ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
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Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Karen Hagemann/Stefanie Schüler-Springorum (Hrsg.), Heimat-Front - Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege (= Geschichte und Geschlechter, Band 35), Campus Verlag, Frankfurt/Main 2002, 300 S., brosch., 45 EUR.

Im Oktober 1999 fand eine internationale Tagung an der Technischen Universität Berlin zum Thema Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege statt Der vorliegende Sammelband "Heimat-Front - Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege" dokumentiert in erweiterter Form die Ergebnisse dieser Tagung. Die Verknüpfung eigenständiger Bereiche der Geschichtswissenschaften, nämlich der Militär- und der Frauen- bzw. Geschlechtergeschichte und die Frage nach ihrer gegenseitigen Bedeutung ermöglicht neue Zugänge und Interpretationen, sowohl in bezug auf die Sichtweise der beiden Weltkriege des 20.Jahrh. als auch auf die Konstruktion der Kategorien von Männlichkeit und Weiblichkeit in der Gesellschaft bzw. die Ausgestaltung der individuellen und gesellschaftlichen Handlungsspielräume der Geschlechter. Es ist notwendig, "von einer Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur, Politik, Militär und Kriegführung gleichermaßen umfassenden "integrativen Gesellschaftsgeschichte" des Zeitalters der Weltkriege zu sprechen" und somit "muss hier selbstverständlich die Geschlechtergeschichte einbezogen werden, denn sie ist heute viel mehr als nur Frauengeschichte." Diese integrative, sich aufeinanderbeziehende Sichtweise, der die Autorinnen der thematisch sehr unterschiedlichen Beiträge des Sammelbandes gerecht werden, stellt einen positiven, bereichernden Ansatz der Geschichtsforschung dar.

Ein wesentliches Ergebnis der Tagung stellt das umfassenderes Verständnis dieser Kriege in Bezug auf die Wechselwirkung zwischen Front und Heimat und der Konstruktion von gender (soziales Geschlecht) dar: Die beiden Weltkriege des 20. Jahrh. müssten als "totale" Kriege begriffen werden, nicht nur in ihrer Dimension sondern auch durch ihre Tendenz zur totalen Mobilisierung und Ideologisierung der gesamten Nation, aller Männer und Frauen der Bevölkerung. Diese komplexe und totale Mobilisierung beeinflusste die tradierte starre Ordnung der Geschlechter. Die Anforderungen des "totalen" Krieges verlangten von den Geschlechtern neue Aufgaben und Fähigkeiten, neue Rollen mussten entworfen und ausgefüllt werden. Der im Ersten Weltkrieg kreierte Begriff der "Heimatfront" verdeutlicht diese Entwicklung. Zum aktiven Kriegseinsatz eingezogene Männer an der Front funktionierten nicht mehr als Ernährer, aber auch nicht mehr als Beschützer der Frauen und Kinder in der Heimat. Die Frauen mussten mehr und mehr die Aufgaben der Männer übernehmen, sie wurden auch in der Kriegswirtschaft tätig, weibliche Freiwillige wurden verstärkt für Tätigkeiten in der Kriegsindustrie geworben und weibliche Etappenhelferinnen sollten Soldaten für den Frontdienst freistellen. "Damit verwischte sich die bisher stets pointiert hervorgehobene, traditionelle Grenze zwischen Militär und Zivil, Soldat und Zivilist, immer mehr, bis schließlich im Zweiten Weltkrieg die Heimat selbst - mit allen dem Begriff eigenen Assoziationen - zum tödlichen Kampfgebiet im Waffenkrieg wurde."

Das andere grundsätzliche Ergebnis der Tagung ist der direkte Zusammenhang von Militär und der Konstruktion von gender. Der Artikel von Ruth Seifert (Professorin für Soziologie an der Fachhochschule Regensburg) "Identität, Militär und Geschlecht" setzt sich mit der identitätspolitischen Bedeutung der kulturellen Konstruktion von gender auseinander, und bietet eine aktuelle und fundierte theoretische Grundlage. Ruth Seifert widerlegt anschaulich die These der angeblich biologisch vorgegebenen unterschiedlichen psychischen und physischen Fähigkeiten von Männern und Frauen, die zu unterschiedlichen Tätigkeiten prädestinieren. Als Erklärungsansatz werden Ergebnisse aus der Professionsforschung herangezogen, Grundlage der Differenz sei nicht die Biologie, die selber gesellschaftlich vermittelt sei. "Weit davon entfernt, irgendwelche natürlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern widerzuspiegeln, bringt die Vergeschlechtlichung von Berufsarbeit jene Unterschiede zwischen Männern und Frauen, die uns ex post als natürlich erschienen, immer neu hervor: gibt ihnen für einen spezifischen Bereich sozialer Realität eine bestimmte Kontur und Wirklichkeit und bestätigt auf diese Weise den Geltungsanspruch eines in unserer Kultur dominanten "Gleichheitstatus", der besagt, das was männlich ist, nicht weiblich sein kann und umgekehrt. Dabei wird fortwährend der Zirkelschluss befördert, dass das Ergebnis (nämlich die geschlechtsspezifische Verteilung von Tätigkeiten) zeige, was als Vorraussetzung schon eingegangen ist."

