ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hrsg.), Museale und mediale Präsentationen in KZ-Gedenkstätten (= Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Heft 6), Edition Temmen, Bremen 2002, 200 S., kart., 10,90 EUR.

Die Arbeit der zahlreichen großen und kleinen KZ-Gedenkstätten in Deutschland gedeiht oft im Verborgenen. Trotz einschlägiger Publikationen und Internetpräsentationen (Fn1) sind die Stätten, die inzwischen eine vielfältige Erinnerungslandschaft ausmachen, nur in einigen Fällen über den unmittelbaren, lokalen Rahmen hinaus bekannt. Noch weniger weiß man über die methodischen und theoretischen Grundlagen der oft unter schwierigen finanziellen, personellen und fachlichen Bedingungen geleisteten Arbeit. Während die politische Bedeutung der Stätten inzwischen weitgehend unumstritten ist und nach der Vereinigung und mit dem zeitlichen Abstand zur Geschichte von Verfolgung, Terror und Mord im NS keineswegs abnimmt, sondern im Gegenteil weiter im Vordergrund steht, wird die inhaltliche Arbeit in der Regel wenig wahrgenommen.

Hier will der vorliegende Band Abhilfe schaffen. Neun Beiträge im Hauptteil werden ergänzt durch Dokumentationen, durch Meldungen aus den Gedenkstätten, Verfolgtenverbänden und Gedenkstätteninitiativen, zu neuen Projekten und Forschungen, aus den Archiven und durch Berichte von Tagungen. Mit 199 Seiten -und stellt man die Augenpulvergröße des Schriftbildes in Rechnung- eigentlich noch etliche mehr- ist ein gewichtiger Band entstanden, abgerundet durch Buchbesprechungen und CD-Rom Rezensionen. Englischsprachige Zusammenfassungen fehlen ebenso wenig wie eine abschließende Literaturliste zu Neuerscheinungen zur Geschichte des Nationalsozialismus in Norddeutschland. Das macht den Anspruch des Bandes deutlich, über den unmittelbaren Bereich der norddeutschen Gedenkstätten hinaus zu wirken.

Unmittelbarer Anlass für das 2001 erschienene Heft war die nach der Wende entstandene Notwendigkeit, den so unterschiedlichen Umgang mit der NS-Vergangenheit in den beiden deutschen Staaten nach der Wende neu zu definieren. Diese Arbeit, der sich die Gedenkstätten in den letzten 10 Jahren gestellt haben und in der sie zu ersten Ergebnissen gekommen sind, galt es zu bilanzieren. Die Autoren und Beispiele kommen aus den unterschiedlichsten Einrichtungen in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Thüringen und vertreten auch kleine und weniger bekannte Stätten wie die Emslandlager oder Moringen. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt –dem Zuschnitt der unter Federführung der Gedenkstätte Neuengamme seit 1994 im Jahresrhythmus herausgegebenen Zeitschrift entsprechend – auf Norddeutschland.

Olaf Mussmann führt in die Thematik ein und schlägt in seinem Beitrag "Die Gestaltung von Gedenkstätten im historischen Wandel" einen weiten Bogen. Er beginnt mit der unmittelbaren Nachkriegszeit und dem Widerstreit zwischen pragmatischer Weiternutzung der Areale der ehemaligen Lager und Demontage bzw. Verfallenlassen der Anlagen und der damit verbundenen Absicht zu verdrängen einerseits und dem Interesse einiger weniger (meistens der Überlebenden und ihrer Verbände), der Toten zu gedenken andererseits. Seine Darstellung endet mit der Zeit nach der Vereinigung und der damit notwendig gewordenen Neubestimmung des Stellenwerts der Stätten in einer neu auszuformulierenden Geschichts- und Gedenkpolitik. In seiner kenntnisreichen Analyse verknüpft er Aspekte architektonischer und landschaftsplanerischer Gestaltung der Gedenkstätten mit den davon ausgehenden Wirkungen sowie inhaltlich-gedenkpolitischen Aussagen. Er bezieht auch die Intentionen der verschiedenen Interessengruppen aus der Politik, den Überlebendenverbänden, der interessierten Öffentlichkeit und dem Fachpublikum mit ein. Die Entwicklungsgeschichte der Gedenkstätten im Osten und Westen Deutschlands bindet er in die jeweiligen zeittypischen Systeme der Erinnerungspolitik ein und macht so deren jeweiligen Konstruktionscharakter deutlich.

