelt Nicole Hirschler-Horáková in ihrer Dissertation, aus der sie hier erste Ergebnisse vorstellt.
Der folgende Abschnitt belegt, dass "Fremdenfeindlichkeit" nicht in "Ausländerfeindlichkeit" aufgeht. Aufsätze zu sudetendeutschen Kommunisten in der DDR (Heike van Hoorn), zur Konstruktion "asozialen Verhaltens" (Thomas Lindenberger), zum Umgang mit der westlich geprägten Jugendkultur (Elfie Rembold) und eine Studie zu Konflikten und Konfliktlösungsstrategien in Rostock zwischen 1978 und 1989 (Joan Hackeling) zeigen, dass nicht nur ethnische Kriterien festlegten, wer in der DDR als "fremd" wahrgenommen wurde. Die Bemühungen der SED um eine Homogenisierung der DDR-Gesellschaft ließ wenig Raum für unangepasstes Verhalten. Wer nicht den Verhaltensnormen der Bevölkerungsmehrheit entsprach, wurde aus der Gemeinschaft ausgeschlossen.
Im letzten Abschnitt stehen dann schließlich die "Ausländer in der DDR" im Mittelpunkt. Behandelt werden politische Emigranten (Patrice G. Poutrus), das namibische Kinderheim in Bellin (Uta Rüchel) sowie aus verschiedenen Perspektiven ausländische Arbeitskräfte in der DDR (Dennis Kuck, Rita Röhr, Annegret Schüle). Die Beiträge verdeutlichen, dass die Kontakte zwischen Ausländern und DDR-Bürgern verhältnismäßig schwach entwickelt waren. Neben tradierten rassistischen Vorurteilen auf deutscher Seite trug dazu auch die Politik der SED erheblich bei. Am ehesten waren Kontakte noch am Arbeitsplatz möglich, aber auch hier war die Integration der Ausländer offiziell eher unerwünscht und blieb gering.
Die Beiträge dieses Bandes liefern eine Fülle interessanter und wichtiger Erkenntnisse, ohne dass die in der Einleitung entwickelten Fragen abschließend beantworten zu können was aber auch sicher nicht der Anspruch der Herausgeber war.
Zwei wesentliche Ergebnisse ziehen sich durch eine Reihe von Aufsätzen. Am wichtigsten erscheint mir, dass die Zusammenschau der Beiträge deutlich macht, wie die SED-Politik den Umgang mit "Fremden" prägte und wie "Fremdheit" innerhalb der diktatorischen Strukturen konstruiert wurde. Die Vorstellung einer in sich homogenen "sozialistischen Menschengemeinschaft" ließ keinen Raum für jegliche Form von "Multikulturalität". Die Ausgrenzungsstrategien der SED gegenüber "Fremden" und die Unterdrückung alternativer Lebensentwürfe wurden von einem wesentlichen Teil der DDR-Bevölkerung unterstützt. Unter der Diktatur gab es keine öffentlichen Räume zum Aushandeln von Konflikten und zum Dialog mit "Fremden". Dieser Befund lässt weitergehende Rückschlüsse auf die Besonderheiten ostdeutscher Fremdenfeindlichkeit zu und bietet Perspektiven für die Forschung, die zu verfolgen sich lohnen dürfte.
Zum zweiten wird deutlich, dass die DDR-Bürger nur in geringem Maße Kontakte zu Ausländern hatten. Die wenigen ausländischen Arbeitskräfte und Studenten oder auch die Emigranten blieben weitgehend isoliert. Inwieweit dies zur Erklärung der ostdeutschen Fremdenfeindlichkeit oder gar ihrem gewalttätigen Ausbruch beiträgt, bleibt aber im vorliegenden Band unklar. Gerade hinsichtlich des Umgangs mit ausländischen Arbeitkräften, aber auch der anderen in diesem Buch angesprochenen Fragen ist für die weitere Untersuchung der deutsch-deutsche und ostmitteleuropäische Vergleich wohl unabdingbar, um die Besonderheiten Ostdeutschlands herauszuarbeiten.
Insgesamt gesehen ist es sehr erfreulich, dass mit diesem Sammelband die Diskussion um die Fremdenfeindlichkeit in (Ost-)Deutschland fortgesetzt wird. Erfreulich ist auch, dass die Debatte einige Studien angeregt hat, von denen über diesen Band hinausgehende, interessante Ergebnisse zu erwarten sind. Insofern liegt hier ein wichtiges Buch zu einem wichtigen Thema vor.
Jens Niederhut, Berlin