ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Dieter Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen. Die Nationalisierung der Staatsangehörigkeit vom Deutschen Bund bis zur Bundesrepublik Deutschland (= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Band 150), Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, 472 S., brosch., 46 EUR.

Warum muss ein in Deutschland geborener und dort aufgewachsener Jugendlicher mit türkischer, bulgarischer, kroatischer Staatsbürgerschaft in die Türkei, nach Bulgarien, Kroatien zum Militärdienst? Diese Frage, für die Betroffenen von teilweise existentieller Bedeutung, kann jeder beantworten: Es liegt an der Staatsbürgerschaft. Sie sichert dem jeweiligen Staat den Zugriff auf seine Bürger, und sei es zum Militär- und Kriegsdienst. Aber warum hat derjenige nicht die deutsche Staatsbürgerschaft, oder beide? Worauf gründet sich Staatsbürgerschaft, womit ist sie historisch entstanden und praktisch verbunden?

In Dieter Gosewinkels Buch wird die Gegenwart zwar nicht thematisiert, doch die Grundlagen für die Beantwortung obenstehender Frage kann man dem Buch sehr wohl entnehmen (obwohl der Autor dies nicht intendiert) – und auch, dass es offenbar in deutschen Landen zu unterschiedlichen Zeiten und politischen Verhältnissen unterschiedliche Vorstellungen von der Staatsangehörigkeit gab. Dieser Begriff wird nachdrücklich vom Begriff "Staatsbürgerschaft", d.h. den "inhaltlichen Rechten und Pflichten eines Staatsbürgers" (S.12) und den damit verbundenen, eingangs gestellten profanen Fragen, abgegrenzt. Gosewinkel geht es in erster Linie um einen "Zugang zum Nationalstaat und dessen Abgrenzung nach außen". (ebd.)

Das Buch vermittelt in acht Kapiteln die Entwicklung des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts vom Anfang des 19. Jahrhundert bis 1945. Der Entwicklung nach 1945 ist ein kurzer Schluss vorbehalten. Die Kapitel bauen chronologisch aufeinander auf. Allerdings erschweren fehlende tabellarische Zusammenfassungen und kartographische Übersichten den Rückbezug zu schon Dargestelltem.

Der oft strapazierte Vergleich zum französischen Nationsmodell findet nicht statt. Bis auf einige Querverweise verzichtet der Autor, m.E. zu Recht, auf die vergleichende Perspektive. Er bietet eine detailreiche Studie auf sozialökonomischer und juristischer Grundlage an, die darauf zielt, die Kontinuität des von Bubraker [1] behaupteten ethnisch-biologischen Nationsmodells teilweise in Frage zu stellen.

Gosewinkel zeigt, wie demographische, soziale, ökonomische und politische Entwicklungen Handlungsbedarf und -motivation in den Teilstaaten des Deutschen Bundes schufen, die späterhin zu der von ihm auch beschriebenen Praxis ethnisch-biologischer Grundlegung für die Staatsangehörigkeit und zu der Zentralisierung der Entscheidung darüber führten. Es ist interessant nachzuvollziehen, warum mit Österreich als dem Beispiel für einen multiethnischen Staat ein gemeinsames Staatsangehörigkeitsrecht im Deutschen Bund nicht zustande kam. Das preußische Untertanengesetz von 1842 war Ergebnis von Reform- und Rationalisierungsbestrebungen der staatlichen Bürokratie, die sie gegen andere politische Kräfte durchzusetzen vermochte. Für das bis zum ersten Weltkrieg dominierende Staatsangehörigkeitsrecht hatte sich spätestens nach 1848 Preußen als Leitbild durchgesetzt.

