ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Karl Wilhelm Fricke / Peter Steinbach / Johannes Tuchel (Hrsg.), Opposition und Widerstand in der DDR. Politische Lebensbilder, Verlag C.H. Beck, München 2002, 375 S., brosch., 14,90 EUR.

Diktaturen entstehen in der Regel nicht im Selbstlauf – kommunistische schon gar nicht. Auf die Entwicklung im geteilten Deutschland, genauer: auf die in der sowjetisch besetzten Zone, trifft dies im besonderen Maße zu. Unter dem Dach der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) waren schon sehr früh die Vorbereitungen für eine Diktaturdurchsetzung im kommunistischen Sinne getroffen worden. Ausgehend von den "Initiativgruppen" der KPD, die mit der Roten Armee zurück ins Land gekommen waren, begannen hier die Moskau-Kader der KPD, Schlüsselpositionen in der Verwaltung zu besetzen und erste Weichenstellungen anzubahnen. Bei ihrem Vorgehen mussten sie zumindest in den ersten zwei Jahren aufgrund der deutschlandpolitischen Vorstellungen Moskaus zwar noch eine gewisse Zurückhaltung üben und die von ihnen eigentlich verachtete Demokratie in ungewohnter Weise simulieren. Doch konnten sie spätestens ab Ende 1947 die bislang eher abgebremste Diktaturdurchsetzung nunmehr ohne besondere Rücksichtnahmen weiter führen. Das Ende ist hinlänglich bekannt: Die Durchsetzung der "führenden Rolle" der KPD/SED, die Einschmelzung oder Transformation der anderen Parteien und Massenorganisationen sowie die bereits im Oktober 1950 eingeführten Einheitslistenwahl zur Sicherung der Diktatur.

Der vorliegende Band macht indes deutlich, dass der Prozess der Diktaturdurchsetzung nicht nur eine rein mechanische Dimension beinhaltete. Wenn z.B. von der Zwangsvereinigung von KPD und SPD 1946 die Rede ist oder von der Gleichschaltung der beiden klassischen bürgerlichen Parteien CDU und LDP zu "prokommunistischen Blockparteien" (Michael Richter) im Zeitraum 1948 bis 1950, wird recht schnell darüber hinweggesehen, dass dahinter eine Vielzahl von erschütternden menschlichen Schicksalen steht. Denn diejenigen, die sich in jenen entscheidenden Jahren der kommunistischen Diktaturdurchsetzung in den Weg gestellt haben, fielen oft der Vergessenheit anheim. Diese menschlich-individuelle Dimension in den Blick genommen zu haben, ist somit ein allgemeines Verdienst des Bandes. Die Herausgeber haben sich dabei mit Verweis auf einen Folgeband auf die Ära Ulbricht beschränkt, wobei natürlich Grenzfälle (Havemann, Loest) kaum zu vermeiden waren. Neben einigen Journalisten und Publizisten ist es ihnen gelungen, zumeist einschlägig ausgewiesene Spezialisten wie Hermann Weber, Manfred Overesch Brigitte Kaff oder Michael Richter für die einzelnen Beiträge zu gewinnen. Der Band selbst gliedert sich in neun Kapitel und folgt, so die Herausgeber, "einer Systematik, die sich aus der Geschichte von Opposition und Widerstand in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR ergibt" (S. 12). Das selbst gestellte Ziel, "oppositionelle Motive, Ziele und Handlungen" der Porträtierten deutlich werden zu lassen, wird in der Mehrzahl der Fälle erreicht. In einigen wenigen Fällen mindern allerdings journalistische Leidenschaft und hagiographische Töne (so bei Robert Bialek) die gebotene historiographische Nüchternheit und Präzision. Etwas bizarr erscheint zudem der Versuch, oppositionelles Verhalten bei Erich Loest mit "sächsischen Eigenarten" (S. 267) erklären zu wollen.

