ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Konträrer könnte die Perspektive beider Bücher nicht sein: Während Helen Graham die politische Linke im Bürgerkrieg mit Blick auf die Regierung und die Parteizentralen analysiert, widmet sich Michael Seidman dem eigensinnigen Verhalten von Individuen "an der Basis".Helen Grahams zentrale Frage lautet: Welche politische Kraft vertrat die effektivste Strategie zur Verteidigung der legalen Regierung? Impliziert ist dabei auch die Gegenfrage: Woran scheiterte dieses Bemühen? Ihr Urteil ist eindeutig: ihr "Held" ist die KP Spaniens, der "Versager" der linke Flügel der Sozialistischen Arbeiterpartei (PSOE) um Largo Caballero.

Grundsätzlich konzediert Graham, dass die Republik am Mangel an Kriegsgütern aller Art auf Grund des Nicht-Interventions-Abkommens scheiterte. Aber was waren daneben die Schwächen des politischen Projektes der Republik, also die hausgemachten Fehler? Graham sieht sie dort, wo – mit Ausnahme der KP – die spanische Linke sich zu wenig um die Verbreiterung der sozialen Basis der Republik und die effektive Nutzung aller Ressourcen kümmerte. Die Bestrebungen der KP, allzu radikale Maßnahmen (und noch mehr: Forderungen) der Anarcho-Syndikalisten, des linken PSOE-Flügels und der linksradikalen Parteien (besonders der POUM) zurückzudrängen, um die Mittelschichten nicht zu verprellen bzw. für die Sache zurückzugewinnen, finden ebenso Grahams Sympathie wie das Engagement der Kommunisten für Professionalisierung und klare Kommandostrukturen in der republikanischen Armee sowie für den Aufbau eines effizienten Staatsapparates. In Letzterem sieht sie geradezu eine "Nation-building"-Aufgabe, habe es doch einen derartigen Staatsapparat bisher nie in Spanien gegeben (z.B. Kapitelüberschrift S. 131: "Buildung the war effort, building the state for total war").

Auf dem anderen Extrem in Grahams impliziter Werteskala befindet sich die PSOE-Linke. Nur ein Beispiel für das vernichtende Urteil: "The socialist left’s ideological sterility and strategic bankruptcy were nowhere clearer than in the procedural techniques through which they chose to continue waging war inside the Socialist Party while the Republic itself was fighting for its life" (S. 132, Anm. 9). Largo Caballero erscheint als inkompetent, daher völlig überfordert und nur zu verbalradikalen Reden fähig. Was sich nach einem moralischen Urteil anhört, ist durchgängig nüchtern analysiert. Aber darin liegt auch die Schwäche ihrer Beweisführung: Immer wieder stellt sich der Leser die Frage, ob die mit klugen Argumenten als am stärksten zweckrational identifizierte Strategie (die der KP) auch die war, die die Moral der Verteidiger am besten heben konnte.

Eine weitere Problematik der Grahamschen Analyse wird dort deutlich, wo sie die Mai-Unruhen in Barcelona 1937 behandelt. Graham lehnt eine ex-post-Betrachtung durch die Brille des "Kalten Krieges" ab, nach der eine von der Komintern angeleitete stalinistische KP nach Art des Moskauer Terrors dieser Zeit mit kommunistischen Dissidenten von der POUM und mit Anarcho-Syndikalisten aufgeräumt habe. Ihrer Meinung nach sei es eher um die Begleichung alter Rechnungen gegangen, seien alte Fronten interner Auseinandersetzungen der Linken Barcelonas in früheren Jahren und Jahrzehnten hier wieder aufgebrochen. Gegen eine wesentliche Rolle des sowjetischen Geheimdienstes und der Komintern spreche auch, dass auch deren Mitarbeiter dem innersowjetischen Terror ausgesetzt gewesen seien und daher die Apparate so geschwächt waren, dass die behauptete zentrale Organisierung der Verfolgungen linker Gegner gar nicht möglich gewesen sei. Daran mag etwas stimmen. Aber hier zeigt sich eine Schlagseite der Grahamschen Argumentation: Während PSOE und Anarchosyndikalisten mit meist überzeugenden Argumenten scharf kritisiert werden, wird ähnlicher Scharfsinn im Falle der KP nicht zur kritischen Analyse, sondern für die Suche nach entschuldigenden Erklärungen aufgewandt. Manchmal stellte sich dem Rezensenten bei der Lektüre die Frage, ob denn die KP überhaupt keine Fehler begangen habe.