Neben der gelungenen Analyse liefert der Beitrag auch viele konkrete Details aus der Geschichte der Gedenkstätten. Mit seiner Beschreibung der Entwicklung von "elysischen Landschaften" über Denkmale und Monumente bis hin zur Gestaltung von Freilichtmuseen und schließlich zur Schaffung zeithistorischer Museen bewegt sich der Beitrag dabei durchaus im Rahmen der bei Fachleuten inzwischen allgemein akzeptierten Interpretationsschemata. Die inhaltliche Arbeit entwickelte sich demnach vom Totengedenken und der ideologischen Konkurrenz und Sinnstiftung im Kalten Krieg, der es fatalerweise oft gelang, das Vergangene weitgehend auszublenden und mit Ritualen und Inszenierungen zu überdecken, hin zu historischer Information über konkrete Ereignisse, dargestellt auf der Basis wissenschaftlicher Forschungen zur NS-Vergangenheit. Die zum Schluss aufgestellte Prognose, dass die "Gedenkstättenmuseen" demnächst in der Absicht, die Präsentationen vielfältiger zu machen und auch Widersprüche zu integrieren, sowohl die Besonderheiten der verschiedenen Häftlingsgruppen als auch der internationalen Häftlingsgesellschaft vermehrt in dem Blick nehmen würden, ist längst – wie ja auch der Beitrag von Thomas Rahe deutlich macht- bestätigt worden. Schade ist, dass der Beitrag die neueren Entwicklungen in den "großen" Gedenkstätten ( Buchenwald und Sachsenhausen, neuerdings auch Dachau) ausklammert. Wenn diese natürlich auch nicht in Norddeutschland liegen, hätte deren Arbeit doch in den Rahmen der Interpretation einbezogen werden müssen. Ähnliches gilt für eine bemerkenswerte Veränderung in der Finanzierung der Gedenkstätten. Im Rahmen der nach der Vereinigung notwendig gewordenen Neuorganisation der Gedenkstättenlandschaft ist die finanzielle Förderung seit 1999 auf ein ganz neues Fundament gestellt und die Beteiligung des Bundes fixiert worden.(Fn_2) Auch der Bezug auf die im Entstehen begriffenen bzw. bereits arbeitenden neueren Einrichtungen wie das Denkmal für die ermordeten Juden Europas und die Topographie des Terrors in Berlin oder das Dokumentationszentrum in Nürnberg, welche die Erinnerungslandschaft noch einmal verändern bzw. Ausdruck einer wiederum neu formulierten Gedenkpolitik sind, fehlt bei der Analyse.

Thomas Rahe, der Leiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen, konzentriert sich in seinem Beitrag in Ergänzung zu der vorhergehenden, verbindenden Darstellung auf ein grundlegendes inhaltliches Paradigma, das die Arbeit der Gedenkstätten in den letzten 15 Jahren bestimmte: die "Opferperspektive" als Kategorie der Gedenkstättenarbeit.

Bei der Erarbeitung der an sozialhistorischen Standards orientierten historischen Präsentationen der jüngsten Zeit können die Einrichtungen selten auf einen spezifischen Forschungsstand zurückgreifen: er existiert oft noch nicht. Die Lücken müssen in der Arbeit vor Ort ausgeglichen und in lokalen Studien geschlossen werden. Nicht selten wird dabei methodisches Neuland betreten: So haben viele Gedenkstätten sehr früh eine auf die Perspektive der Opfer gegründete "Personalisierung" zum Ausgangspunkt ihrer Präsentationen gemacht. Hier hat sich - wie Rahes Beitrag im vorliegenden Band eindrucksvoll bestätigt - inzwischen eine beträchtliche Kompetenz angehäuft, ohne dass das je explizit thematisiert worden wäre. Die vorliegende Zusammenfassung und Analyse ist also lange überfällig.