In diesem Sinne beinhalte die Aufrechterhaltung eines rein männlichen Militärs eine bestimmte Konstruktion von Männlichkeitsvorstellungen, die Einfluss auf die männliche Identitätsbildung und Ausformung eines männlichen sozialen Rollenbildes haben. "Zu ihnen gehören Gewaltausübung, Dominanz, Führungsanspruch und Heterosexualität, aber auch eine besondere Ausprägung nationaler Identifikationen....Auf diese Weise wirkten nationale Armeen in historischer Perspektive konstituierend und unterstützend bei der Etablierung eins bestimmten "Männlichkeitsstereotyps", in dem Männlichkeit, Gewaltausübung und Waffen zusammengehören." Nach Ruth Seifert ist das Militär neben anderen Gewaltinstitutionen in der Gesellschaft eine Schnittstelle zwischen staatlichen Machtstrukturen und der individuellen männlichen Identität. Hier würden geschlechtsspezifische Subjektivität, Identität und Machtstrukturen zwischen den Geschlechtern konstruiert und reproduziert.

Vor diesem soziologischem Hintergrund werden in den folgenden Beiträgen, die sich mit dem Ersten Weltkrieg, der Zwischenkriegszeit, dem Zweitem Weltkrieg und der deutsch-deutschen Nachkriegszeit beschäftigen, Veränderungen in Bezug auf Militär und Geschlechterfrage aus unterschiedlicher Perspektive näher beleuchtet. Der ausgewählte Zeitraum wird als Epoche betrachtet und untersucht. Die Ergebnisse der Forschung weisen sowohl auf Kontinuitäten als auch auf Brüche hin, ebenso wurden Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten dieser Zeit herausgearbeitet, die weitere Fragestellungen anregen.

Bezüglich des Ersten Weltkrieges geht Marcus Funck der Frage nach, "Bereit zum Krieg? - Entwurf und Praxis militärischer Männlichkeit im preußisch-deutschen Offizierskorps vor dem Ersten Weltkrieg". Robert L. Nelson betrachtet "Deutsche Kameraden - Slawische Huren - Geschlechterbilder in den deutschen Feldpostzeitungen des Ersten Weltkrieges". Bianca Schönberger und Belinda J. Davis setzen sich konkret mit den Aufgaben der Frauen auseinander, zum einen geht es um "Mütterliche Heldinnen und abenteuerliche Mädchen - Rotkreuz-Schwestern und Etappenhelferinnen im Ersten Weltkrieg, zum anderen um die "Heimatfront - Ernährung, Politik und Frauenalltag im Ersten Weltkrieg." Eine weitere Dimension beleuchtet Christian Koller, ihm geht es um "Feind - Bilder, Rassen- und Geschlechtsstereotype in der Kolonialtruppendiskussion Deutschlands und Frankreichs, 1914-1923. Deutlich wird, dass ein Spannungsverhältnis zwischen den neuen Anforderungen an Frauen und Männer und dem tradierten Geschlechterbild entsteht, z. B. durch die Rekrutierung von Etappenhelferinnen in unmittelbare Frontnähe. Gestärkt und durchgesetzt werden die tradierten Geschlechtsstereoype, u.a. durch die Legende vom "Dolchstoß der Heimat" in den "Rücken der Front", "aus den einstigen Opfern des Krieges wurden Verantwortliche für die deutsche Niederlage, auch die Hungerproteste der Arbeiterfrauen wurden so denunziert

Im Abschnitt über die Zwischenkriegszeit setzt sich Birte Kundrus mit der "Geschlechterfrage - der Erste Weltkrieg und die Deutung der Geschlechterverhältnisse in der Weimarer Republik" auseinander. Sabine Kienitz beschäftigt sich mit "Körper - Beschädigungen, Kriegsinvalidität und Männlichkeitskonstruktionen in der Weimarer Republik. Stefanie Schüler-Springorum analysiert das "Fliegen und Töten, militärischen Männlichkeit in der deutschen Fliegerliteratur, 1914-1939." Offensichtlich ging in der Zwischenkriegszeit die Auseinandersetzung um den Krieg, der Frage nach schuld und Verantwortung weiter. Es setze sich eine Heroisierung der Kriegserlebnisse des Ersten Weltkrieges durch, parallel dazu wurde in allen Kreisen der Bevölkerung und politischen Lagern ein Männlichkeitsbild populär, dass Männlichkeit mit Kampfbereitschaft, Stärke und Uniform gleichsetzte. Die Frau wirkte als Kameradin nach innen, in die Familie, der Mann nach außen, n die Politik.