Grahams Verdienst ist es, mit großer Sachkenntnis und klaren Fragestellungen die politische Entwicklung der spanischen Republik 1936-1939 analysiert zu haben. Leider fehlt eine wirkliche Schlussbilanz; eine einzige Seite "Conclusion", die nicht einmal im Inhaltsverzeichnis erwähnt wird, ist dafür kein Ersatz. So muss der Leser eine eigene Bilanz ziehen. Das Buch macht erstens wieder einmal deutlich, dass die Republik auch ohne die durch den Euphemismus "Nicht-Einmischung" schlecht getarnte Intervention Deutschlands und Italiens kaum eine Überlebenschance besaß. So sehr aber zweitens Graham mit ihrer scharfen Kritik an Vielem, was die nichtkommunistische Linke in Spanien tat bzw. unterließ, Recht hat, so schwer ist vorstellbar, dass die Anarcho-Syndikalisten und die PSOE-Linke anders (also mehr im Sinne der KP-Forderungen) hätten handeln können, ohne sich zu spalten und/oder sich von ihren Anhängern zu entfremden. Graham bringt selbst als eines ihrer wichtigsten Argumente vor, dass das Agieren aller Kräfte der spanischen Linken wesentlich durch die Erfahrungen aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg geprägt war. Insofern vergisst Graham eigene Erkenntnisse, wenn sie zwischen den Zeilen die KP immer wieder den anderen politischen Kräften als positives Gegenbeispiel gegenüberstellt. Die Last der Traditionen abzuschütteln wäre für die nichtkommunistischen Kräfte auch bei gutem Willen jedenfalls nicht so leicht gewesen, wie manchmal im Buch angedeutet wird.

Michael Seidman weiß, auf seine Untersuchung aufmerksam zu machen. Schon der Titel "Republic of Egos" fällt auf. Es geht aber nicht um egoistische Auseinandersetzungen an der Spitze der Spanischen Republik (Stoff dafür gäbe es zur Genüge), sondern um die individuellen und individualistischen Reaktionen "einfacher" Bürger auf den Krieg. Seidman setzt sich zum Ziel, den Mythos vom geschlossenen Handeln großer Kollektive, sei es "die Arbeiterklasse", "die Gewerkschafter" o.ä., zu zerstören. In weit verstreuten Akten, in Memoiren und Regionaluntersuchungen sucht er nach Zeugnissen individuellen Handelns. Und er wird reichlich, ja überreichlich fündig. Hierin jedoch liegt das Problem. Der Leser wird erschlagen von einer Flut von Schilderungen kleiner Ereignisse: Soldaten desertieren, um ihr Leben zu retten oder um rechtzeitig zur Aussaat bzw. Ernte zu Hause zu sein, sie rebellieren gegen schlechte Versorgung, an vielen Fronten verabreden beide Seiten lokale "Nichtangriffspakte", Landbewohner verweigern die Ablieferung von Agrarprodukten und schaffen lieber einen Schwarzen Markt, Industriearbeiter in kriegswichtigen Fabriken verweigern Überstunden, Geschäftsleute verlangen überhöhte Preise usw. Im Wesentlichen in chronologischer Reihenfolge werden diese Fälle vorgestellt. Die Gliederung ist minimal: 4 Kapitel, keinerlei Zwischenüberschriften.

Die Mühsal, die der Autor bei der Recherche auf sich genommen hat und die der Leser bei der Lektüre mit ihm zu teilen beginnt, führt aber kaum zu verwertbaren Ergebnissen. Es bleibt völlig unklar, wie repräsentativ die vorgestellten Handlungsweisen sind und warum sie gerade an dieser Stelle präsentiert werden. Über die Chronologie hinaus werden sie auch nicht systematisiert, z.B. nach Schauplätzen, nach Aktionsformen oder nach Akteuren. Liest man die zahlreichen Beispiele für "egoistisches" Verhalten, bleibt unklar, wie die Republik überhaupt bis 1939 durchhielt. So sehr Seidman zuzustimmen ist, dass z.B. "die Arbeiterklasse" nie einheitlich agierte (aber welcher seriöse Historiker behauptet dies?), so sehr muss doch, wird der Blick auf das Verhalten der "Basis" geworfen, auch das Engagement für die Sache der Republik berücksichtigt werden. Seidman ersetzt eine Einseitigkeit durch eine andere.

Erst die Zusammenfassung lässt ahnen, welche weiterführenden Erkenntnisse mit dieser Fragestellung möglich gewesen wären. Hier wird z.B. der Konflikt Stadt-Land als sehr entscheidend für die Niederlage der Republik benannt; im Haupttext geht dies in der Unzahl von Einzelbeispielen eher unter. Dies gilt auch für die immer wieder auftauchenden Vergleiche mit ähnlichen Situationen in den Bürgerkriegen in England, Frankreich, USA und Russland (als Beispiele für Bürgerkriege in sich entwickelnden Gesellschaften), ebenso für den Blick auf die viel bessere materielle Versorgung der Soldaten durch die aufständischen Kräfte und die dadurch deutlich höhere Moral der Franco-Truppen. Schließlich ist auch bemerkenswert der Schlussgedanke von Seidman, dass traditionell die Bourgeoisie mit Individualismus, die Arbeiterklasse mit Solidarität in Verbindung gebracht wird, wohingegen der Spanische Bürgerkrieg das Gegenteil zum Vorschein brachte.

Trotz interessanter Grundideen hat Seidman durch unzureichende Gliederung und nicht konsequent durchgehaltene Fragestellungen eine Chance für ein erweitertes Verständnis des Spanischen Bürgerkrieges verschenkt.

Bernd Rother, Berlin





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