ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Sigrid Stöckel (Hrsg.), Die "rechte Nation" und ihr Verleger. Politik und Popularisierung im J.F. Lehmanns Verlag 1890 – 1979, Lehmanns Media, Berlin 2002, 328 S., geb., 24,95 EUR.

Heute wird der Name Julius Friedrich Lehmann mit der Propagierung rassenhygienisch-nationalistischer Ideologien assoziiert. So eindeutig dieser erfolgreiche medizinische Verleger aus der Weimarer Republik als ein "Wegbereiter des Rassenwahns" wahrgenommen wird, ist seine Tätigkeit als Verlagsleiter unter dem Gesichtspunkt seines politischen Aktionismus noch wenig untersucht worden. Lehmanns politische und verlegerische Tätigkeit verflochten sich zu einem Ganzen, das anhand des von Gary Stark benannten Phänomens "Unternehmertum und Ideologie" beschrieben werden könnte.

Unter der Leitung von Sigrid Stöckel (Abteilung Medizingeschichte, Ethik und Theoriebildung der medizinischen Hochschule Hannover) widmete sich auf Veranlassung der heutigen Besitzer der "J.F. Lehmanns medizinische Fachbuchhandlung" eine Reihe von Autoren dieser Aufgabe. Nachdem der Lehmanns Verlag nach dem Krieg aufgelöst worden war, ging er an die Verlagsgruppe Urban & Schwarzenberg, wo er in "Rothacker" umbenannt und schließlich an den Deutschen Ärzte-Verlag veräußert wurde, dessen Geschäftsführer auf den alten Namen zurückgriffen. Damit lösten sie eine Polemik aus, die in der Presse ausgetragen wurde und sie letztlich veranlasste, eine wissenschaftliche Untersuchung über die Rolle des J.F. Lehmanns Verlags zu fördern. Somit strebten sie als Reaktion auf die Kritiken eine Klärung der Vergangenheit an, um gleichzeitig ihre Distanz zu Julius Friedrich Lehmann darzulegen. Diesem Ziel und der Archivlage entsprechend – die durch das Fehlen eines eigenen Firmenarchivs gekennzeichnet wird – dokumentieren die gesammelten Aufsätze weniger die Unternehmensgeschichte des Verlags als vielmehr – wie Sigrid Ströckel in ihrer Einleitung betont – "eine Geschichte der Unternehmungen ihres Gründers und seiner Nachfolger", wobei versucht wird, über die politischen Aktivitäten J. F. Lehmanns so umfassend wie möglich zu informieren und seine Bedeutung innerhalb des Diskurses der Rechten während der Weimarer Republik einzuschätzen. Zusätzlich erlaubt eine CD-Rom, sich einen Überblick über die Autoren, Publikationen des Verlages sowie Herausgeber der Zeitschriften von 1890 bis 1945 zu verschaffen.

Den Autoren gelingt es, eine Vielzahl von wichtigen Aspekten aufzudecken. Einleitend skizziert Mario Heidler die Biographie J. F. Lehmanns, deren Bedeutung für die Verlagsgeschichte nicht zu übersehen ist – jene ist schließlich nicht von einer Familiengeschichte zu trennen, die den Hintergrund bildete, vor dem Lehmann agierte. Auf Anregung seines Cousins Bernhard Spatz übernahm Lehmann 1890 die Münchner medizinische Wochenschrift und gründete zur Absicherung des Unternehmens eine medizinische Fachbuchhandlung, die er an einen weiteren Cousin abgab. Bis in die Nachkriegszeit hinein, als es Otto Spatz – dem Schwiegersohn Lehmanns – 1950 gelang, eine Verlagslizenz zu erhalten, blieb der Verlag ein Familienunternehmen, das sich kontinuierlich in die Tradition des Gründungsvaters stellte. Lehmanns Biographie liefert auch wichtige Schlüssel zu seinem frühen Engagement. Als Auslandsdeutsche – Lehmann wurde 1864 als Kind von Revolutionsflüchtingen in Zürich geboren – engagierte er sich früh im Verein für Deutschtum im Ausland und nahm an der Los-von-Rom-Bewegung teil. Der Krieg und die Demütigung des Versailler-Vertrages ließen bald sein nationales Engagement zu einem realen Aktionismus zugunsten der extremen Rechten werden. Nach Kriegsende unterstützte Lehmann die konterrevolutionären Bestrebungen in München, kämpfte bald in einem Freikorps und verkehrte mit Nationalsozialisten.

Nach dieser politischen Biographie widmet sich Susanne Hahn dem Fachmann und seinen Verdiensten als medizinischer Verleger. Sie zählt die Gründe auf, die trotz starker sehr früh Konkurrenz zum Erfolg des Verlags führten und ordnet ihn so in der Entwicklung des expandierenden Medizinmarkts ein. Sowohl die Schaffung von erschwinglichen Reihen, die Themenorientierung an den Erfordernissen der Zeit, die Auswahl von renommierten Autoren als auch die Qualität bzw. Technik der Bücher und Abbildungen erwiesen sich als richtungsweisend, so dass der Verlag bereits um die Jahrhundertwende seine etablierte Position rühmen konnte. Besonders erfolgreich waren die Handatlanten, die bis dahin international konkurrenzlos blieben.