Der Abschnitt der Zweite Weltkrieg umfasst folgende Kapitel: Thomas Kühne untersucht "Imaginierte Weiblichkeit und Kriegskameradschaft, Geschlechterverwirrung und Geschlechterordnung 1918-1945". Birgit Beck schaut explizit auf "Vergewaltigungen, Sexualdelikte von Soldaten vor Militärgerichten der deutschen Wehrmacht, 1939-1944." Margarete Dörr und Elizabeth Harvey untersuchen genauer die Rolle und Aufgabe der deutschen Frauen in dieser Zeit. Es geht um "Mittragen - Mitverantworten? Eine Fallstudie zum Hausfrauenalltag im Zweiten Weltkrieg" und um "Erinnern und Verdrängen, deutsche Frauen und der "Volkstumskampf" im besetzten Polen." In diesem mörderischem Vernichtungskrieg wurde die Heimat noch viel stärker zur Front, gleichzeitig wurde durch die NS-Ideologie das Bild der treuen deutschen Mutter gefestigt, so wurden nur ledigen Frauen, bzw. Frauen ohne Kinder gestattet, erwerbstätig zu sein, nur sie wurden zum Kriegsdienst genötigt. Aufschlussreich ist auch die Ahndung von Vergewaltigungen durch deutsche Soldaten, es zeigen sich deutliche Unterschiede in der Besatzungspolitik. An der Westfront sollte der deutsche Soldat die Ehre seiner Truppe nicht beschmutzen, Vergewaltigung wurde bestraft. Im Osten dagegen kamen angesichts des brutalen Vernichtungskrieges nur wenige Sexualdelikte überhaupt zur Anzeige, diese Übergriffe wurden i.d.R. mit der "sexuellen Not" der Soldaten entschuldigt. Die angegriffenen Frauen im Osten wurden eindeutig durch die nationalsozialistischen rassistischen Anschauungen herabgewertet. Die Täterschaft von Frauen im nationalsozialistischen Alltag lässt sich i.d.R. nicht ohne weiteres Feststellen. Den Frauenalltag per se gibt es nicht, allerdings wird deutlich, "dass auch Frauen....die nicht aktiv in das NS-System verstrickt waren,...erhebliche Mitverantwortung für das Funktionieren dieses Systems und die Weiterführung des Krieges trugen, indem sie ihre Wahrnehmung wie ihr sorgen und Wirken auf den engen Familien- und Freundeskreis beschränkten und somit die ‚Heimatfront’ und damit zugleich auch die ‚Kriegsfront’ stabil hielten. Gerade durch ihre bewusste Ausblendung der ‚grossen Politik’ aus dem ‚privatem Alltag’ wurde ihr handeln in diesem Alltag politisch."

Im letzen Kapitel geht es um die unmittelbare deutsch-deutsche Nachkriegszeit. Susanne zur Nieden betrachtet die "Erotische Fraternisierung, der Mythos von der schnellen Kapitulation der deutschen Frauen im Mai 1945, eine neue form der "Dolchstoßlegende". Irene Stoehr und Frank Biess setzen sich explizit mit den Frauen bzw. den Männern im Nachkriegsdeutschland auseinander. "Kriegsbewältigung und Wiederaufbaugemeinschaft, friedensorientierte Frauenpolitik im Nachkriegsdeutschland, 1945-1952" und "Männer des Wiederaufbaus - Wiederaufbau der Männer, Kriegsheimkehrer in Ost- und westdeutschland, 1945 - 1955" sind ihre Themen. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass vor allem im Westen der Mythos vom Front-Kämpfer gepflegt wurde und wird, was zu einer Idealisierung der Wehrmacht führte. Deren Beteiligung an den Verbrechen des NS-Regimes wurde lange öffentlich geleugnet, deutlich sichtbar an den massiven Widerständen gegen die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht".

Abgerundet wird dieser aufschlussreiche und anregende Sammelband durch eine Auswahlbibliographie zum 19. und 20. Jahrhundert zum Thema "Militär, Krieg und Geschlechterverhältnisse".

Raphaela Kula, Bielefeld


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