Eine Nationalisierung des Staatsangehörigkeitsrechts geht einher mit der Durchsetzung der Vorstellung einer deutschen "Kulturnation" gegen Minderheiten bzw. Bevölkerung in eroberten Gebieten. Das ist der Fall nach 1860 gegen die an Stärke gewinnende polnische Nationalbewegung, die sich u.a. gegen eine zunehmende Germanisierung in geteilten polnischen Gebieten richtete, sowie nach 1866 in Nordschleswig und 1871 in Elsass-Lothringen (Optionsregelungen). Da die Staatsangehörigkeit neben seiner Schutzfunktion bald nicht mehr nur Pflichten begründete, wie z.B. die des Militärdienstes, sondern auch Versorgungsansprüche der Bürgerschaft an "ihren" Staat und politische Rechte beinhaltete, wurde die Entscheidung über die Staatsangehörigkeit zu einem Instrument des Ausschlusses unliebsamer Bewohner des eigenen Territoriums von solchen Rechten. So ermöglichte das Aufnahmeverfahren eine den wechselnden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Strukturen Rechnung tragende Anpassung der Einbürgerungspraxis. Einen ethnischen/religiösen "Makel" konnte der Einzelne aber mit besonderen Leistungen für den deutschen Staat, mit wirtschaftlichem Erfolg oder Militärdienst, ausbessern und so doch in den Genuss der Staatsangehörigkeitsrechte kommen. So führte die im Staatsangehörigkeitsrecht angelegte Diskriminierung ethnisch/religiös/kulturell andersgearteter Bewohner des Landes bis 1933 noch nicht zu einem generellen Ausschluss von der Staatsangehörigkeit, auch wenn durch die Aufnahmeverfahren eine selektive Diskriminierung praktiziert wurde.

Für die Novellierung des Staatsangehörigkeitsrechts 1913 konnten erstmals politisch organisierte nationalistische Kräfte des Deutschen Reichs ihren Einfluss entscheidend durchsetzen. Diese Kräfte hatten sich seit 1878 formiert. Ihre Entstehung vor dem Hintergrund der Reichsgründung und der Gründerkrise kommt in der Darstellung allerdings etwas zu kurz. Mit dem neuen Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 wurde das Abstammungsprinzip im Deutschen Reich rechtlich und politisch voll durchgesetzt. Auch für die deutschen Staatsangehörigen im Ausland, die bis dahin nach 10 Jahren diese Staatsangehörigkeit verloren, und deren Nachkommen galt nunmehr die deutsche Staatsangehörigkeit weiter, es sei denn, sie verweigerten den Militärdienst. Die Vererbung der Staatsangehörigkeit außerhalb des Deutschen Reiches stellte eine neue Qualität dar und entsprach jenen "ethnischen Homogenitätsvorstellungen, die von der ‚objektiven’ Qualität der Eigenschaft des ‚Deutschen’ und ihrer genetischen Übertragung ausgingen". (S. 325) Eine doppelte Staatsangehörigkeit konnte es auf dieser Grundlage nicht geben. Dieses kodifizierte Abstammungsprinzip ist jedoch noch nicht gleichzusetzen mit den blutbezogenen rassischen Ansätzen für ein Staatsangehörigkeitsrecht, da es immer noch eine Einbürgerungspraxis, wenn auch eine diskriminierende, für "Fremdstämmige" gab, die den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit außerhalb rassischer Kriterien (z.B. durch Ableistung von Militärdienst) ermöglichte. Diese einmal erworbene Staatsangehörigkeit wurde dann ebenfalls von den Nachfahren ererbt. Für die zuwandernden Arbeitskräfte stellte das neue Staatsangehörigkeitsrecht "ein rechtliches Regulativ bereit" (S. 324), das ihre Zuwanderung ermöglichte und diese Zuwanderung gleichzeitig aus aktuellen Gründen immer wieder unterbinden konnte.