Mario Heidler untersucht die zahlreichen Zeitschriften bis 1945, die im Verlag das politische Medium "par excellence" bildeten. So sehr sich Lehmann in den politischen Debatten engagierte, so stützte er sich auf Zeitschriften, um Einfluss auf die Meinungsbildung auszuüben. So versuchte er zuerst sein nationales Engagement zu propagieren und gründete während des Ersten Weltkriegs die Zeitschrift Deutschlands Erneuerung, die als eine politische Kampschrift konzipiert war. Deren wichtige Artikel verbreitete er parallel als Flugschriften. Auch später führte sein Engagement in rassenhygienischen Fragen zu Zeitschriftengründungen und Übernahmen. Jene Zeitschriften erfuhren erst nach 1933 stärkere Auflagen, die ihre Existenz endlich sicherten.

In der frühen Weimarer Republik versuchte Lehmann sein nationales Engagement nicht nur anhand von Zeitschriften zu verbreiten, sondern er instrumentalisierte auch die Weltkriegserinnerung für die politische Diskussion in der Weimarer Republik. Bei dieser Instrumentalisierung unterscheidet Patrick Krassnitzel verschiedene Phasen, die von Behandlungen über die Kriegsereignisse über ein antirepublikanisches Schrifttum zu völkischen Aufbauschriften hineinreichen.

Ernst Willi Hansen behandelt ein bisher völlig unbeachteten Aspekt der Verlagsproduktion. Durch die Veröffentlichung von wehrwissenschaftlichen Schriften machte Lehmann seine Forderung nach nationaler Aufrüstung deutlich, jener Verlagszweig zeigte aber auch eine Faszination für Innovation in der Wehrtechnik, die ein hohes wissenschaftliches Niveau in Anspruch nahm.

Paul Weindling setzt sich mit dem Verhältnis Lehmanns zur Rassenhygiene auseinander. Während des dritten Reichs ließ er Taschenbücher über offizielle Gesetze wie über die Sterilisierung oder den Schutz des deutschen Blutes veröffentlichen. Sodann geht er auf die Einflussnahme Lehmanns auf rassenhygienische Fragestellungen ein. Lehmann gelang es, eine Vielzahl von Lesern zu erreichen, indem er für eine Verknüpfung des akademischen mit einem rassischen Nationalismus sorgte, der stark von seinen Idealen über eine nordische Rasse gefärbt wurde. So setzte Lehmann laut Weindling dem liberalen und in linken Kreise gepflegten Eugenismus ein Ende.

Der politische Aktionismus Lehmanns zugunsten der extremen Rechten zeigt sich am besten durch sein publizistisches Eingreifen gegen die Fememordprozesse. Christine Kirschstein dokumentiert dies anhand der Veröffentlichung "gefesselte Justiz". Nicht genug damit, die angeklagten Offiziere durch Rechtsanwälte zu unterstützen, versuchte Lehmann mit diesem Band, den Vorwurf eines Justizskandals so in Szene zu setzen, um damit letztendlich das Verfahren zum Scheitern zu bringen.

Zuletzt wird die Entwicklung des Verlags nach dem Tod Lehmanns im Jahre 1935 untersucht. Während des Dritten Reiches erfolgte kein Kurswechsel, der Verlag blieb zum größten Teil politisch, auch wenn kaum mehr Schriften publiziert wurden, die für das Dritte Reich wegbereitend waren. Anhand der von 1933 bis 1944 herausgegebenen Publikationen sind Brigitte Lohff und Roman Warwas bemüht, den Anteil bzw. die Bedeutung der politischen Veröffentlichungen je nach Verlagszweig zu ermitteln. Somit wird der Frage nachgegangen, inwieweit der Verlag von den Machtverhältnissen profitieren konnte. Diese Problematik vertiefend möchte Brigitte Lohff die verlegerische Tätigkeit Lehmanns im Rahmen des völkischen Verlagswesens einordnen. "Haben wir es – fragt sie - beim J.F. Lehmanns Verlag mit einem Verlag zu tun, der gezielt an der Vorbereitung des NS-Staates beteiligt war?" Vom Engagement Lehmanns für die Los-von-Rom-Bewegung ausgehend sieht sie im Unternehmen Lehmanns eine Umdeutung seines lutheranischen Engagement für das völkische Ziel. So betont sie die für Lehmann charakteristische Verknüpfung von Protestantismus und völkischem Nationalismus.

Der letzte Aufsatz von Sigrid Stöckel geht der Frage nach der Kontinuität des Verlags im Kontext der Nachkriegszeit nach, als es Otto Spatz gelang, ihn 1950 erneut zu eröffnen. Auch wenn Spatz dasselbe ungebrochene Nationalbewußtsein wie Lehmann zu pflegen geneigt war, kann sein medienpolitischer Stil nicht mit dem Lehmanns verglichen werden.

Mit diesem Band wird die Rolle Lehmanns als Wissenschaftsunternehmer zum ersten Mal umfangreich ausgeführt. Die Darstellung verdient sicherlich große Beachtung, da sie zum besseren Verständnis von Wissenschaftsideologie und -Unternehmertum, die den Aufstieg des Nationalsozialismus begleiteten, beiträgt.

Anne Cottebrune, Heidelberg


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