Indem er die Entstehung dieses Arbeitsansatzes nachzeichnet und auf problematische Implikationen wie z.B. die Funktionalisierung in pädagogisierender Absicht oder die ausschließlich emotionale Identifikation mit den Opfern als Ersatz für eine intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus hinweist, liefert Rahe auch einen Beitrag zur Historiographie der Gedenkstättenarbeit, den er mit einem gerüttelten Maß an Selbstkritik verbindet und der ihm so nicht zur apologetischen Erfolgsgeschichte gerät. Zielgenau und problembewusst verweist er auf die Notwendigkeit einer Kontextualisierung, die auf der genauen Kenntnis des jeweiligen - oft noch unpublizierten - Forschungsstandes beruht und neben Selbstzeugnissen der Opfer und Überlebenden selbstverständlich alle zugänglichen Quellen mit einbeziehen muss. Deutlich wird, dass die "Opferperspektive" nicht einfach an die Stelle der Frage nach den Tätern tritt, sondern diese Frage modifiziert: Sie verändert die Perspektive der Betrachtung, indem sie nach der Beziehung zwischen Opfern und Tätern und deren Vorgeschichte fragt. Aus der "Opferperspektive" wurde so im Laufe der Arbeit eine personalisierte Darstellung vergangener Wirklichkeit. Lt. Rahe sind Gedenkstätten für die Realisierung dieser Darstellungsform besonders prädestiniert, da sie ausgehend von ihrem ursprünglichen Auftrag, die Erinnerung an die Opfer wach zu halten, über sehr spezifische Materialsammlungen verfügen, in denen sich Text- und Bilddokumente zu einzelnen Lebensgeschichten ergänzen lassen und die Realisierung der Kontextualisierung und damit eine kritische personalisierte Darstellung der NS-Verfolgungsgeschichte jenseits objektivistischer und anonymer Strukturen ermöglichen. So werde es gleichzeitig möglich, die jeweilige Lagergeschichte über den lokalen und unmittelbar zeitlichen Bezug hinaus, auf die Zeit vor und ggf. nach der Verfolgung auszudehnen und z.B. die Lebenswelten der Inhaftierten aus ganz Europa einzubeziehen. Die in den Gedenkstätten vorhandenen Text- und Bildmaterialien erlaubten es zudem, das Innenleben der Lager, die Häftlingsgesellschaft und die sog. Lagerhierarchie differenziert darzustellen. Insbesondere der Einbezug von Selbstzeugnissen stelle eine Form der Annäherung an die nationalsozialistische Verfolgungsgeschichte dar, die den Quellen aus der Perspektive der Täter, die mit ihrem spezifischen Sprachduktus und Euphemismen zu einer Entwirklichung durch Abstraktion führten, direkt entgegengestellt werden könne. Lt. Rahe ergibt sich so geradezu eine historiographische Notwendigkeit, Selbstzeugnisse in die Arbeit einzubeziehen, denn "erst durch sie ist es möglich, die Geschichte der Konzentrationslager in der angemessenen thematischen Breite und Differenziertheit wahrzunehmen und darzustellen". Dabei müssten jedoch die "Proportionen" gewahrt werden: Die Darstellungen dürften nicht implizit zu Überlebensgeschichten werden, die das Schicksal rassisch Verfolgter unbewusst in eine Geschichte mit Happy End umschrieben. Eine Überbetonung der Opferperspektive könne zudem in der Wahrnehmung der BesucherInnen zu einer Fortschreibung der Stigmatisierung der Verfolgten als hilflose Objekte führen. Wer nie als Handelnder, sondern immer nur als Misshandelter dargestellt werde, dem werde kein Respekt entgegengebracht, die Opferperspektive gerate zur Reduktion. Dazu gehöre auch, Überlebenden zu "Zeugen" und "Zeuginnen", zum "eingeborenen Gewährsmann" der Historiker und damit erneut zum Objekt, zum Objekt der Forschung zu machen. An dieser Stelle bleibt - bei aller Zustimmung - auf eine Schwäche des Aufsatzes hinzuweisen: Der Begriff der "Opferperspektive" ist unbefriedigend, beinhaltet er doch die eben noch kritisierte Reduktion und schreibt sie fest, auch wenn er durchgängig in Anführungszeichen gesetzt ist. Weniger kurze und prägnante Beschreibungen in mehreren Worten, etwa: Perspektive der Verfolgten und Ermordeten, oder die konkretere Benennung der einzelnen Gruppen wie Zeugen Jehovas, Homosexuelle, politische Gegner, Patrioten und Widerstand Leistende in den besetzten europäischen Ländern etc. wäre wahrscheinlich hilfreicher gewesen.

Wie Mussmann beschreibt Rahe Gedenkstättenarbeit, ausgehend von den Selbstzeugnissen, die quellenkritisch und nicht als sakrosankte Offenbarungen wahrgenommen werden müssten, als schwierige Gratwanderung. In der Anlage des Gesamtheftes ergänzen sich die beiden Artikel: Neben der Beschreibung der eher nach außen gerichteten Wirkungsgeschichte steht die Historiographie der inhaltlichen Arbeit.