In den ersten Kapiteln des Bandes, die sich mit Widerstand gegen die Stalinisierung im allgemeinen sowie aus "sozialdemokratischer Überzeugung" und Widerstand von Jugendlichen und Studenten im einzelnen befassen, werden die brutalen Methoden der Diktaturdurchsetzung hinreichend deutlich. Von besonderer Tragik sind in dieser Hinsicht die sozialdemokratischen Doppelopfer wie etwa Arno Wend, Gerhard Weck und Hermann Brill. Schon zu Zeiten des "Dritten Reiches" inhaftiert und mißhandelt, wurden sie aufgrund ihrer demokratischen Gesinnung nach 1945 mit der kommunistischen "Machtergreifung von links" (so Overesch, S. 80) konfrontiert. Erneute Entrechtung und Verfolgung ließen nicht lange auf sich warten. Ähnliche Torturen mussten aufrechte Christ- und Liberaldemokraten erleiden; so z.B. der Landesjugendreferent der CDU Sachsen-Anhalt, Ewald Ernst, der jahrelang im "Gelben Elend" von Bautzen verschwand. Im Falle des Ehepaars Erwin und Charlotte Köhler (CDU) schreckten Kommunisten und Besatzer nicht einmal mehr vor Mord zurück. Der stellvertretende Oberbürgermeister von Potsdam und Kreisvorsitzender der CDU und seine Frau wurden im Zuge der Gleichschaltung der Brandenburger CDU 1949/50 verhaftet, von einem Sowjetischen Militärtribunal zum Tode verurteilt und schließlich in Moskau erschossen. Doch Einzelfälle waren das nicht: Auch den rührigen mecklenburgischen LDP-Politiker und Studentenführer Arno Esch ereilte ein ähnliches Schicksal. Erinnert werden soll an dieser Stelle auch an jene Demokraten, die im Zuchthaus Bautzen jämmerlich zugrunde gingen und hier keine Erwähnung fanden: So der Rudolstädter Oberbürgermeister Gustav Hartmann (SPD/SED) und der Chemnitzer Stadtschulrat Karl Rudolph (SPD/SED), die 1949 zu Lagerhaft verurteilt worden waren.

In weiteren Kapiteln widmet sich der Band dem Handeln Oppositioneller, die – anders als die oben beschriebenen Widerständler – das diktatorische System der DDR nicht offen bekämpften, sondern auf Reformen drängten. Neben typischen Beispielen wie Wolfgang Harich, Walter Janka oder Robert Havemann lassen sich allerdings auch hier "Grenzgänger" finden, die nach ihrer Flucht aus der DDR mit dem Gesamtsystem brachen: Dies betrifft z.B. den früheren prominenten Sozialdemokraten und SED-Führer Erich W. Gniffke, der angesichts der Etablierung der marxistisch-lenistischen "Partei neuen Typus" 1948 SED und SBZ den Rücken kehrte und wieder in der SPD eine politische Heimat fand. Robert Bialek, einst FDJ-Chef von Sachsen und 1948 kurzzeitig Generalinspekteur der Volkspolizei, begann sogar nach seiner Flucht in die Bundesrepublik 1953, das SED-System in Wort und Schrift zu bekämpfen und musste dafür mit Verschleppung und Mord bitter bezahlen. Was "oppositionelle" Haltung vor allem bei Schriftstellern bedeutete, zeigte ihre Einstellung zum Volksaufstand vom 17. Juni 1953: Sie standen zumeist abseits oder stärkten dem Regime den Rücken. Erst auf der Grundlage des von Moskau initiierten Entstalinisierungskurses mahnten sie Reformen an und wurden nun von Ulbrichts "Nachtfrost" überrascht. Erich Loest etwa durfte seine sozialistischen Illusionen von ehedem bald hinter Zuchthaustüren begraben. Am Ende blieb ihm – wie anderen Kollegen auch – nur die Ausreise in den "Westen". Von dort aus führte ein Teil der geflüchteten Widerständler den Kampf für Demokratie und rechtsstaatliche Verhältnisse in ganz Deutschland. Walter Linse engagierte sich so im Rahmen des "Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen" (UfJ). Verschleppung, Inhaftierung und Justizmord waren die Reaktionen eines totalitären Systems. Es zu überwinden, schafften bis 1989 weder die frühen Widerständler noch die Streikführer des 17. Juni, allenfalls diejenigen, denen der Grenzdurchbruch gelang.

Mike Schmeitzner, Dresden





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