ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Birgit Bernard/Michael Matzigkeit (Hrsg.), Fritz Lewy – ein Leben für die Form (= Dokumente zur Theatergeschichte, Bd. 12), Theatermuseum der Landeshauptstadt Düsseldorf/Dumont-Lindemann-Archiv, Düsseldorf 2002, 360 S., kart., 30 EUR.

Am 12. Juni 1950 starb der Graphiker Fritz Lewy während einer Vorlesung an der Kunstakademie von Cincinnati. Die Zeitungen in Essen, seiner Geburtsstadt, oder in Düsseldorf und Köln, wo er studiert und lange Zeit erfolgreich gearbeitet hatte, widmeten ihm keinen Nachruf. 1933 vor der nationalsozialistischen Verfolgung geflohen, war Lewy vergessen, und er blieb vergessen – eine typische Emigrantenbiographie. Mehr als fünfzig Jahre nach seinem Tod versuchen die Historikerin Birgit Bernard, Leiterin des Historischen Archivs des WDR, und das Düsseldorfer Theatermuseum mit einem schön und durchdacht illustrierten Sammelband die erneute Einbindung des Verschollenen in das Spektrum europäischer Kunst des 20. Jahrhunderts.

Die Werke emigrierter bildender Künstlerinnen und Künstler gelten seit den 1960er-Jahren zwar unter gewissen Umständen als re-integrationsfähig in den Olymp des Landes, aus dem ihre Schöpfer einmal verjagt worden waren. Sie scheinen dann aber nichts mit deren durch Flucht und Exil meist mehrfach gebrochenen Biographien zu tun zu haben, sondern gleichsam ungeachtet widriger Umstände entstanden zu sein. Das im April 2002 erschienene Buch würdigt dagegen Leben und Werk, bringt in den interdisziplinär zusammenstellten Beiträgen Biographie, Zeitgeschichte und künstlerische Bedeutung zusammen.

In 25 Archiven ist das verstreut, was als Lewys biographischer und künstlerischer Nachlass gelten kann. Die meisten seiner Werke sind vermutlich verschollen; in das, was aufgefunden wurde, bekommen die Leser einen bildergesättigten Einblick.

An Bauhaus und niederländischen Konstruktivismus erinnern die ab Mitte der 1920er-Jahre entstandenen Arbeiten des 1893 geborenen Künstlers, der nach dem Kunst- und Kunstgewerbestudium als freier Graphiker und Bühnenbildner arbeitete. Lewys strenger und klarer Bildaufbau und vor allem die kühle Formensprache seiner Typographie sind hier neu zu entdecken.

1927 wurde Fritz Lewy Chefgraphiker bei der Westdeutschen Rundfunk AG (WERAG) in Köln. Das von ihm entworfene neue Design der Programmzeitschrift DIE WERAG liegt ästhetische Welten entfernt vom noch kaiserreich-spießigen Outfit des Vorgängermodells. Die Sprache einer internationalen Moderne erreichte immerhin

200.000 Abonnenten – stilbildend wirkte Lewy ganz gewiss, wenn er es auch als Gebrauchsgraphiker schon damals schwer hatte mit der Kanonisierung im Künstler-Heimatkalender.

Nachdem sich auch der Westdeutsche Rundfunk im Frühjahr 1933 eiligst von seinen jüdischen Mitarbeitern getrennt hatte, flüchtete Fritz Lewy mit seiner Frau Helene nach Spanien. Im umkämpften Barcelona entwarf er Plakate mit politischer Botschaft: für die republikanisch-autonome katalanische Regierung und für die Internationalen Brigaden.

Im Buch abgebildet sind aufsehenerregende Agitprop-Plakate aus dieser Zeit, die sicher zu seinen besten Arbeiten gehören.

Vor dem drohenden Sieg Francos flüchteten die Lewys weiter in die USA, wo sie bei Verwandten in Ohio unterkamen. 1944 wurden die von den Nazis Ausgebürgerten amerikanische Staatsbürger. Fritz – nun Fred – Lewy arbeitete als Werbegraphiker und ab 1947 als Lehrer an der Kunstakademie von Cincinnati. Seine neue Heimat widmete ihm freundliche kleine Ausstellungen und kaufte die Seife, für die er die Werbung entworfen hatte. In Köln, Lewys letzter Wirkungsstätte vor der Flucht, erinnerte nichts mehr an ihn.

Zur interdisziplinären Lesbarkeit des Buches trägt der Wechsel kunstgeschichtlicher und historisch-biographischer Kapitel bei. Michael Matzigkeit schildert die in der Ausrichtung noch offenen Anfänge der Karriere Fritz Lewys "Zwischen Bühne, Kunst und Business". Helmut Grosse widmet sich dem Bühnenbildner, Ute Brüning dem Gebrauchsgraphiker Fritz Lewy. Die sechs Jahre zwischen 1927 und der Flucht 1933, in denen Fritz Lewy für den Westdeutschen Rundfunk arbeitete, ergründen Birgit Bernard, Renate Schumacher, Ute Brüning und Anne Ganteführer-Trier mit unterschiedlichen Akzenten. Den Jahren des Exils 1933 bis 1950 gehen Patrik von zur Mühlen und Ingrid Severin nach. In einem Interview mit Birgit Bernard und Michael Matzigkeit erinnert sich der in Cincinnati lebende Graphikdesigner Noel Martin an den Weggefährten Fritz Lewy.

Cordula Lissner, Düsseldorf





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