Ein wenig mehr als ein Jahr nach seiner Verabschiedung musste sich das neue Staatsangehörigkeitsrecht in einer speziellen Form bewähren - am Militärdienst für das kriegführende Deutschland mit 13 Millionen wehrpflichtigen deutschen Staatsangehörigen. Wer nicht bereit war, sich für die deutschen Kriegsziele zu opfern, wurde ausgebürgert, bestraft etc. Nach dem verlorenen Krieg stellte sich die Situation und damit auch die Diskussion um Staatsangehörigkeit anders dar. Durch die Kriegsverluste an Menschen und Territorium gab es im Staatsgebiet nur noch wenige Ausländer, nicht mehr als 2%. Die Aufenthaltsrechte für Ausländer waren mit dem ersten Weltkrieg beschnitten und in der Weimarer Republik die Kontrolle derselben zentralisiert worden. Weitere Umstände, wie steigende Auswanderung, Abschirmung des nationalen Arbeitsmarktes und Verschärfung der Einbürgerungspolitik insbesondere durch den süddeutschen Raum, führten in den 20er Jahren nach innen zu einem homogeneren deutschen Nationalstaat, als das ausgehende Kaiserreich es war. Gleichzeitig jedoch gab es etliche ehemalige deutsche Staatsangehörige außerhalb des Staatsgebietes, die die Staatsangehörigkeit zugunsten der neuen Staatsmacht wechselten, wie z.B. in Polen. Damit trat das Problem deutsch-nationaler Minderheiten in anderen Staaten auf, deren Mitglieder nicht mehr deutsche Staatsangehörige waren. Sie formulierten ihr Zugehörigkeitsgefühl zu Deutschland in ethnisch-kulturellen Kategorien der "Nationalität". Eine Aufwertung der Begriffe "Volk" und "Volkszugehörigkeit" im Vergleich zur Staatsangehörigkeit war die Folge. [2] "Indem die völkische Substanz gegen die formale staatliche Begrenzung ausgespielt wurde, war die Bestandskraft der Institution Staatsangehörigkeit erodiert, bevor das NS-Regime zu ihrer radikalen Auflösung schritt." (S. 368)

Für die Zeit des Dritten Reiches konstatiert Gosewinkel einen Bruch mit der bis dahin institutionalisierten Struktur der deutschen Staatsangehörigkeit. Der Übergang vom ethnisch-kulturellen Abstammungsprinzip zum blutsbezogenen Rasseprinzip stelle nur auf den ersten Blick eine Kontinuität dar. Ein erster Bruch war das sog. Denaturalisierungsgesetz von 1933, das eine schon erfolgte Einbürgerung vor 1933 bei bestimmten Personengruppen, insbesondere "Ostjuden", wieder rückgängig machen und andere, besonders politisch unliebsame Bürger ausbürgern sollte. Eine Einbürgerung von "Fremdstämmigen" war unmöglich. Die Nürnberger Gesetze 1935 stellten der Staatsangehörigkeit die Reichsbürgerschaft zu Seite. Damit gab es zwei Klassen von Staatsangehörigen, die "einfachen" Staatsangehörigen und diejenigen "deutschen oder artverwandten Blutes" zusätzlich mit der Reichsbürgerschaft. Das Verbot von Mischehen machte eine Verbindung in diesen beiden Kategorien offiziell unmöglich. Die Trennung in diese Kategorien ungleichen Werts und ihre praktische Durchsetzung beinhaltete die fortschreitende Entrechtung der Rest-Staatsangehörigen. Das war neben den ohnehin schon möglichen Diskriminierungen genau das Instrument des Ausschlusses für Nichtangehörige der "Volksgemeinschaft". Auch wenn es ideologische Vorläufer gab, sieht Gosewinkel in dieser Praxis den Bruch der Kontinuität. Für die Umsetzung der Rassepolitik standen allerdings in der Begutachtung der Staatsangehörigkeit und der Umsetzung einer entsprechenden Politik erfahrene Institutionen und Personen zu Verfügung.

Der zweite Weltkrieg brachte eine neue Differenzierung in "Staatsangehörige auf Widerruf" (für "Volksdeutsche" und "Eindeutschungsfähige") und "Schutzangehörigkeit" (für "Fremdvölkische") - und damit eine weitere Etappe in der Auflösung eines allgemeinen Staatsangehörigkeitsrechts.

Nach der Niederlage des faschistischen Deutschlands wurde das Staatsangehörigkeitsrecht von 1913 wieder praktiziert. Neben das alte Abstammungsprinzip bei der Einbürgerung trat ein Einbürgerungsanspruch für Deutsche aus den Gebieten, die infolge des Krieges an andere Länder gingen. Inwieweit die Bundesrepublik damit die "Verantwortung für die Taten des nationalsozialistischen Reiches" (S. 422) übernommen hat, ist in Frage zu stellen.

Gosewinkel hat mit seiner Habilschrift ein inhaltlich spannendes, aber schlecht zu lesendes Werk auf den historischen Büchermarkt gebracht. Es wird schon jetzt als ein Standardwerk für Wissenschaftler, die sich mit Nation, Nationalismus, Migration und ähnlichen Themen beschäftigen, betrachtet.

Rita Röhr, Berlin


Anmerkungen:





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