ARCHIV FÜR SOZIALGESCHICHTE
DEKORATION

Rezensionen aus dem Archiv für Sozialgeschichte online

Pilar Ortuño Anaya, European Socialists and Spain. The Transition to Democracy 1959-1977, Palgrave, London 2002, 258 S., geb., 47,50 £.

Die "transición", Spaniens Übergang von einer Diktatur zur Demokratie, ist seit Jahren Thema von wissenschaftlichen Untersuchungen. Viele erhoffen sich daraus Erkenntnisse, wie auch in anderen Ländern ein Systemwechsel rasch, friedlich und wirtschaftlich erfolgreich gestaltet werden könnte. In aller Regel wird dabei auf die internen Faktoren, die Spanien zu einem positiven Modellfall werden ließen, abgehoben.

Pilar Ortuño Anaya konzentriert sich hingegen in ihrer Oxforder Doktorarbeit auf die Unterstützung der spanischen Sozialisten durch ihre europäischen Genossen. Für die Autorin ist dies ein Teilaspekt der internationalen Einflüsse, die aus ihrer Sicht – neben allen internen Gründen – ebenfalls die "transición" vorbereiten halfen. Ortuños zentrale These ist, dass die Hilfe ausländischer sozialistischer Organisationen (Parteien und Gewerkschaften) bedeutsam war für die Konsolidierung ihrer spanischen Partner PSOE und UGT als wichtiger Kräfte der Opposition bereits unter der Franco-Diktatur.

Untersucht werden die Aktivitäten der Sozialistischen Internationale (SI), des Internationalen Bundes Freier Gewerkschaften (IBFG) sowie der britischen, der französischen und der deutschen Mitgliedsorganisationen beider Dachverbände. Das Jahr 1959 wurde von Ortuño als Beginn gewählt, weil damals die Abwendung der Franco-Diktatur von wirtschaftlicher Autarkie und die Hinwendung zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu greifen begann. Mit der ersten demokratischen Wahl im Jahr 1977 war die "transición" abgeschlossen.

Für die Studie wurden die Archive der Labour Party und des TUC, des DGB (jedoch leider nicht das der SPD oder das Willy-Brandt-Archiv), von PSOE und UGT sowie das der SI herangezogen, ergänzt durch mündliche und schriftliche Interviews. Französische Archivalien werden im Quellenverzeichnis nicht erwähnt. In deutschen Archiven fand sich nach Aussagen der Autorin sehr wenig relevantes Material. Dieses Manko konnte durch Zeitzeugenbefragungen (besonders zu erwähnen sind hier Hans Matthöfer und Dieter Koniecki, FES-Vertreter in Madrid) teilweise ausgeglichen werden.

Wer vom Buch spektakuläre Enthüllungen über finanzielle Transaktionen in Richtung Spanien erwartet, wird nicht zufrieden gestellt. Zu diesem Komplex ist in den Pressepublikationen der letzten beiden Jahre mehr zu lesen gewesen als in Ortuños Buch, obwohl auch dieser Aspekt zum Thema des Buches gehört. Referiert werden stattdessen Sitzungen von Solidaritätskomitees, Aufrufe zur Unterstützung der spanischen Genossen und Kollegen sowie gegenseitige Besuche in manchmal etwas ermüdender Vollständigkeit. Daneben gibt es reichlich Organisationsgeschichte, in welcher der Leser leicht den Überblick verlieren kann.

Dabei gab es durchaus spannende Themen, die zu kontroversen Diskussionen führten und von der Autorin nicht verschwiegen werden. Die fünf wichtigsten Streitpunkte waren:

Leider werden die hier geschilderten Konflikte nicht systematisch behandelt; das Buch ist nach Ländern (Großbritannien, Frankreich, Deutschland) und Dachverbänden (SI, IBFG) gegliedert, innerhalb der Kapitel wiederum chronologisch. Auch die Zusammenfassung gleicht das Manko nicht aus. Dennoch wird deutlich, dass das Gewicht der internationalen Partner im Streit zwischen Inlands- und Auslandsvertretung von PSOE und UGT besonders groß war. Als die SI 1974 die Inlandskräfte repräsentierende PSOE renovado anerkannte, war dies der entscheidende Rückschlag für die PSOE histórico der Exilleitung.

Ebenfalls fehlt eine systematische Betrachtung der Frage, welche Faktoren in welchem Maße die Chancen ausländischer Partner beeinflussten, ihre Ansichten durchzusetzen. War vielleicht doch die innerspanische Konstellation entscheidend dafür, dass einerseits die vom Ausland gern gesehene Einheitsgewerkschaft keine Chance hatte, aber andererseits die von den ausländischen Partnern unterstützten Inlandsleitungen von PSOE und UGT die Auseinandersetzung mit den Auslandsvertretungen gewannen?

Viele Fragen bleiben also offen, das Buch von Pilar Ortuño lenkt aber sicherlich den Blick auf externe Faktoren der "transición". Dass die Autorin mit ihrer Betonung dieser Einflüsse nicht falsch liegt, bestätigen auch zeitgenössische Äußerungen. Beispielhaft sei hier der schon erwähnte Dieter Koniecki zitiert. 1976 schrieb er über Felipe González: "Entscheidend für seine heute innerhalb der Partei im wesentlichen unanfechtbare Position war jedoch meiner Absicht nach die internationale Unterstützung, die er von bedeutenden sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien Westeuropas seit dem SPD-Parteitag in Mannheim [1975] erfahren hat. Diese Unterstützung hat dazu geführt, dass Felipe González, vor einem Jahr ein praktisch Unbekannter in Spanien, zu einer politischen Figur internationalen Ranges aufgestiegen ist und als relevanter Bezugsrahmen des 'sozialistischen Lagers' in Spanien angesehen wird."

Bernd Rother, Berlin








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