Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online
Heleno Saña, Die libertäre Revolution. Die Anarchisten im spanischen Bürgerkrieg, Edition Nautilus, Hamburg 2001, 317 S., kart., 20,80 EUR.
In den letzten Jahren ist verstärkt in den Blick gerückt, dass der spanische Bürgerkrieg nicht einfach nur ein Kampf zwischen "der" Republik und "dem" Faschismus war. Er stellte, wie das der britische, durchaus konservative Historiker Hugh Thomas einmal nannte, einen "Krieg der zwei Konterrevolutionen" dar. Die republikanische Zone war von einem tiefen Graben durchgezogen. Auf der einen Seite standen die Kräfte, die am 19. Juli die Niederschlagung des Militärputschs in weiten Teilen des Landes zu einer sozialen Revolution weitergetrieben hatten: Anarchisten, linke Sozialisten, oppositionelle Kommunisten der POUM, und auf der anderen Seite eine denkwürdige Koalition von KP, rechten Sozialisten und bürgerlichen Republikanern und Autonomisten (aus dem Baskenland und Katalonien), die aus unterschiedlichen Gründen die revolutionäre Entwicklung bekämpften. (Sie wiesen allerdings auch bald Überläufer aus dem linken Lager auf.)
Dass dies nun wieder in den Blickwinkel gerückt ist, liegt zum einen an dem Anstoß, der von Enthüllungen nach der Öffnung der sowjetischen Archive nach 1991 ausging. Darin wurden die sowjetischen Einflussnahmen umfassend dokumentiert. Für ein breiteres Publikum war es dann vor allem der Film des britischen Filmemachers Ken Loach "Land and Freedom", der das Schicksal eines britischen Freiwilligen vor dem Hintergrund des Kampfs und der Verfolgung der POUM durch die pro-sowjetischen Kommunisten darstellte. Aber ebenso ist dieser grundlegende Konflikt an der Erfahrung der viel einflussreicheren anarchistischen Bewegung festzumachen.
Der seit langem in Deutschland lebende, hier auch durch seine kritischen Veröffentlichungen über unser Land und seine Bewohner (neben zahlreichen spanischen Büchern zu historischen und politischen Fragen) bekannt gewordene Publizist Heleno Saña ist zwar Jahrgang 1930. Sein Vater war jedoch ein wichtiges Mitglied in der anarchistischen Bewegung während des Bürgerkrieges, und so hat er, auch durch seine eigenen späteren Aktivitäten, einen direkten und unmittelbaren Zugang zum spanischen Anarchismus. Die Periode des Bürgerkriegs stellte zweifellos dessen Höhepunkt dar und leitete, durch die militärische Niederlage, den nicht mehr rückgängig zu machenden Niedergang ein.
Hier hat Saña nun eine Darstellung dieser drei entscheidenden Jahre einer "libertären Revolution" vorgelegt. Während die Entwicklung in der Franco-Zone in dem Buch ganz ausgeblendet und auch keine Militärgeschichte des Bürgerkrieges gegeben wird, steht für das republikanische Lager eben ganz die Rolle der Anarchisten und der Prozess der sozialen Revolution im Vordergrund. In diesem Sinne geht es also nach kurzem Überblick über die Vorgeschichte wobei er, das sei kritisch angemerkt, das komplizierte Problem, warum es überhaupt in Spanien zu einer anarchistischen Massenbewegung kam, doch sehr vereinfachend auf das Erklärungsmuster "Völkerpsychologie" reduziert zunächst um die Ereignisse am 19. Juli 1936, die zur Niederschlagung des Militärputsches in einer Reihe von städtischen Zentren führten. Ausführlich werden dann die neue revolutionäre Macht, die Komitees und die Milizen, dargestellt: wie sich die CNT (mit der ihr verbündeten FAI) bei deren Entstehung verhielt, bis sie sie zugunsten einer überraschenden anarchistischen Regierungsbeteiligung aufgab, und wie es, von den Kommunisten getragen, zu einer Konterrevolution in der Republik kam, die im Endeffekt den Sieg der faschistischen Konterrevolution gegen die gesamte Republik begünstigte.
In seiner Einleitung hatte der Autor ausdrücklich betont, es handele sich nicht um ein "objektives oder gar neutrales" Buch. Das ist zweifellos richtig und ehrlich gemeint. Seine Sympathien sind mehr als deutlich. Dabei spart er durchaus nicht mit Kritik an den Erscheinungsformen des anarchistischen Niedergangs: die sehr schnell deutlich gemachte Bereitschaft zu ständig weitergehenden Zugeständnissen, die Bürokratisierung der Bewegung, anmaßende Tendenzen bei Einzelnen, wachsende Preisgabe der anarchistischen Prinzipien. Warum es dazu kam, wird jedoch nicht deutlich: Einerseits spricht er von dem Dilemma, vor dem die CNT bei Beginn der Revolution gestanden habe, entweder die Macht zu ergreifen oder ein "breites antifaschistisches" Bündnis einzugehen, wobei sie sich dann für letzteres entschied. Andererseits schreibt er, die CNT habe mehr dazu geneigt, ihre Macht zu beschränken als ihre Ziele durchzusetzen. Doch das eine hing nun mal von dem anderen ab.
Saña macht sich keine Illusionen darüber, dass der "klassische Anarchismus", die "klassische Arbeiterbewegung" weitgehend zerfallen sind. Allerdings sind viele der Grundsätze, die die spanischen Anarchisten bewegten, etwa die direkte Aktion und die direkte Demokratie, noch immer in den verschiedensten politischen und soziale Bewegungen aktuell. Und dies ganz unabhängig von einer Berufung auf das "ideologische Erbe" des Anarchismus. Er verweist auf die 68er mit ihrem antiautoritären Anspruch und, direkt gegenwartsbezogen, auf die globalisierungskritischen Mobilisierungen.
Dieses Buch beruht im wesentlichen auf der Auswertung einer umfangreichen Sekundärliteratur, verarbeitet aber ebenso die eigenen Erfahrungen des Autors. Als Überblick in deutscher Sprache hat es Wert, da einige ältere, außerdem nicht so ausführliche Darstellungen nicht mehr lieferbar sind. (Ärgerlich ist allerdings, dass ein Personenregister wie ein Literaturverzeichnis fehlen.) Aber wer sich intensiver mit dem Thema beschäftigen will, ist entweder auf die klassischen Gesamtdarstellungen des Bürgerkriegs neben Hugh Thomas z. B. Broué/Témime verwiesen, die direkt aus den zeitgenössischen Quellen schöpften, oder, speziell zur CNT, auf die dreibändige Darstellung von José Peirats. Ursprünglich in den fünfziger Jahren verfasst und mehrfach auf Spanisch veröffentlicht, erscheint sie jetzt aber auch in einer von dem Historiker Chris Ealham vorbildlich kommentierten und ergänzten englischen Übersetzung.
Reiner Tosstorff, Frankfurt am Main