Die beiden anschließenden Aufsätze über die KZ-Gedenkstätten Neuengamme in Hamburg und Ravensbrück bei Fürstenberg in Brandenburg von ihren Leitern Detlef Garbe bzw. Sigrid Jakobeit verfasst, belegen die vorgetragene These von der Überzeugungskraft konkreter historischer Darstellungen sehr eindringlich: Blieb die gedenkpolitische und historiografische Darstellung doch noch eher allgemein, zeigen die Beispiele sehr eindringlich, zu welchen Absurditäten und Verdrehungen Gedenkpolitik bzw. ihre Vermeidung sowohl in der BRD als auch in der DDR führen konnte. Verdrängungen waren quer durch alle politischen Lager Gang und Gäbe: der Zusammenhang zwischen Industriebetrieben und NS-Verfolgung einerseits oder die große Abhängigkeit von der Besatzungsmacht und ihrer Politik bei der Einrichtung der Nationalen Mahn- und Gedenkstätten in der DDR andererseits seien exemplarisch genannt. So gelingt es den Verantwortlichen in Hamburg 1947, den Abriss bzw. die Umnutzung der erhaltenen KZ-Gebäude von Neuengamme als Gefängnis mit der Hoffnung zu verknüpfen, hier "eine Anstalt der Menschlichkeit und des modernen Strafvollzugs von Weltruf" schaffen zu wollen, gerade weil an der Stelle vorher ein KZ gewesen sei. In der wohltuend lakonischen und daher um so eindringlicheren Beschreibung gelingt es Detlef Garbe, die allgegenwärtige Funktionalisierung des Gedenkens bzw. seiner Verdrängung, insbesondere wenn renommierte Hamburger Firmen (und Arbeitgeber) in die Verbrechen von Verfolgung und Zwangsarbeit verstrickt waren, plastisch werden zu lassen. Das reicht vom Verschweigen der über 80 Außenlagernamen bzw. der absichtsvollen Bezeichnung der Orte mit topografischen Namen ("Steinwerder") statt der aktenkundigen und im NS gebräuchlichen Bezeichnung nach den Firmen, für die die Häftlinge hier Zwangsarbeit leisten mussten ( Blohm & Voss), bis hin zur Weiterfunktion des elektrisch geladenen Stacheldrahtes des KZ für das Gefängnis bis 1951. Ähnliches gilt für die Weiternutzung des Geländes in Ravensbrück durch die Rote Armee und seine Unzugänglichkeit z.B. auch für überlebende ehemalige Häftlingsfrauen. Die Konkretisierung in beiden Darstellungen untermauert die beiden vorangegangenen Artikel: An beiden Orten musste die Erinnerung an die Vergangenheit durch die Überlebenden wach gehalten werden, lange blieben diese allein auf weiter Flur. Die Würdelosigkeit der ersten Gedenkformen ging einher mit dem Mangel bzw. dem absichtsvollen Weglassen von Informationen über das Geschehen und die Verbrechen. In diesen Einzelheiten erschließen sich die Dimensionen der Verbrechen aber auch ihrer Verdrängung bzw. die Ambivalenzen der Gedenkpolitik und vor allem die daraus für die Arbeit der Gedenkstätten entstehenden, bis heute andauernden Schwierigkeiten.

Insgesamt bietet der Band eine gelungene Einführung in die Gedenkstättenlandschaft des vereinten Deutschland, ihre Entwicklung und ihre Potentiale, aber auch in ihre immer noch gravierenden Probleme, die über Norddeutschland hinausgehen. Schade, dass durch die weitgehend ehrenamtlich zu leistende Redaktionsarbeit Fußnoten etc. nicht immer dem zum Zeitpunkt des Erscheinens aktuellen Stand entsprechen bzw. die Betrachtung manchmal zu sehr auf Norddeutschland beschränkt blieb, und neuere Entwicklungen in anderen Landesteilen, die die analytischen Aussagen hätten bestätigen können, nicht in den Blick geraten sind.

Eva Brücker, Berlin




Fußnoten:

1 Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus, Bonn , Band I 1995 und Band II 1999; Gedenkstättenübersicht der Stiftung Topografie des Terors: www.topographie.de (èGedenkstättenforum; èGedenkstättenübersicht)

2 Deutscher Bundestag; 14. Wahlperiode, Drucksache 14/1569 (27.7.99): Konzeption der künftigen Gedenkstättenförderung des Bundes und Bericht der Bundesregierung über die Beteiligung des Bundes an Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland. Federführend bei der Entwicklung war das Haus der Bundesbeauftragten für die Kultur und die Medien. Vgl. auch: Knut Nervermann: Holocaust-Mahnmal und Gedenkstätten als Kristallisationspunkte für die Erinnerungskultur in Deutschland. In: Stiftung Topographie des Terrors (Hg.): Gedenkstättenrundbrief Nr. 96, 8/2000, S.3-10.


DEKORATION

©Friedrich Ebert Stiftung | Webmaster | technical support | net edition ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE | März 2003