ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Anna Dünnebier/Ursula Scheu, Die Rebellion ist eine Frau. Anita Augspurg und Lida G. Heymann: Das schillerndste Paar der Frauenbewegung, Heinrich Hugendubel Verlag, Kreuzlingen/München 2002, 319 S., geb., 22 EUR.

Anna Dünnebier und Ursula Scheu ist mit ihrem Titel "Die Rebellion ist eine Frau" ein wunderbarer Beitrag zur Geschichte der deutschen Frauenbewegung gelungen. Porträtiert werden Anita Augspurg (geboren 1857 in Verden) und Lida G. Heymann (geboren 1868 in Hamburg), zwei Feministinnen der ersten Stunde, die sowohl politisch als auch privat mehr als ein halbes Jahrhundert ein kämpferisches Paar waren. Ihre politischen Ziele: gleiche Rechte, soziale Gerechtigkeit und Frieden. Ihr ungewöhnliches Leben ist sicherlich ein positiver Beleg für die Parole, dass das Persönliche politisch ist. "Sie fordern gleiche Rechte für Frauen, im Parlament wie im Bett... Sie demonstrieren auf der Straße, debattieren im Reichstag, organisieren Go-ins von Frauen in Wahllokale, initiieren internationale Kongresse. Sie hassen den Nationalismus, den Männerstaat und den Krieg, kämpfen gegen Antisemiten und gegen Kolonialisten, die Farbige für Menschen zweiter Klasse halten. Sie bleiben Kosmopolitinnen und Pazifistinnen, als ganz Deutschland 1914 dem Taumel das Nationalismus und der Kriegseuphorie erliegt.... Sie provozieren, argumentieren und amüsieren - auch sich selbst".

Zwar dürfen Frauen (in der BRD) wählen, können Mädchen studieren, Chancengleichheit bzw. die Abwesenheit von Sexismus ist noch längst nicht erreicht. Die Einschätzung, das allein die Teilhabe von Frauen an der Wahl andere gesellschaftliche Strukturen bewirken würden, ist sicherlich falsch. Die Erkenntnis von der Notwendigkeit der Solidarität, gerade unter Frauen, der internationalistischen Zusammenarbeit gegen Krieg und Nationalismus ist angesichts der derzeitigen Kriege ganz und gar nicht überholt. Augspurgs und Heymanns Forderungen z.B. zur Prostitution, gegen die Doppelmoral, ihre Utopie einer friedlichen Welt, sind noch längst nicht erfüllt, ihre politischen Methoden erscheinen lebendig und spannend, anregend. Fast genauso aktuell und typisch: Distanzierungen untereinander, Spannungen führen zu politischen Trennungen, kaum Versuche, Bündnisse mit den radikalen sozialistischen oder marxistischen Feministinnen einzugehen. Dogmatismus auf beiden Seiten, der sicherlich der gemeinsamen Sache, nämlich der Befreiung der Frau, nicht gerade förderlich war. Interessant ist diese Biographie gerade durch die Verknüpfung des privaten Lebens, des familiären und gesellschaftlichen Hintergrunds mit dem öffentlichen Leben als politisch engagierte Feministinnen. Studium und politische Agitation, ökologische Landwirtschaft auf dem eigenen Bauernhof, die Forderung nach Ausweisung Hitlers bereits 1923, friedenspolitische Arbeit in den USA nach dem 1. Weltkrieg... Ihr Engagement, ihre Tätigkeit bleibt nicht folgenlos, das Privatvermögen wird in die politische Arbeit gesteckt, bis sie mittellos sind, die Machtergreifung der Nationalsozialisten, auf deren Mordlisten sie stehen, zwingt die beiden ins Exil. Finanziell und moralisch werden sie getragen und unterstützt von politischen Freundinnen. Anita Augsburg und Lida G. Heymann sterben 1943 und können das Ende der Naziherrschaft leider nicht mehr erleben.

Raphaela Kula, Bielefeld





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